Geldblog: Schrumpfende Depots
Trotz konservativer Strategie zweistellige Verluste?
Wer stark auf Obligationen gesetzt hat, ist wegen der steigenden Zinsen ebenfalls mit Buchverlusten konfrontiert. Martin Spieler sagt, inwieweit Handlungsbedarf besteht.
![Schockierende Bankauszüge: Aktuell weisen viele Depots beträchtliche Verluste aus.](https://cdn.unitycms.io/images/EHiEMzbD4vu9m7u_V4ecbg.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=XHbE0yD_ebA)
Der verstorbene Ehemann meiner Schwester hat bei der Raiffeisen Geld angelegt; konservative Variante. Nun wies das Konto einen Verlust von fast 40'000 Franken aus. Uns ist klar, dass bei der heutigen Situation mit Verlusten gerechnet werden muss. Doch: Können Sie die Unterlagen prüfen – wie beurteilen Sie das Depot? Leserfrage von S.E.
So wie Ihnen und Ihrer Schwester ist es in diesem Jahr vielen Anlegerinnen und Anlegern gegangen: Sie sind erschrocken, als sie von ihrer Bank den Kontoauszug erhalten hatten, weil sie zum Teil mit hohen Buchverlusten konfrontiert sind. Besonders irritierend sind beträchtliche Buchverluste, wenn man die Verwaltung seines Vermögens an seine Bank delegiert hat und bewusst eine konservative Strategie gewählt hatte, da man eben nicht hohe Verluste erleiden und wenigstens das Kapital erhalten möchte.
Im besonders anspruchsvollen Anlagejahr 2022 hat dies in den meisten Fällen nicht geklappt. Wer im Rahmen eines Vermögensverwaltungsmandates eine konservative Strategie verfolgt, hat in der Regel einen hohen Obligationenanteil im Depot, während der Aktienanteil nur gering ist. Mit Anleihen von sicheren Schuldnern möchte man auf der einen Seite einen kleinen Ertrag erwirtschaften und sich auf der anderen Seite gegen hohe Rückschläge absichern. Mit Obligationen von sicheren Schuldnern kann man gut schlafen, hört man oft: In der Theorie geht dies auf – in der Praxis ist es in diesem Jahr indes anders gelaufen.
Grundsätzlich sollte man sich von der falschen Annahme lösen, dass man mit Obligationen keinen Kursschwankungen ausgesetzt ist. Üblicherweise sind die Kursschwankungen bei den meisten Obligationen zwar deutlich geringer als bei Aktien. Aber man muss auch bei Anleihen mit Kursausschlägen rechnen. Keine Kursschwankungen gibt es nur bei Kassenobligationen oder beim Sparkonto, doch bei Letzterem nagt die steigende Teuerung am Wert des Geldes.
Bestehende Obligationen sind für die Anleger weniger interessant und die Kurse geben nach.
Speziell in diesem Jahr ist, dass es auch bei Obligationen teilweise zu starken Kursschwankungen gekommen ist. Entsprechend ist es auf dem hohen Obligationenbestand im Depot Ihrer Schwester zu gravierenden Kursverlusten gekommen. Der Grund dafür sind die steigenden Zinsen. Die Kurse von bestehenden Obligationen geben nach, weil man mit neuen Obligationen bei steigenden Zinsen mehr Zins erhält. Bestehende Obligationen sind für die Anleger weniger interessant und die Kurse geben nach.
Ich habe das Depot, das Sie mir mitgeschickt haben, angeschaut. Die Bank hat wie vereinbart eine konservative Strategie umgesetzt. 68 Prozent des Geldes ist breit diversifiziert in Obligationen angelegt, fast 24 Prozent entfallen auf Aktien und der Rest wird als liquide Mittel gehalten. Auf den Obligationenbeständen wird ein Buchverlust von fast 11 Prozent ausgewiesen, bei der kleinen Aktienposition sind es über 14 Prozent.
Nun kann man natürlich argumentieren, die Bank hätte im Rahmen ihrer professionellen Vermögensverwaltung frühzeitig reagieren und die Buchverluste verhindern sollen. Doch selbst professionelle Vermögensverwalter und institutionelle Anleger wie Pensionskassen oder Versicherungen wurden vom Ausmass der diesjährigen Marktturbulenzen überrascht. Entsprechend sitzen auch Grossanleger wie die Nationalbank auf happigen Buchverlusten. Verantwortlich machen kann man die Bank für Anlageverluste nur, wenn sie die vereinbarte Strategie nicht eingehalten hat – nicht aber für das eigentliche Anlagerisiko und damit für die Anlageverluste.
Solange man diese Obligationen nicht mit den Buchverlusten verkauft, sondern bis ans Ende der Laufzeit behält, verliert man mit diesen kein Geld.
Wichtiger für Ihre Schwester ist die Frage, wie es weiter geht. Hier kann ich Ihnen zumindest teilweise eine Entwarnung geben. Die beträchtlichen Buchverluste auf den Obligationen im Depot Ihrer Schwester sind auf längere Sicht kein Problem, da es sich um werthaltige Obligationen von guten Schuldnern handelt. Solange man diese Obligationen nicht mit den Buchverlusten verkauft, sondern bis ans Ende der Laufzeit behält, verliert man mit diesen kein Geld. Denn momentan sind selbst Obligationen von sicheren Schuldnern und Fonds, welche in diese investieren, wegen der steigenden Zinsen im Minus.
Bis zum Laufzeitende werden sich diese aber erholen und das investierte Geld wird am Ende der Laufzeit vollständig zurückbezahlt. Verluste einfahren würde Ihre Schwester mit diesen Obligationen nur, wenn Sie in Panik jetzt alles verkaufen würde. Davon rate ich ab. Wenn sie ausharrt, dürfte sie ein Grossteil der Buchverluste auf den erstklassigen Obligationen wieder aufholen. Das dürfte aber je nach Laufzeiten mehrere Jahre dauern.
Möglich ist eine Erholung auch beim kleinen Aktienanteil im Depot. Hier sind die Perspektiven weiter unsicher und es dürfte zu weiteren Kursschwankungen kommen. Dennoch besteht eine realistische Chance, dass sich die Kurse nach einigen Jahren wenigstens teilweise erholen. Wegen der Buchverluste auf den Obligationen, welche den Hauptteil des Depots Ihrer Schwester ausmachen, muss sie sich nicht zu grosse Sorgen machen. Wenn sie nicht den Fehler macht und alles liquidiert, dürfte sie einen rechten Teil der im Depotauszug ausgewiesenen Buchverluste mit der Zeit wieder aufholen.
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