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Sprachstreit in der Waadt
Schwiizertüütsch pour tout le monde?

Der Lausanner Anwalt und Kantonsrat David Raedler (Grüne) fordert, dass Waadtländer Schülerinnen und Schülern auch Schweizerdeutsch beigebracht wird. 
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In den Ohren der einen klang sein Vorschlag wie das Knallen einer Schreckschusspistole. Andere fanden den Schritt überfällig. Der Waadtländer Anwalt und Kantonsrat David Raedler (Grüne) fordert die Kantonsregierung auf, in den Schulen Schweizerdeutsch unterrichten zu lassen. Dafür hat er im Parlament ein Postulat deponiert.  

Die Reaktionen kamen umgehend. Zuerst im Kantonsrat, wo man Unterstützung und Ablehnung für einmal nicht an Parteien oder politischen Lagern festmachen konnte. Dann bekam David Raedler zu seiner eigenen Überraschung auch Telefonanrufe aus der Bevölkerung. Er sagt, es hätten ihn Leute angerufen, um ihm alle Schande zu sagen. Andere, vor allem Jüngere, hätten ihn am Telefon wiederum in seiner Auffassung bestätigt, dass das «Schwiizertüütsch» in den Waadtländer Schulzimmern einen Platz haben muss. Noch nichts gesagt hat Bildungsdirektor Frédéric Borloz (FDP), der im Parlament nun seine Sicht der Dinge darlegen muss.

«Selbst Small Talk ist auf Schweizerdeutsch sehr anspruchsvoll.»

David Raedler, Lausanner Anwalt und Politiker

Mundart ist David Raedler ein Herzensanliegen, seit er im dritten Jahr seines Jus-Studiums nach Bern gezogen ist. Er sagt: «Im Vorlesungssaal sprachen die Professoren Hochdeutsch. Da verstand ich alles. Komplizierter wurde es, wenn ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Hörsaal rauskam.» Da wurde dann diskutiert und argumentiert, gewitzelt und gefrotzelt, alles auf Schweizerdeutsch, und David Raedler verstand plötzlich nur noch einen Bruchteil. «Man fühlt sich sofort ausgeschlossen», sagt er. Selbst Small Talk sei schwierig. Die Hochdeutschkenntnisse, die man einst an der Primarschule erwarb und im Gymnasium verfeinerte, reichen plötzlich nirgendwo mehr hin. Gleichzeitig wolle man als Romand aber auch nicht, dass die Deutschschweizer immer Hochdeutsch sprechen müssten, so Raedler. 

In Bern behalf sich der heute 36-Jährige damit, dass er einen Kurs in Schweizerdeutsch belegte. Nach seiner Rückkehr an seine Stammuniversität Lausanne setzte er den Kurs im dortigen Sprachzentrum fort. Unterrichtet wurde am Genfersee eine Art neutrale Dialektform, die Raedler als «eine Mischung zwischen Zürcher und Aargauer Dialekt» beschreibt.

Ist gerne auch in der Deutschschweiz unterwegs: Der Lausanner Anwalt und Politiker David Raedler (Grüne).

Für seine Dissertation ging Raedler dann in die USA. Lausanne wie Bern waren für längere Zeit weit weg. Doch heute hat er als Lausanner Anwalt mit den Spezialgebieten Datenschutz und Arbeitsrecht auch Klienten in Zürich, Basel und Bern. «Und die sprechen gerne in ihrer Muttersprache», sagt Raedler. So argumentierte er auch in seinem Postulat. Er schreibt: «Gemäss Schätzungen spielen sich in diesem Land 63 Prozent aller Geschäftskontakte auf Schweizerdeutsch ab.» Würden die Waadtländer Schülerinnen und Schüler also ein wenig Mundart lernen, helfe ihnen das auf dem Arbeitsmarkt und stärke die Westschweizer Wirtschaft als Ganzes und auch den Zusammenhalt des Landes. Ob das der ehemalige Nationalrat und heutige Bildungsdirektor Borloz genau so sieht?

Spielend lernen

Sicher ist: Bis sich Waadtländer mit «Hoi zämä!» begrüssen oder mit «Gaats no!?» widersprechen, wird es noch eine Weile dauern. Abgesehen davon würde die Einführung von Schweizerdeutschlektionen von wilden Protesten begleitet. Das beeindruckt David Raedler nicht. Er sagt: «Man kann Mundart auch auf spielerische Art erlernen.» Und er widerspricht der in der Romandie weitverbreiteten Ansicht, das Schweizerdeutsch funktioniere nach keinerlei Sprachlogik.

Bis die Debatte in der Waadt beginnt, wird der 36-jährige Lausanner Anwalt munter weiter nach Zürich, Basel, Bern, ins Berner Oberland und auch nach Graubünden reisen. Er ist nämlich ein passionierter Velofahrer und weiss inzwischen: «Für Velofahrer ist die Deutschschweiz ein Eldorado.»