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Schweizer Armee lädt zum Volksfest
Alle wollen auf den Leo-Panzer

Kriegsbemalung im Gesicht: Gian will Scharfschütze werden und unsichtbar sein. 
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Gian, bald zehn Jahre alt, weiss genau, was er einmal werden will: Scharfschütze bei der Armee. Der beste Sniper der Schweiz. Er habe schon an der Chilbi geschossen «und immer getroffen». Schon seit Wochen habe er sich auf diesen Tag gefreut, er habe sich extra ganz in Militärgrün gekleidet, sagt die Mutter. Gerade lässt sich Gian von einem Soldaten das Gesicht mit Tarnfarben schminken. Sich unsichtbar machen und sich verstecken, aber auch aufspüren und anpirschen, nichts mache er lieber. Gern würde Gian auch in einem Bunker wohnen.

Buben wie Gian braucht das Land, das hat sich wohl auch die Schweizer Armee gedacht, als sie den militärischen Top Event «Connected» konzipiert hat, der bis heute Abend auf dem Waffenplatz Kloten-Bülach besucht werden kann. Erstmals sollen an einem Armee-Grossanlass auch Kinder ab einem Jahr angesprochen werden. Ein Zeltdorf mit allerlei Aktivitäten und Attraktionen wurde aufgebaut, ein Familienparcours soll den Nachwuchs spielerisch an Kriegsmaterial und -technik heranführen.  

Selbstverständlich ohne HG-Werfen oder Ballerspiele. Eine Rekrutierung der sanften Art: Die Kleinsten können durch einen XXL-Sandkasten robben und im selbst gebuddelten Graben in Deckung gehen. «Der Sand ist einen Meter tief», instruiert der Rekrut, der hier die Stellung hält. Schatten spendet ein Tarnnetz. 

Swiss Army Sunscreen: Die Tube im trendigen Camouflage-Look, Schutzfaktor 50, Geruch neutral. 

Die Hitze war in den vergangenen zwei Tagen der einzige, allerdings übermächtige Feind auf dem weitläufigen Waffenplatz – sie wird auch heute noch zu bekämpfen sein. Aber die Schweizer Armee ist gut aufgestellt und tipptopp organisiert: Kaum auf dem riesigen Gelände, erhalten die Besucher ein Fläschchen Wasser von den Männern in Uniform. Mannshohe Sprinkleranlagen wurden aufgestellt, die Kinder springen jauchzend durchs Wasser, die Eltern würden gern. 

Auch Sonnencreme, von der Armee selbst hergestellt, wird verteilt. Die Tube im trendigen Camouflage-Look, Schutzfaktor 50, Geruch neutral, ist ein willkommenes Souvenir. 8000 Wasserflaschen und ebenso viele Tuben der Swiss Army Sunscreen werden pro Tag vergeben. Der Eintritt ist frei, keinerlei Kontrollen: Die Armee lädt zum Volksfest ein. Die Bevölkerung soll sehen, was unsere Miliz leisten kann und mit welchen Mitteln sie ihren Auftrag erfüllen will. Vor allem im Bereich Digitalisierung und Cyber. Mehrere Zehntausend Besucherinnen und Besucher strömten seit Freitag täglich auf das riesige Gelände rund um die Panzerpiste in Kloten.

Glace schlecken im Dienst: 1500 Soldaten und Soldatinnen sind im Einsatz. 

Die 1500 Männer und die wenigen Frauen in Uniform sind ausgesprochen nett und scheinen gut gelaunt, beste Werbung fürs Militär. Dass sie im Dienst Glace schlecken dürfen, ist wohl eher die Ausnahme. Und immerhin dürfen sie für einmal die Tarnjacke ausziehen und das wollene Béret durch den Mutz ersetzen. Aber in den dicken Hosen staue sich die Hitze – und erst die schweren Schuhe…

Gegen 40 Posten gilts im Familienparcours zu bewältigen, zur Stärkung stehen Militärbiskuits bereit, staubtrocken wie eh und je. Die Armeeschöggeli schmelzen vor sich hin. André Rösli sitzt mit seiner Tochter Mia auf einer Bank im Bastelzelt. Ein Wachtmeister erklärt der Vierjährigen: «Hier darfst du einen Badge ausmalen.» Es müsse kein Schweizer Kreuz oder Panzer sein wie auf der Vorlage, «du darfst auch einen Regenbogen malen». Doch Mia malt ein Schweizer Kreuz. «Mir händ dihei imfall e Schwiizer Fahne!», sagt sie.

Schweizer Kreuz statt Regenbogen: André Rösli mit Tochter Mia.

Vater und Tochter sind extra aus dem Entlebuch LU angereist. Weil Mia grosses Interesse am Militär zeige, aber auch, weil er lange Dienst habe leisten dürfen und dabei Freundschaften fürs Leben geschlossen habe. Zudem wolle er sehen, was sich in den letzten 15 Jahren getan habe. Rösli stellt fest: Man benutze noch immer das gleiche Funkgerät. Und auch der gute alte Piranha sei noch da. «Schön wars», und wichtig fürs Land, fügt er an, er denke vor allem an Katastrophenschutz, Beispiel Waldbrand im Wallis, weniger an Krieg. 

Oberst Dominik Brasser, er ist verantwortlich für das Familienprogramm, räumt ein, nicht jeder Posten sei gleich attraktiv: Die Übernachtung im Familienbiwak, inklusive Grabenfeuer, war innert Kürze ausgebucht. Die Wagenburg jedoch habe ihm etwas Sorge bereitet. In diesem Zelt findet die Kommunikation statt. «Die Übermittler gelten als langweilige Truppe», sagt der Oberst, «auch Übermüder genannt, aber schreiben Sie das nicht», witzelt er. 

Seine Sorge war unbegründet, die Kinder findens gar nicht langweilig: Sie dürfen in den Schützenpanzer klettern und per Funk die aktuelle Lage rapportieren, «die Luft ist rein!», meldet Alex (8). Leo (5) hat sich vor allem aufs Funkgerät gefreut, zusammen mit Bruder Henry (9) und Vater Stephan Zemp lauscht er konzentriert den Anweisungen. 

Stephan Zemp mit seinen Buben Henry (l.) und Leo am Funkgerät in der Wagenburg. 

Kinder und Jugendliche, die möglichst viele Posten besucht haben, dürfen am Sonntag auf den Hauptpreis hoffen. Verlost wird ein Fahrrad, genauer: ein schwarzes «Ordonnanz-Fahrrad 05 mit Trommelbremse», 22 Kilo schwer, keine Gangschaltung. Jenes Militärvelo, an dem insbesondere Alt-Bundesrat Ueli Maurer grossen Gefallen fand. «Dieses Velo hat Kultstatus», sagt der Oberst. 

Beim Schiesssimulator, «Schiesskino» genannt, treffen wir Gian, den zukünftigen Scharfschützen, wieder. Die Kriegsbemalung hält. Gian erfährt: Schiessen darf man erst ab 15 Jahren. Er nimmts wie ein Mann und zieht weiter zu den Panzern.

Der Kampfpanzer Leopard 87 WE zieht die Massen an.

Oben auf dem Hügel ist das schwere Kriegsgerät aufgestellt. «Lueg emal dä Panzer», sagt eine Mutter mit Kinderwagen und kleinem Buben an der Hand, «dä isch dänn cool!» Sie meint den Leopard 87 WE, kurz Leo, er steht neben dem Büffel und dem Leguan, doch diese – der Bergepanzer und die Panzerschnellbrücke – scheinen weniger cool. Der Kampfpanzer ist es, der die Massen begeistert. Senioren und Kleinkinder, alle wollen in die Luke steigen, vier Mann haben Platz. In dieser Enge könne es bis 40 Grad heiss werden, sagt ein Rekrut, im Ernstfall müsste man bis zu zwölf Stunden in diesem Loch ausharren können. 

Man will nicht daran denken – in der Ukraine ist dieser Ernstfall Realität. Welche Auswirkungen hat dieser Krieg in Europa auf die Akzeptanz der Schweizer Armee? Oberstleutnant Martin Zemp sagt: «Die Dankbarkeit und Wertschätzung der Armee ist seit dem Krieg gestiegen.» Sicherheit sei heute nicht mehr selbstverständlich, so der Berufsoffizier.

Sinnlose Geldverschleuderung

Die Armeeshow hat ein Budget im niedrigen einstelligen Millionenbereich verschlungen. Während die GSoA das «sinnlos verpulverte Steuergeld auf Kosten anderer sicherheitsrelevanter Bereiche wie dem Klimaschutz» kritisiert, findet es SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf immerhin legitim, wenn man versuche, Armeethemen möglichst nahbar darzustellen. Heute würden sich die Menschen allerdings vor allem die Frage stellen, «wie die Schweiz angesichts dieser multiplen Krisen am besten ihre europäische und globale Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit wahrnehmen kann», so die Sicherheitspolitikerin aus Kloten.

Gedränge auf dem Panzer, alle wollen in die Luke steigen.  

Punkt 12 Uhr füllt sich das grosse Festzelt, die Schlangen vor den Essensausgaben werden lang. Es ist stickig – und riecht nach Käse. Die «militärische Käseschnitte», offenbar ein besonders beliebtes Gericht in der Schweizer Armee, ist auch hier der Renner. Das Stück Brot mit Käse kostet acht Franken, «in Combo» mit einem Glas Weisswein 14 Franken. Bei diesen Temperaturen würde der Käse auch ohne Ofen schmelzen. 

Moritz, Kevin und Cyrill, machen eine Mechanikerlehre im Armeelogistikcenter. 

Moritz, Kevin und Cyrill werden sich wohl für den «Connected-Hot-Dog» entscheiden. Die drei Jugendlichen, alle machen eine Mechanikerlehre im Armeelogistikcenter in Hinwil ZH, tragen Tarnschminke im Gesicht. Wollt ihr etwa auch Sniper werden? Nein, sagen sie. Aber einen Preis, ein Militärsackmesser, würden sie schon gern gewinnen. Noch fehlen ein paar Posten im Parcours, dann aber stehen die Chancen gut, dass sie zu den 20 Kindern und Jugendlichen zählen, die den Waffenplatz jeweils am Abend mit einem Messer im Sack verlassen.