Dual-Use-GüterWird Völkerstrafrecht verletzt, ist Patentschutz fehl am Platz
Eigentumsrechte ermöglichen Konzernen enorme Profite. Doch damit muss Schluss sein, wenn Produkte für schwerste Verbrechen eingesetzt werden.

In der Schweiz ist die Neutralitätsdebatte seit dem russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine neu entflammt. Acht Generationen haben bisher unser Land ohne Bürgerkrieg genossen (Sonderbundskrieg von 1847), zehn Generationen ohne bewaffneten Konflikt mit dem Ausland (Wiener Kongress von 1815). Ein Rezept für Europa?
Wenn schon heute massiv aufrüsten, dann mit dem Ziel, die Europäische Union in eine neutrale bewaffnete Friedensmacht aufzubauen, nach Schweizer Muster. Der Marschplan sollte lauten: «Einheit in Vielfalt» ohne Mitverantwortung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Bundesrat hat kürzlich mehrere Berichte zum Konzept «Neutralität» veröffentlicht. Diese Analysen aus Schweizer Warte könnten in Zeiten von Ökozid und Klimawandel sowie von bevorstehenden Hegemonialbeben als Diskussionsgrundlage für Brüssel und die Hauptstädte Europas dienen.
Seit bald dreissig Jahren kassieren Grossunternehmen quasi weltumspannend monumentale Einkünfte aus Patenten, Marken, Copyright etc., dies dank universell durchsetzbaren Eigentumsrechten. Der Quantensprung erfolgte 1995 beim Inkrafttreten des Abkommens über handelsbezogene Immaterialgüterrechte (Trips) der Welthandelsorganisation (WTO). Der vom Trips-Abkommen gewährte völkerrechtliche Schutz von geistigem Eigentum hat zu einer immensen Suchtabhängigkeit bei Konzernen auf globaler Ebene geführt. Das Trips-Abkommen als «Viagra» für Waffenproduzenten und -händler ist nun zur Bekämpfung von völkerrechtswidrigen Verbrechen nutzbar zu machen.
Eine Aufrüstungsspirale steht bevor
Es geht nicht an, dass friedliche Länder auf ihrem Territorium das Immaterialgüterrecht an der Technologie ausländischer Eigentümer schützen müssen, die der Verletzung von Völkerstrafrecht dienen. Kein Patentschutz für Dual-Use-Erfindungen, deren zivile Nutzung auf dem Weltmarkt immense Profite erzeugen und gleichzeitig zur Begehung von Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggressionskriege verwendet werden.
Die industriellen Revolutionen haben zu industriellen Kriegen geführt, die auf Technologien beruhen, deren Finanzierung und Konkurrenzfähigkeit wesentlich durch Immaterialgüterrecht sichergestellt wird. Dank dem Trips-Abkommen erfolgt dies heute weitgehend zügellos. Die Doha-Erklärung der WTO von 2022, die für Covid-Impfstoffe eine Einschränkung von Patentrechten eingeführt hat, kann als Inspirationsquelle dienen – um die Enteignung von Immaterialgüterrecht durch Zwangslizenzen für Dual-Use-Technologien vorzusehen, die für Völkerstrafrechtsverletzungen zum Einsatz kommen. Diese Massnahme könnte auch auf der Sicherheitsausnahme gemäss Artikel 73 des Trips-Abkommens beruhen.
Eines ist bereits jetzt sicher: Militärausgaben werden überall gewaltig erhöht, was unausweichlich eine Aufrüstungsspirale zur Folge haben wird, mit der zunehmend akuten Gefahr neuer Kriege und internationaler Verbrechen. Ein Grundpfeiler der bewaffneten Neutralität im 21. Jahrhundert wäre die Verweigerung von Immaterialgüterrechtsschutz zugunsten von Komplizen solcher Gewalt. In diesem Geist könnte die Europäische Union dem Ideal einer bewaffneten Neutralität näher kommen. Im besten Fall wird dieses Ideal auch andere Regionen der Welt zu einer neuen Friedensordnung anspornen.
Christophe Germann ist Rechtsanwalt in Genf.
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