Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Sondereinsatz in Afghanistan
Schweiz versucht verzweifelt, 280 Personen zu evakuieren

Die Schweiz hofft auf die Hilfe der deutschen Luftwaffe, um in einem ihrer Militärflugzeuge 280 Personen aus Kabul ausfliegen zu können.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Sie alle wollen nur noch eines: weg aus Afghanistan, weg aus der Machtsphäre der Taliban. Sie, das sind rund 30 Schweizerinnen und Schweizer, die im Land leben oder für eine humanitäre Organisation arbeiten; vor allem aber 38 lokale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Büros der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) in Kabul. Die lokalen Deza-Angestellten – Fahrer, Wachpersonal, Projektbearbeiterinnen und Sicherheitsberater – dürfen ihre Familien in die Schweiz mitnehmen. Rund 280 Personen wolle die Schweiz ausser Landes bringen, sagte Aussenminister Ignazio Cassis an einer Medienkonferenz am Mittwoch.

Zwar gehen erfahrene Diplomaten nicht davon aus, dass Angestellte der Schweiz ins Visier der Taliban geraten und Opfer von Racheaktionen werden könnten, aber eine absolute Sicherheit dafür gibt es nicht. Auch darum betonte Justizministerin Karin Keller-Sutter an der Medienkonferenz, die Schweiz sei als Arbeitgeberin verpflichtet, die Sicherheit ihrer Arbeitnehmer zu gewährleisten.

Das Aussendepartement (EDA) hat eine ungewohnt grosse und äusserst komplexe Evakuierungsoperation gestartet. Auch der Gesamtbundesrat war involviert. Er einigte sich am Sonntag auf einen Aktionsplan. Doch trotz einem immensen Aufwand konnten erst sechs Deza-Mitarbeiter mit Schweizer Pass evakuiert werden.

Charterflug bleibt am Boden

Die ursprüngliche Absicht des EDA war, ein gechartertes Flugzeug nach Afghanistan zu schicken. Die Maschine stand am Dienstag bereit, hob aber nie ab. Die Airline erhielt keine Landeerlaubnis, weil die amerikanischen Streitkräfte kurzfristig beschlossen, nur noch Militärflugzeuge auf dem Flughafen landen zu lassen. Auch am Mittwoch konnte die Maschine nicht starten.

Die Evakuierung via Flughafen gilt als einziger Weg, um Afghanistan zu verlassen. Die Flucht auf dem Landweg ist zu unsicher. Ein humanitärer Korridor ist nicht geplant. Doch für die in Kabul festsitzenden lokalen Angestellten und die Schweizer ist bereits die Fahrt zum Flughafen schwierig.

Die Fahrt aus der Innenstadt von Kabul zum Flughafen ist mühsam. Die Taliban haben Checkpoints errichtet und kontrollieren jeden Passanten.

Kurz nach der Machtergreifung durch die Taliban blockierten afghanische Zivilisten die Strasse zum Flughafen, um Regierungsvertreter und Eliten des Landes an der Flucht ins Ausland zu hindern. Später errichteten die Taliban selbst Checkpoints und übernahmen die Kontrolle der Passanten. Wer die Checkpoints passiert hat und am Flughafen ankommt, muss es bis in den Militärhangar schaffen, von wo die Militärflugzeuge abfliegen. Den Zugang zum Hangar, das sogenannte Nord-Gate, bewachen amerikanische Soldaten. Nur Leute mit einem Passierschein dürfen in den Hangar. Die Schweiz organisierte inzwischen zwar solche Bescheinigungen, konnte sich in Rettungsflügen anderer Staaten aber noch keine Plätze sichern. (Lesen Sie dazu: Warum waren nur 7 Passagiere an Bord des deutschen Transporters?)

«Die Lage am Flughafen ist unübersichtlich und ändert stündlich. Aber wir arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung.»

Hans-Peter Lenz, Leiter der Krisenzelle Afghanistan

«Die Lage am Flughafen ist unübersichtlich und ändert stündlich. Aber wir arbeiten für die in Kabul blockierten Schweizer und die auf eine Ausreise hoffenden lokalen Kolleginnen und Kollegen mit Hochdruck an einer Lösung. Wir wollen jede sich bietende Gelegenheit nutzen», versichert Hans-Peter Lenz, Chef des EDA-Krisenmanagementzentrums und aktueller Leiter der Krisenzelle Afghanistan. Lenz und sein Team müssen in Optionen planen und haben engen Austausch mit befreundeten Staaten. Am Mittwoch betonte Lenz, man müsse sich von der Idee verabschieden, sämtliche 280 Abreisebereiten in einem Flugzeug ausfliegen zu können. Aussenminister Cassis hofft aber nach wie vor, dass das amerikanische Militär wieder zivile Flugzeuge landen lässt.

Hans-Peter Lenz, Chef des EDA-Krisenmanagementzentrums (rechts), ist der Hauptverantwortliche für die Evakuierungen.

Eine Option für die Schweizer Behörden ist, dass die Amerikaner die Schweizer Fluchtgruppe nach Katar ausfliegen. Wahrscheinlicher ist, dass die Deutschen der Schweiz helfen und Leute in die usbekische Hauptstadt Taschkent transportieren und von da mit einer Lufthansa-Maschine nach Europa bringen.

Armeeeinsatz in Usbekistan

Recherchen dieser Zeitung zeigen, dass der Bundesrat am Samstag aufgrund der Sicherheitslage in Kabul eine Ämterkonsultation durchführte. Es ging unter anderem um die Entsendung von Angehörigen des geheimen Armeedetachements 10 in einem Charterflug der Swiss nach Kabul, um unbewaffnet bei der Evakuierung des afghanischen Deza-Personals zu helfen.

Ein Swiss-Flug nach Kabul zur Evakuierung der Deza-Personals war ursprünglich für diesen Freitag geplant. Am Sonntag beschloss der Bundesrat den Armeeeinsatz und den Charterflug formell, als sich die Ereignisse in Kabul bereits überstürzten. Das Charterflugzeug sollte darum neu schon am Dienstag starten. Als auch dies sich nicht realisieren liess, flog das sechsköpfige Militärdetachement statt nach Kabul nach Taschkent, mit der Einwilligung der usbekischen Behörden. Erst am Mittwochmorgen traf das Detachement schliesslich in Kabul ein.

Dort soll es dem EDA bei der Evaluation und Vorbereitung verschiedener Evakuationsoptionen unterstützen. (Lesen Sie dazu: Afghanistan – wie die Schweiz ohne blaues Auge davonkam) In der Folge wird es hauptsächlich darum gehen, die Schweiz-Reisenden im Transitbereich in Empfang zu nehmen und ihnen auf dem Weg nach Europa Begleitschutz zu geben, weil einige von ihnen ohne gültige Reisepapiere unterwegs sein werden.

Empfang im Bombenhagel

Wie aussergewöhnlich die aktuellen Evakuierungsbemühungen des EDA in Kabul sind, zeigt der Umgang mit vergangenen Krisensituationen. Im Jugoslawienkrieg im Jahr 1999 hielt die Schweiz ihre Botschaft in Belgrad trotz der Luftschläge der Nato-Streitkräfte weiter geöffnet. Von den westlichen Staaten harrte nur der Heilige Stuhl ebenfalls in Belgrad aus.

Der damalige Schweizer Botschafter lud gar zu Empfängen ein, was nicht ungefährlich war. Während einem seiner Empfänge bombardierten die Amerikaner eine militärische Einrichtung in der Nähe der Botschaft. Die Scheiben der Schweizer Botschaft zerbarsten, die Gäste flohen unter die Tische. Doch das Botschaftsgebäude blieb intakt. Nach dem Krieg halfen die Schweizer geflohenen Diplomaten bei der Rückkehr nach Belgrad.

Im Fall des Syrienkriegs und dem zweiten Irakkrieg war es dem EDA möglich, seine Botschaften in Damaskus und Bagdad geordnet zu schliessen und das Personal ohne Druck abzuziehen. Eine Evakuierung war jedoch nötig, als das EDA 2014 seine Botschaft in der libyschen Hauptstadt Tripolis schloss. Ein Dutzend Angestellte wurde nach Prag ausgeflogen. Die Schweiz beschäftigte aber einen lokalen Angestellten weiter. Dieser sollte in der Botschaft in Tripolis zum Rechten schauen und sie vor Plünderungen schützen.

«Apropos» – der tägliche Podcast

Den Podcast können Sie kostenlos hören und abonnieren auf
Spotify, Apple Podcasts oder Google Podcasts. Falls Sie eine andere Podcast-App nutzen, suchen Sie einfach nach «Apropos».