Neue Methode der OrgantransplantationSchweizer Mediziner transplantieren erfolgreich Herzen nach Herztod
Ärzte haben erstmals einem Spender das Herz entnommen, nachdem dieser an einem Herz-Kreislauf-Stillstand verstorben war. Die Medizin ist hoffnungsfroh, Kritiker erstatten Strafanzeige.
Kritikerinnen und Kritiker empfinden es als Tabubruch sondergleichen, gar als Fall für die Staatsanwaltschaft. Aus Sicht der Transplantationsmedizin geht es schlicht um eine logische Weiterentwicklung, dank der mehr Menschen geholfen werden kann: die Herztransplantation nach Herz-Kreislauf-Stillstand. Sie wurde im März in der Schweiz erstmals durchgeführt. Die Öffentlichkeit hat davon bis jetzt noch nichts erfahren. Auch nicht, dass die Operation erfolgreich verlief und deshalb bereits weitere Organverpflanzungen mit diesem Verfahren vorgenommen wurden. Insgesamt sind es laut offizieller Erfassung der Stiftung Swisstransplant schweizweit fünf Transplantationen in Zentren in Lausanne, Bern und Zürich.
«Allen Empfängerinnen und Empfängern geht es gut», sagt Franz Immer, Direktor der Stiftung Swisstransplant, auf Anfrage. Eigentlich wollten die Verantwortlichen erst später an die Öffentlichkeit gehen, wenn in einer ersten Serie Daten sechs Monate nach der durchgeführten Operation vorliegen, um auch Einblicke geben zu können in die Ergebnisse.
Fehlende Durchblutung des Herzens
Eigentlich sind Herztransplantationen Routine. In der Schweiz werden sie jedes Jahr zwischen 30- und 50-mal vorgenommen. Die Organe stammen von hirntoten Spenderinnen und Spendern. Wegen der künstlichen Beatmung schlägt dabei das Herz bis zur Entnahme. Fachleute sprechen von «Donation after Brain Death» (DBD).
Beim neuen Verfahren ist das anders: Das Herz steht bereits still, bevor die Organe entnommen werden. Bei Nieren, Leber und Lunge wurde diese Transplantation nach Herz-Kreislauf-Stillstand («Donation after Circulatory Death», DCD) ab dem Jahr 2011 in der Schweiz eingeführt und ist etabliert. Die Herztransplantation ist mit DCD allerdings besonders anspruchsvoll, weil das Herz durch fehlende Durchblutung Schaden nehmen kann. Wenn das Verfahren nun in der Schweiz eingeführt wird, dürfte die Zahl der übertragenen Herzen schon bald deutlich steigen, denn die Transplantation nach Herz-Kreislauf-Stillstand kommt inzwischen bei gegen der Hälfte aller Spendenden zum Zug.
«Wir haben uns lange auf den Schritt vorbereitet, damit alles fehlerfrei abläuft», sagt Franz Immer. «Ab letztem November waren wir so weit und haben auf den ersten geeigneten Fall gewartet.» Möglich wurde das Ganze durch ein neu beschafftes Gerät namens Organ Care System (OCS), welches das Herz ausserhalb des Körpers mit Blut und Sauerstoff versorgen und so wieder zum Schlagen bringen kann. Anstatt das Organ nach der Entnahme wie bisher auf Eis zu legen, wird es mithilfe des OCS bei Körpertemperatur gespült. Ähnliche Verfahren kommen heute bereits bei Leber-, Nieren- und Lungentransplantationen zum Einsatz.
Ein Verstoss gegen das Transplantationsgesetz?
Das Herz bleibt mithilfe der OCS-Perfusion länger funktionsfähig, was die maximale Zeitspanne zwischen Entnahme und Implantation um bis zu acht Stunden verlängert. Hinzu kommt, dass die Ärztinnen und Ärzte vor dem Implantieren besser abschätzen können, ob das Herz überhaupt dafür geeignet ist. In manchen Fällen kann die Spülung auch die Funktion des Organs verbessern.
«Wir haben nun eine Möglichkeit, noch mehr Gutes zu tun, und können den Wunsch von Spenderinnen und Spendern nun besser erfüllen.»
Das OCS-Gerät steht eigentlich im Inselspital Bern, wird jedoch in Zusammenarbeit mit Swisstransplant bei Bedarf auch in die zwei Unispitäler in Zürich und Lausanne gebracht und dort eingesetzt. Wegen der Vorteile wird es auch zunehmend bei DBD verwendet.
«Das Organ Care System ist ethisch und technisch einwandfrei», sagt Matthias Hilty, Intensivmediziner am Unispital Zürich, wo die schweizweit erste DCD-Herztransplantation durchgeführt wurde. Hilty ist Leiter der Donor Care Association, eines Organspendenetzwerks von 25 Ostschweizer Spitälern, und freut sich über den Erfolg: «Wir haben nun eine Möglichkeit, noch mehr Gutes zu tun, und können den Wunsch von Spenderinnen und Spendern nun besser erfüllen.»
Kritikerinnen und Kritiker haben allerdings Vorbehalte. «Die DCD-Herztransplantation zeigt, dass nach Herz-Kreislauf-Stillstand weder Gehirn noch Herz unwiederbringlich ausgefallen sind», sagt Roland Graf, Pfarrer und Moraltheologe. Das widerspreche den Anforderungen im Transplantationsgesetz. Der Theologe ist grundsätzlich gegen die Transplantation nach Herz-Kreislauf-Stillstand, weil aus seiner Sicht die Todesfeststellung bei dieser Art der Organentnahme unsicher ist. Zusammen mit anderen Transplantationskritikern hat er vor wenigen Wochen Strafanzeige gegen das Inselspital Bern eingereicht. Das Herz sei nach dem Stillstand offensichtlich weiterhin funktionsfähig, und auch die Gehirnfunktionen könnten trotz DCD-Hirntod-Diagnostik wieder anspringen. «Sonst würden die Ärzte bei der Organentnahme nicht die Verbindung zum Gehirn unterbrechen», sagt Graf.
Tanja Krones, Leiterin Klinische Ethik am Universitätsspital Zürich, versteht zwar, dass solche Einwände auftauchen. Diese seien zunächst nachvollziehbar, beruhten jedoch auf Missverständnissen: «Selbst wenn das Herz noch voll funktionsfähig ist und transplantiert werden kann – der Körper und insbesondere das Gehirn sind so schwer geschädigt, dass gemeinsam mit den Angehörigen entschieden wurde, aufgrund der Schwere der Erkrankung und der schlechten Prognose die intensivmedizinischen Massnahmen zu beenden. Und dies, noch bevor eine mögliche Organspende zum Thema wurde», sagt die Ethikerin.
Der Kreislauf kommt zum Stillstand
Bei der Transplantation nach Herz-Kreislauf-Stillstand (DCD) wird erst nach dem Entscheid, dass die Geräte abgeschaltet werden, besprochen, ob eine Transplantation infrage käme und, wenn ja, für welche Organe. Nach einer Vorbereitungszeit werden die künstliche Beatmung und die Medikamentenversorgung bis auf Schmerzmittel eingestellt. Der Puls verlangsamt sich, der Körper kühlt ab, und die Haut wird bleich. Nach Minuten bis Stunden hört das Herz ganz auf zu schlagen, und der Kreislauf kommt zum Stillstand. Dies wird mithilfe von Ultraschall überwacht. Danach schreiben die Richtlinien der Schweizerischen Akademie für Medizinische Wissenschaften eine Wartezeit von fünf Minuten vor. In der Folge verifizieren zwei Fachleute unabhängig voneinander anhand verschiedener Reflexe, dass auch die Hirntodzeichen eingetreten sind. Erst dann beginnt die Organentnahme.
Bei der «herkömmlichen» Transplantation nach Hirntod (DBD) sind die Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation bereits hirntot, weshalb die medizinische Unterstützung zurückgezogen wird. Zuvor wird zusammen mit den Angehörigen über eine Organspende entschieden. Bis zur eigentlichen Organentnahme bleibt dann die Beatmungsmaschine an, und das Herz schlägt trotz Hirntod weiter.
Die DCD-Herztransplantation ist in Ländern wie Grossbritannien, Australien oder den USA längst üblich. Anders als in der Schweiz kommt dabei teilweise ein Entnahmeverfahren zum Einsatz, bei dem das Herz nach dem Hirntod zuerst im Körper gelassen und wieder zum Schlagen gebracht wird. Das Verfahren nennt sich normothermische regionale Perfusion. Davor wird die Blutversorgung zum Gehirn unterbrochen, um zu verhindern, dass das Denkorgan ungewollt wieder aktiv werden könnte. Für Kritiker wie Roland Graf bedeutet das letztlich, dass Ärztinnen und Ärzte davon ausgehen, dass das Gehirn nach einem Herzstillstand von fünf Minuten nicht irreversibel ausgefallen ist, wie es das Transplantationsgesetz verlangt.
«Das wäre ein unethischer Menschenversuch.»
«Das weiss letztlich niemand», sagt Ethikerin Krones. Es habe noch niemand das Gehirn in einer solchen Situation wieder durchblutet. «Das wäre ein unethischer Menschenversuch.» Das Gehirn würde – wenn überhaupt – nur kurzzeitig rudimentär funktionieren.
Aber bedeutet es nicht, dass der Sterbeprozess noch nicht abgeschlossen ist? «Das Lebensende ist, wie auch der Lebensanfang, ein Kontinuum», sagt Krones. Wo man die Grenze ziehe, sei letztlich eine Frage der Definition. «Sowohl das Kriterium Hirntod wie auch die Vorstellung, dass ein Mensch nach Aussetzen des Herzschlags am Ende des Sterbeprozesses auch ohne Hirntodfeststellung verstorben ist, ist seit Jahrzehnten beziehungsweise schon seit Jahrhunderten breit akzeptiert», so die Ethikerin. «Dennoch kann man natürlich anderer Meinung sein und seine Organe deshalb nicht spenden.»
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