Schweizer Niederlage zum AbschlussDas Jahr ist überstanden – aber die Baustellen werden nicht weniger
Das Frauen-Nationalteam verliert in Italien 0:3. Damit geht ein enttäuschendes Fussballjahr zu Ende. Auch im Hinblick auf die EM im eigenen Land.
Noch ein Erfolgserlebnis zum Schluss, ein Punkt vielleicht oder wenigstens ein Tor? Die Schweizerinnen sind nah dran, sie haben ihre Chancen. Aber es sollte nicht sein. Schlimmer noch, die Italienerinnen treffen nochmals. Das 0:3 aus Schweizer Sicht ist ein Resultat, das die Gesamtsituation im Nationalteam gut wiedergibt.
Sportlich gesehen ging es für die Schweiz an diesem Abend in Parma zwar um nichts mehr, der Abstieg aus der höchsten Spielklasse der Nations League war schon seit Freitagabend fix. Eher wollten die Schweizerinnen das gute Gefühl weitertragen, das sie sich mit einem Exploit gegen Schweden holten.
Doch es bleibt bei diesem einen Sieg in der Nations League. Am Ende lautet die Tordifferenz 2:17.
Mit diesem Abstieg in die Mittelklasse endet ein Schweizer Länderspieljahr, das ab April noch mehr an Bedeutung gewann. In jenem Monat wurde bekannt, dass die Schweiz die Europameisterschaft 2025 ausrichten darf, eine grosse Sache für den Schweizer Verband.
Alles, was die Schweizer Nationalteams, auch die der Juniorinnen, nach diesem April machten, wurde nun wichtiger, gute Resultate der U-17 und der U-19 zum Beispiel. Aber auch die schlechten Auftritte des A-Nationalteams. Dieses lieferte den Nachweis, zur erweiterten Weltspitze zu gehören, in diesem Jahr nicht.
16 Spiele, 2 Siege, so lautet die Bilanz. Sowohl das Spiel gegen Schweden als auch die Qualifikation für die WM-Achtelfinals können diese Ausbeute nicht beschönigen. Es war insgesamt kein gutes Länderspieljahr.
Die Schweizer Liga hinkt hinterher
Gewiss, man kann die drei Niederlagen mit unfassbaren 17 Gegentoren gegen Spanien ausklammern, weil der Weltmeister für die Schweiz schlicht unerreichbar ist. Da können noch so viele Schlüsselspielerinnen fehlen oder falsch eingesetzt werden. Aber es gab ja auch noch andere Gegner als Spanien. Polen, China, Marokko, Sambia, Island, Neuseeland – gegen keines dieser Teams gewann die Schweiz.
Das hat auch damit zu tun, dass die Entwicklung im Ausland nicht stillsteht, die Spitze ist breiter geworden, die USA längst nicht mehr die einzige Fussballmacht. Die Ligen wachsen, und mit ihnen die Nationalteams, europaweit fallen die Zuschauerrekorde. Es wäre vermessen, zu erwarten, dass die Schweiz hier locker mithalten kann.
Doch das Jahr 2023 hat eben noch einmal deutlich gemacht, dass die Schweiz gerade links und rechts überholt wird. Und dass, wer in der Women’s Super League spielt, international kaum mehr mithalten kann. Solange die Bedingungen in der Schweiz, wo nicht einmal ein Halbprofitum realistisch ist, so bleiben, wird sich daran auch nichts ändern.
Die besten Nationalspielerinnen verdienen Geld im Ausland, in Frankreich wie Ramona Bachmann, in Spanien wie Ana-Maria Crnogorcevic, in Deutschland wie Géraldine Reuteler, in England wie Lia Wälti oder Luana Bühler. Auch darum sagte SRF-Expertin Martina Moser im Interview mit dieser Redaktion kürzlich, sie hätte am liebsten ein Kader voller Ausland-Profis – momentan ist das utopisch.
Die neue Körpersprache nach Grings
Dann gibt es noch den Faktor Trainerin. Am 1. Januar übernahm Inka Grings dieses Nationalteam, eine Frau, die sich grundlegend von ihrem Vorgänger unterschied. Auch unter Nils Nielsen war nicht alles gut gewesen, für die EM 2022 und die WM 2023 qualifizierte sich die Schweiz jeweils in extremis und über das Playoff – erst im Penaltyschiessen gegen Tschechien, dann in der Verlängerung gegen Wales.
Unter Grings ging es noch einmal schneller abwärts. Die Deutsche funktionierte in diesem Nationalteam nicht. Sie fand den Draht zu mancher wichtigen Spielerin nicht und riskierte einen Machtkampf mit Crnogorcevic. Die Geschichte ist erzählt – mit der Pointe, dass am Freitag ausgerechnet die Rekordspielerin die Schweiz gegen Schweden zum zweiten Sieg im Jahr 2023 schoss.
An Grings wurde lange festgehalten, wohl etwas zu lange. Das wurde nur schon an der Körpersprache der Spielerinnen deutlich, als sie sich im Schneetreiben von Luzern gegen ein Tor Schwedens stemmten. Ohne einen Finanzskandal, in den Grings in ihrer Vergangenheit verwickelt war, wären wohl auch die Spiele gegen Schweden und Italien unter ihr absolviert worden.
Daube wünscht sich einen Tami
Es ist nun an einer fünfköpfigen Kommission, einen Trainer oder eine Trainerin zu finden, der oder die dieses Team verstehen und führen kann. SFV-Präsident Dominique Blanc, Generalsekretär Robert Breiter, Patrick Bruggmann, der Direktor für Fussballentwicklung, Pierluigi Tami, der Direktor der Männer-Nationalteams, und Marion Daube, Direktorin Frauenfussball, bilden diese Kommission.
Daube ist das Gesicht der Gruppe, die Chefin des Schweizer Frauenfussballs. Ihre Rolle im Verband mag ähnlich klingen wie jene Tamis, hat aber gar nicht so viel mit dieser zu tun. Daube ist für alles zuständig, was Frauenfussball angeht, da gehört auch die Women’s Super League dazu oder die Kandidatur für die EM. Sie ist es auch, die in Kritik geriet, weil es viel zu lange gedauert hatte, bis auf einen #MeToo-Fall im Nationalteam reagiert wurde. Daube wünscht sich einen Tami für das Frauen-Nationalteam, weil sie Arbeit ausführt, die ihr Pensum deutlich übersteigt.
Auch das ist so ein Punkt. Um den Fussball der Frauen in der Schweiz nachhaltig voranzubringen, reicht eine EM im eigenen Land allein nicht. Investiert werden muss auf allen Ebenen, das endet nur in der Verbandsspitze, beginnt aber schon in den Dorfvereinen. Der Breitensport schafft die Basis für eine starke Spitze.
Eineinhalb Jahre vor der EM ist diese Spitze zu dünn, um international die Rolle zu spielen, die sich der SFV wünscht. Die Schweiz hat einige Spielerinnen von hoher Qualität und spannende Talente, die um die 20 Jahre alt sind oder noch jünger. Sie hat dazwischen aber eine grosse Lücke, jede Menge anderer Baustellen – und kaum Zeit.
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