Besuch in WarschauSelenski dankt Polen und kauft 100 Panzer
Bei den Reisen des ukrainischen Präsidenten nach London, Paris und Brüssel ging es um noch mehr Waffen. Der Besuch in Polen hat eine andere Note – und wurde von Protesten getrübt.
Mit Hymne und Ehrengarde wurden der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski und seine Frau Olena Selenska am Vormittag in Warschau vom polnischen Präsidenten Andrzej Duda und dessen Ehefrau empfangen. Und nicht von protestierenden Bauern.
Die Beziehungen zwischen der Ukraine und Polen sind eng, das symbolisiert dieser Besuch. Dennoch gibt es in Warschau auch Probleme zu besprechen, vor allem das mit dem Getreide. Ukrainische Exporte verderben die Preise – was die polnischen Bauern auf die Strassen treibt. Dafür kann Selenski nichts, doch es drückt auf die Stimmung. Weiterhin ist die Solidarität in der Bevölkerung gross, aber die neueste Umfrage zeigt, dass die Unterstützungsbereitschaft langsam sinkt.
Geste der Dankbarkeit
Und so war dieser erste offizielle Besuch Selenskis in Polen seit Ausbruch des Krieges vor allem eine Geste der Dankbarkeit. Als Selenski nach Washington flog, in London, Paris und Brüssel persönliche Gespräche führte, ging es vor allem um noch mehr Waffen, um weitere Unterstützung seines von Russland überfallenen Landes. Der Besuch in Polen hat eine andere Note. Das Nachbarland hat von Anfang an viel gegeben, tut das weiterhin und sieht sich dabei auch als Antreiber anderer Länder, vor allem Deutschlands.
«Es scheint, dass es nie in der Geschichte herzlichere Beziehungen zwischen unseren Ländern gegeben hat», sagte Präsident Selenski nun im Präsidentenpalast in Warschau. Andrzej Duda überreichte ihm die höchste Auszeichnung des polnischen Staates, den Orden des Weissen Adlers. Die ukrainischen Soldaten wie Selenski selbst bewahrten «Europa vor dem russischen Imperialismus», sagte Duda.
Später traf Selenski Premierminister Mateusz Morawiecki, Verträge wurden gemacht, welche die Freundschaft der Länder auch wirtschaftlich untermauern. So wird die Ukraine etwa 100 Radschützenpanzer vom Typ Rosomak kaufen, die in Schlesien hergestellt werden. Ausserdem soll gemeinsam Munition hergestellt werden, die von Panzern des Typs T-72 und T-80 verwendet werden kann. Polen hatte selbst solche T-72-Panzer geliefert. Zudem hat Polen zuletzt acht Kampfjets vom Typ MiG-29 abgegeben. Vertraglich festgeschrieben wurde auch die Beteiligung polnischer Firmen am Wiederaufbau der Ukraine.
Angesichts des Krieges sind die Länder auch bereit, bei historisch heiklen Themen zusammenzufinden.
Am Abend sprachen beide Präsidenten im Innenhof des Warschauer Schlosses. «Auf Polen könnt ihr immer zählen», sagte Präsident Andrzej Duda. Die Ukraine und Polen, sagte Selenski, stünden «Schulter an Schulter, vereint durch den Geist der Freiheit, der grossen Geschichte und den glorreichen Sieg», den man gemeinsam erreichen werde.
Nach Zahlen des Instituts für Weltwirtschaft IFW in Kiel hat Polen Militärhilfe im Wert von mehr als 2,4 Milliarden Euro geleistet, das entspricht ungefähr 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zudem sind etwa eine Million ukrainische Flüchtlinge dauerhaft im Land geblieben. Laut einer aktuellen Studie des Instituts Ipsos sehen die Befragten diese Tatsache nun erstmals seit Kriegsbeginn etwas skeptischer. Nun sind es nur noch 61 Prozent, die angeben, dass es gut sei für Polen, wenn die Kriegsflüchtlinge lange Zeit im Land blieben. Am stärksten ist diese Meinung bei Oppositionswählern ausgeprägt, im Lager der PiS-Anhänger fällt die Zustimmung deutlich geringer aus.
Doch anders als in Tschechien, der Slowakei oder auch Deutschland gibt es weder prorussische Demonstrationen noch Politiker, die der Ukraine weniger helfen wollen. Im Angesicht des Krieges sind die Länder auch bereit, bei historisch heiklen Themen zusammenzufinden - wie dem Gedenken an das Wolhynien-Massaker, bei dem vor 80 Jahren ukrainische Nationalisten Zehntausende Polen ermordeten.
Die polnischen Bauern sind wütend
Am Nachmittag besprach sich Selenski mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki. Ausserdem wurde ein Wirtschaftsforum mit Hunderten Teilnehmern organisiert. Dabei spielten dann auch die Bauern und ihre Wut über die fallenden Getreidepreise eine Rolle. Um der Ukraine zu helfen, weiterhin Getreide exportieren zu können, hatte die EU im vergangenen Jahr die Zölle aufgehoben. Ausser über das Schwarze Meer sollte ein kleiner Teil auch auf dem Landweg, vor allem über Polen, aber auch andere EU-Nachbarländer exportiert werden.
Doch das Getreide erreichte grösstenteils nicht die polnischen Ostseehäfen, sondern blieb im Land. Es wurde nicht in Afrika verkauft, sondern in Europa. Das lag zum Teil an mangelnden Transportkapazitäten, zum Teil an schlechter Organisation der polnischen Regierung.
Nun hatten die wütenden Bauern gedroht, auch den Besuch Selenskis mit ihrem Protest zu begleiten. Seit Tagen fahren sie mit ihren Traktoren zu Kundgebungen in die Städte. Am Morgen trat der polnische Landwirtschaftsminister zurück. Ende März versprach die EU 56,3 Millionen Euro Hilfe für die Bauern in Polen, Bulgarien und Rumänien. Premier Morawiecki verlangte, die Zölle wieder einzuführen, und liess am Freitag über Twitter wissen, die Interessen seines Landes und der polnischen Landwirte stünden für ihn an erster Stelle
Das waren neue Töne im Umgang mit dem überfallenen Nachbarland, dabei aber zum Teil hausgemachte Probleme der PiS-Regierung, die sich beeilte, die Schuld auch auf die EU zu schieben, die zu wenig polnisches Getreide abnehme. Nun sei eine Lösung gefunden worden, hiess es am Abend. Wie genau diese aussehe, wurde nicht gesagt. Präsident Duda hatte am Vormittag erneut erklärt, dass Polen die Ukraine auf dem Weg zur vollständigen EU-Mitgliedschaft unterstützen werde. Auf dem Schlossplatz am Abend aber ging es nur noch um die exklusive Freundschaft der beiden Länder. Duda sprach über die Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte, die auch «schwierig» und «schmerzlich» gewesen seien. «Heute senden wir dem Kreml gemeinsam die Botschaft: Ihr werdet uns nicht auseinanderbringen, nie wieder!»
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