Armee-Chef präsentiert Neuausrichtung13 Milliarden Franken für die Aufrüstung – die Einkaufsliste der Armee im Detail
Die Schweiz soll bis 2031 wieder verteidigungsfähig werden. Korpskommandant Thomas Süssli präsentierte dazu die neue Strategie. Die Pläne in der Übersicht.
50 Seiten hat das Papier, das die Schweizer Armee umwälzen soll. Darin präsentiert der Armeechef Thomas Süssli seine Pläne für eine Neuausrichtung: Die Armee soll wieder fähig werden, militärische Angriffe mit allen Mitteln abzuwehren – wie zu Zeiten des Kalten Krieges, aber adaptiert auf die heutige Realität.
Seit den 1990er-Jahren wurde dies gemeinhin als unnötig erachtet. Aktuell ist die Schweizer Armee stark auf internationale Einsätze und auf die Unterstützung ziviler Behörden ausgerichtet. Kämpfen steht dabei im Hintergrund. Jetzt schreibt Süssli, im Falle eines Angriffs solle die Schweiz überall verteidigt werden: am Boden, in der Luft, im Cyberraum, im Weltraum, im elektromagnetischen Raum und bei der Bekämpfung von Fake News.
Für den Armeechef ist klar: «Eine Epoche des Friedens in Europa geht zu Ende.» Er will nun rasch modernisieren und aufrüsten, wie er am Donnerstag vor den Medien betonte. Und zwar in allen Bereichen. 13 Milliarden Franken will Süssli bis im Jahr 2031 dafür ausgeben. Hier die Übersicht:
Ab 2031 soll die Armee Gegner effektiv abwehren können. Süssli würde gerne schneller handeln. Aber obwohl die Armee bis 2030 schrittweise mehr Geld zur Verfügung bekommt, geht nicht alles auf einmal. Das Ziel ist, dass künftig nicht mehr «nach ein paar Wochen Schluss» wäre, wenn sich die Schweiz verteidigen muss. So hatte Süssli die Verteidigungsfähigkeit der Armee kurz nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Interview mit dieser Redaktion eingeschätzt.
Die hohen Ausgaben für Investitionen sollen dank der vom Parlament beschlossenen schrittweisen Erhöhung des Armeebudgets auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts möglich sein. Zuletzt hatte der Bundesrat aber beschlossen, dass die Armeeausgaben langsamer wachsen sollen, als zuerst vorgesehen. Die Armee kritisiert dies nun und sagt, damit dauere es mindestens vier Jahre länger, bis die Schweiz sich effektiver verteidigen könne. Die wichtigsten Punkte aus Süsslis Plan im Detail:
Panzer und Infanterie
Die Bodentruppen sollen künftig konsequent den Abwehrkampf üben, auch in den Städten. Dafür will Süssli sie mit leichteren Waffen und Aufklärungssystemen ausrüsten. Sie sollen mobil sein und mehr Panzerabwehrwaffen erhalten. Geplant ist der Einsatz von Kampfpanzern, Schützenpanzern, Panzersappeuren und indirekten (Bogen-)Waffen. Im Militärjargon nennt sich dies «Kampf der verbundenen Waffen». Diese Taktik ist anspruchsvoll, wie diverse gescheiterte Operationen im Ukraine-Krieg zeigen. Sie muss geübt werden.
Cyber und Simulatoren
Die Truppen sollen neue, hochmoderne Simulatoren bekommen. Kampfsituationen sollen in der virtuellen Realität abgebildet werden – wie bei einem Computergame. «Dies entspricht den Lerngewohnheiten der jungen Generation», heisst es im Armeepapier. Das Ziel: die Motivation erhöhen und das «taktische Verständnis auf allen Führungsstufen verbessern».
Im Bereich Cyber will die Armee ebenfalls viel investieren. Dies betonte Alain Vuitel, der Projektleiter Kommando Cyber, an der Medienkonferenz der Armee. Seit 2021 werde das Kommando Cyber aufgebaut. 650 Personen seien damit beschäftigt. Es sei eine grundlegende Transformation im Gange. «Dies hat revolutionären Charakter», so Vuitel. Er zieht einen Vergleich zur Einführung der Luftwaffe Anfang des 20. Jahrhunderts.
Nötig sind aus Sicht der Armee auch neue, grössere und überbaute Truppenübungsplätze. Ganze Bataillone müssten gemeinsam üben können. In den wenigen kleinen Übungsdörfern, die der Armee zur Verfügung stehen, fehlen etwa Hochhäuser, Kanalisationen und Fabrikanlagen.
Militärische Bauten
Befestigte Kampfanlagen, geschützte Materialdepots, Panzersperren (umgangssprachlich «Toblerone» genannt) und unterirdische Anlagen wurden in den letzten 30 Jahren «im grossen Stil aufgegeben, veräussert und teilweise zurückgebaut». So steht es im Bericht. Die Abteilung, welche die Anlagen instand hielt, gibt es nicht mehr. Der Grund gemäss Süssli: Die Armee wollte sparen. Deshalb befindet sich das meiste Armeematerial heute in «Schmalgang-Lagern» von fünf oberirdischen Logistikzentren. Aus Sicht des Armeechefs ist das zwar wirtschaftlich günstiger, aber anfällig für Sabotageaktionen oder Beschüsse. Deshalb müsse nun wieder – wie früher – dezentralisiert werden. Ausserdem müssten die Lager geschützt sein. Sogar alte Festungen mit Minenwerfern sollen wieder geöffnet werden.
Luftabwehr
Den Schutz des Luftraums über der Schweiz sieht Süssli als Schlüsselelement der Verteidigungsfähigkeit. Mit dem Kauf von 36 Kampfjets F-35 und mit dem Boden-Luft-Abwehrsystem Patriot werde die Fähigkeit zur Luftverteidigung wesentlich erweitert. Mit den neuen Mitteln liessen sich Flugzeuge, Drohnen und Marschflugkörper im oberen Luftraum abwehren. Darunter bestünden aber Lücken im Abwehrdispositiv. Süssli will neue Abwehrwaffen kaufen, um tieffliegende Helikopter, Drohnen oder Lenkwaffen im Endanflug abwehren zu können. Aktuell hat die Armee nur noch wenige Militärflugplätze, künftig will sie alte Militärflugplätze wieder nutzen, genauso wie zivile Flugplätze und improvisierte Pisten.
Internationale Kooperation
Ist die Schweiz im Krieg, fallen die neutralitätsrechtlichen Verpflichtungen weg. Darauf müsse man vorbereitet sein, heisst es im Bericht. Die Armee müsse fähig sein, die Verteidigung auch in Kooperation mit anderen Streitkräften zu führen. Ein Alleingang sei keine Option, internationale Kooperation, auch bei den Beschaffungen, daher unumgänglich. Offiziere sollen vermehrt in Nato-Stäbe integriert werden und dort Erfahrungen sammeln. Mittelfristig sollen Bodentruppen auch im Ausland trainieren. Das würde hohe Kosten mit sich bringen.
Organisation
Auch bei der Armeeorganisation sieht Süssli viele Anpassungen vor. Das Heer hat heute drei mechanisierte Brigaden. Neu soll es zwei schwere Divisionen geben, die über alle Mittel verfügen, um einen Angriff aufhalten zu können. Die beiden Grossverbände sollen völlig eigenständig kämpfen können, am Boden wie in der Luft. Dazu gehören neben der Luftabwehr drei Panzerbataillone, ein mechanisiertes Bataillon, Artillerie, Minenräumung und unter anderem auch ein eigenes Logistikbataillon. Dies soll sicherstellen, dass die Schweiz beim Nachschub und Unterhalt von Waffensystemen möglichst autonom ist.
Weitere Sofortmassnahmen
Neben all diesen Plänen hat die Armeeführung dringliche Massnahmen beschlossen, über die sie sich weitgehend ausschweigt. Im Bericht angetönt ist lediglich, dass die ersten dieser Massnahmen bis Ende 2024 umgesetzt sein müssen.
Süssli betonte, die Pläne der Armee seien noch nicht von der Politik genehmigt. Er hoffe, dass dies bald geschehen werde.
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