Schweizer Historiker zur Zollpolitik«Trumps Zollpolitik ist sehr widersprüchlich»
Tobias Straumann von der Universität Zürich ordnet Trumps Zölle ein – und beruhigt. Eine historische Erklärung in 7 Punkten.

Sogar Donald Trumps eigenes Stimmvolk begann auf Twitter über ihn zu klagen. Nun hat sich der US-Präsident davon anscheinend beeindrucken lassen. Er hat eine 90-tägige relative Zollpause für fast alle Länder beschlossen (für China freilich nicht). Denn selbst eingefleischte Republikaner hatten zusehen müssen, wie ihre Ersparnisse dahinschmolzen, während die Waren trotzdem nicht billiger wurden, im Gegenteil, und sie waren nicht froh.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Trump dagegen gab sich überzeugt, dass seine Zollpolitik Amerika eine goldene Zukunft bescheren würde. Ausländische Politiker, erzählte er, würden ihm eifrig «den Hintern küssen» in der Hoffnung auf Deals.
Ob Trump, der Dealmaker, wirklich felsenfest an den Nutzen von Zöllen glaubt – an denen er ja weiterhin generell festhält, zum niedrigeren Satz von 10 Prozent? Und wenn ja, worauf fusst diese Gewissheit? Gab es Vorbilder, abgesicherte Theorien?
Über die Zollpolitik, ihren Nutzen, ihre Gefahren und Geschichte sprachen wir mit dem Zürcher Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann.
So taxiert der Experte den Griff zur Zollkeule
«Trumps Zollpolitik ist sehr widersprüchlich», urteilt Tobias Straumann. Schwankend sei sie auf jeden Fall. Nachvollziehbar sei, dass die USA gegenüber China härter aufträten. China verzerre den Aussenhandel mit Subventionen und scheue sich auch nicht davor, beim Abbau der Rohstoffe für die Energiewende billige Zwangsarbeiter einzusetzen. Entsprechend seien Demokraten wie Republikaner da für Zölle. «Alles andere aber war schwer verständlich.» Und sei nun ausgesetzt worden.
Straumann unterstreicht, dass sich der Staatshaushalt nicht mit Zolleinnahmen sanieren lasse (was die Zölle-Fans mit Verve behauptet hatten). Denn dafür seien diese zu gering. Er zweifelt auch die Vision einer schnell florierenden inländischen Produktion und eines rasch wachsenden Konsums an: Mit Zöllen allein lasse sich keine inländische Industrieproduktion herbeiführen, so Straumann. Es brauche ein ganzes Bündel von Massnahmen über eine längere Zeit, etwa bei der Ausbildung der Arbeitskräfte. Zudem: «Der Präsident hat ein völlig falsches Bild, was die Handelsbilanz angeht. Er möchte offenbar mit allen Ländern eine ausgeglichene Bilanz. Das widerspricht jeder ökonomischen Vernunft. Trump ist der hauptsächliche Architekt der aktuellen Zollpolitik.» Dies in ihrer ganzen erratisch-wechselhaften, verunsichernden Form.
Die Vorstellung, dass der Zoll-Cashflow eine Zinssenkung zur Folge habe, wie manche Trump-Fans spekulierten, findet Straumann abwegig. «Wenn Trump ruckartig so hohe Zölle einführt, steigen die Preise, was wiederum eine schnelle Zinssenkung verunmöglicht. Solche Theorien haben verzweifelt versucht, der unsinnigen Zollpolitik Trumps doch einen Sinn zu verleihen.» Ob Trump tatsächlich noch mal zur allgemeinen fetten Zollkeule greife, wisse keiner.
Die hohe Zeit der Zölle
Mit Zöllen sei schon im Mittelalter gearbeitet worden. Im Merkantilismus dann seien sie die protektionistische Massnahme der Wahl gewesen. Dieser sei, so Straumann, die vorherrschende wirtschaftspolitische Praxis im 17. und 18. Jahrhundert gewesen. «Die Idee war, durch einen Handelsbilanzüberschuss Edelmetalle anzuhäufen, um die wirtschaftliche und militärische Macht eines Landes zu stärken. Sie passt in diese Zeit, weil damals überdurchschnittlich oft Kriege zwischen europäischen Mächten stattfanden. Die Aussenwirtschaftspolitik stand ganz im Dienst der Machtpolitik in Europa und den Kolonien.» Protektionistische Politik ist in kriegerisch geprägten und geopolitisch instabilen Zeiten üblich.
Als typische Risiken von Protektionismus gälten die Verhinderung von Innovation und wettbewerbsfähigen Preisen. Zudem könne es zu Vergeltungsaktionen durch Gegenzölle kommen. Wie jetzt.
Friedensgeschenk namens Freihandel
Der Freihandel sei eine Errungenschaft im Europa des 19. Jahrhunderts gewesen. Für Straumann hat seine Popularität (nicht in den USA, die ihn damals ablehnten) zwei Gründe. «Zum einen erkannten englische Ökonomen wie Adam Smith und David Ricardo die Vorteile von Arbeitsteilung und Spezialisierung. Zum andern war die Ausbreitung der Freihandelsidee eng mit der Dominanz des British Empire verbunden, das die Weltmeere beherrschte und so den freien Schiffsverkehr garantieren konnte. Grundlage dieser Dominanz war die Industrialisierung, die der britischen Wirtschaft lange Zeit einen Vorsprung bescherte.»
Dadurch habe Grossbritannien es sich leisten können, «grosszügig zu sein – wie die Vereinigten Staaten nach 1945», erklärt Straumann: «Das 19. Jahrhundert war zugleich eine friedliche Zeit. Nach den verheerenden napoleonischen Kriegen herrschte in Europa die Stimmung ‹Nie wieder Krieg!› wie nach dem Zweiten Weltkrieg im 20. Jahrhundert.» Heute dagegen gehöre Säbelrasseln vielerorts zum Patriotismus.
T-Shirts für 5 Franken – Nachteile des Freihandels
Wie Straumann betont, waren die negativen Seiten des Freihandels immer schon sichtbar. Deswegen hätten Länder wie die USA und Japan im 19. Jahrhundert ihre Märkte durch Industriezölle geschützt. Man habe die eigene Industrie entwickeln wollen, um zur englischen Konkurrenz aufzuschliessen. «Das gelang in beiden Fällen gut. Die WTO gewährt daher heute allen ärmeren Ländern gewisse Aussenhandelsprivilegien. China hat enorm davon profitiert.»
Heute schaue man zudem kritisch auf die Hungerlöhne im Ausland, durch die wir hierzulande T-Shirts für 5 Franken kaufen könnten, auf den hiesigen Jobschwund im Niedriglohnsektor oder auf die quasireligiöse Deregulierungsbegeisterung von Wirtschaftsakteuren: Da werde gern mit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit argumentiert – welche bei weniger Freihandel nicht so propagiert werden müsste und könnte.
Das grosse US-Zoll-Desaster 1930
1930 wurde unter Präsident Herbert Hoover der protektionistische Smoot-Hawley Tariff Act verabschiedet, an den jetzt Gegner von Trumps Zollpolitik erinnern. Damals reagierten viele Länder, auch Kanada, mit eigenen Zöllen, die US-Bauern und die US-Arbeiterschicht litten. Einfuhren und Ausfuhren nahmen stark ab, die Arbeitslosigkeit sprang von 8 auf 16, schliesslich auf 25 Prozent. 1932 verloren daher 12 republikanische Senatoren ihren Sitz.
Mit Blick aufs damalige Elend attackierte Rand Paul, republikanischer Senator aus Kentucky, Trumps Zölle – die er für nicht verfassungsmässig hält – scharf als «Steuern». Bei Fox kommentierte er: «Zölle sind nicht bloss schlecht für amerikanische Familien und die nationale Wirtschaft, sondern auch für die Republikaner.»
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Straumann findet den Vergleich mit 1930 nur bedingt richtig. Die damaligen Zölle hätten zwar zweifellos wie die trumpschen Zölle negative Folgen gehabt. «Aber es handelte sich nur um eine Erhöhung der Zollsätze von 14 auf 20 Prozent. Die Grosse Depression, die mit grosser Arbeitslosigkeit verbunden war, lässt sich nicht damit erklären.»
Gibt es eine produktive Zollpolitik?
Ja, die gebe es, ist Straumann überzeugt. In der Agrar- und Sicherheitspolitik hätten fast alle Länder Zölle bei bestimmten Importen (etwa Stahl). Entscheidend sei das Feintuning: Einer der Wissenschaftler, auf dessen Arbeit sich Trump offiziell beziehe, habe in der «New York Times» erläutert, die Administration habe seine Forschung nicht verstanden; die Zölle – wolle man sie überhaupt dergestalt einsetzen, was er ablehne – hätten durch vier geteilt werden müssen.
Und manche Republikaner vermuteten, dass die Produktion so zwar in die USA zurückkehre, aber grossteils durch Roboter und KI erbracht werde. Hingegen freuten sich gewisse US-Gewerkschafter spezifisch über Trumps Autozölle, weil sie an ein Jobwachstum in der US-Autoindustrie glaubten.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Straumann sieht Chancen auf mehr inländische Produktion, «wenn die Arbeitskräfte vorhanden sind und die Rahmenbedingungen stimmen, die je nach Branche unterschiedlich sind. Mehr Protektion heisst aber auch, dass das Wirtschaftswachstum im Durchschnitt über die Jahre etwas zurückgeht – nicht dramatisch, aber spürbar.»
Die Prophezeiung
Hat Tobias Straumann Angst vor einer globalen wirtschaftlichen Apokalypse? «Nein. Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass sich Unternehmen und Staaten immer wieder anpassen können. Eine Wiederholung der Weltwirtschaftskrise der Dreissigerjahre ist unwahrscheinlich. Die damaligen Fehler sind uns immer noch in Erinnerung.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.