Tückischer Toxoplasmose-ErregerParasit macht Wölfe zu risikofreudigen Alphatieren
Einer von drei Schweizer Wölfen ist von Toxoplasma gondii betroffen. Eine US-Studie zeigt, dass der Parasit sogar die Stellung im Rudel beeinflusst. Auch bei anderen Tierarten kam es durch die Infektion plötzlich zu einem veränderten Verhalten.
Eigentlich bleiben Wölfe meistens bis zu einem gewissen Alter bei ihrer Familie. Doch viele Tiere, die mit dem Neuroparasiten Toxoplasma gondii infiziert sind, verlassen ihr Rudel deutlich früher als üblich. Wie die Fachzeitschrift «Communications Biology» vor kurzem berichtete, hat der einzellige Krankheitserreger bei Wölfen im Yellowstone-Nationalpark zu einer potenziell höheren Bereitschaft zu risikohaftem und aggressivem Verhalten geführt.
Gemäss den Ergebnissen der amerikanischen Studie neigten männliche Wölfe, die Antikörper gegen den Parasiten im Blut hatten, deutlich häufiger dazu, bereits ab einem Alter von einem halben Jahr anstatt erst mit knapp zwei Jahren ihre Familiengruppe zu verlassen. Viele der infizierten Weibchen machten sich indes schon mit zweieinhalb Jahren allein auf den Weg in die weite Welt und warteten nicht mehr bis zum fünften Lebensjahr ab.
Die Gefahr steigt
Darüber hinaus stellten die Forschenden der University of Montana fest, dass die Krankheit auch die Position in einem Rudel stark beeinflussen kann: Mit Toxoplasma gondii infizierte Wölfe kommen mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit in der Hierarchie ganz nach oben, was aber auch mehr Gefahren bedeutet. Denn wer das Rudel anführt, muss generell mehr kämpfen, um sich sowie die eigene Gruppe zu verteidigen. Für die Studie wurden Blutproben von insgesamt 229 Wölfen auf Antikörper gegen Toxoplasma gondii analysiert und mit Verhaltensdaten der Tiere im Zeitraum von 1995 bis 2020 verglichen.
Auch in der Schweiz ist der Erreger bei Wölfen weitverbreitet, wie eine aktuelle Untersuchung jetzt zeigt: Etwas mehr als ein Drittel der untersuchten Blutproben von 95 Individuen aus den vergangenen rund zwei Jahrzehnten hatten spezifische Antikörper im Blut. Zu diesem Ergebnis kam jetzt der Veterinärmediziner Patrick Scherrer im Auftrag der Stiftung Kora, die in der Schweiz für das Monitoring der Grossraubtiere zuständig ist und sich mit der Erforschung der Auswirkungen der Rückkehr beschäftigt.
Noch häufiger kommt der Parasit jedoch bei den hiesigen Luchsen vor: Vier von fünf Individuen hatten eine Infektion mit Toxoplasma gondii in der Vergangenheit, wie Patrick Scherrer im Rahmen seiner Dissertation an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern herausfand. «Ob der tückische Erreger vielleicht auch das Verhalten von Luchsen irgendwie beeinflusst, ist weiterhin unklar», sagt er. Es gebe jeweils viele Theorien, die aber schwer zu belegen seien. Interessant sei dennoch eine weitere kürzlich publizierte Beobachtungsstudie in der Wildnis. So hatten infizierte Hyänen-Jungen in Kenia im Gegensatz zu ihren gesunden Artgenossen auf einmal die natürliche Scheu vor ihrem Feind verloren und werden dadurch zum leichten Opfer für Löwen.
Der Toxoplasmose-Erreger ist einer der weltweit häufigsten Parasiten überhaupt. Egal, ob bei Wolf, Katze, Maus, Vogel oder Mensch. Sexuell vermehren können sich die Einzeller aber nur in den Därmen von katzenartigen Tieren. «Die dort entstehenden Oozysten werden dann mit dem Kot ausgeschieden, aber erst nach einem oder mehreren Tagen infektiös und können sehr lang in feuchter Erde oder im Wasser überleben», erklärt Sandra Felten von der Vetsuisse der Universität Zürich. Häufig würden sich die Parasiten auch über nicht gegartes Fleisch auf den Menschen übertragen.
Nicht nur Hyänen, sondern auch Nagetiere verlieren durch die Infektion ihre Angst vor Raubtieren. «Sie fürchten sich nicht mehr vor dem Geruch von Katzenurin und laufen ihren Fressfeinden buchstäblich ins Maul», sagt Dominique Soldati-Favre von der Universität Genf, die auf diesem Gebiet mit Mäusen im Labor forscht. Das sonst übliche Verhalten der Tiere verändere sich, wenn die Mäuse mehr als 500 Zysten im Gehirn hätten und vor allem die für die Angstregulation verantwortlichen Regionen wie etwa die Amygdala davon betroffen seien. Zudem würden die Parasiten dazu führen, dass sich unter anderem mehr Testosteron und Dopamin bildeten.
Durch das riskante Verhalten der Tiere kann sich der Parasit immer besser ausbreiten. «Es gibt auch Hinweise, dass es bei Menschen zu subtilen Verhaltensänderungen führt», sagt Soldati-Favre. Allerdings sei dies sehr schwer zu beweisen. Bei der Maus sei der Fall dagegen klar: Wird sie von einer Katze gefressen, schliesst sich der Zyklus für den Parasiten und alles beginnt von vorn.
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