Treffen von InvestorenTollkühne Pläne – und die Moral? Schweizer Chefs stehen bei Saudis Schlange
Der Handel hiesiger Firmen mit dem autokratischen Wüstenstaat wächst, mit Support vom Bundesrat. Ein Einblick in Verhandlungen, die auch Fragen aufwerfen.
Wovon erzählt man einem Unternehmer aus Saudiarabien, um ihn und seine Firma in die Schweiz zu locken? Vielleicht von den Steuern (angenehm tief), vielleicht auch von der Lebensqualität (angenehm hoch).
Oder man macht es wie die Mitarbeiterin des Bundes im siebten Stock des Radisson Blue am Flughafen Zürich. Sie steht im Sitzungszimmer «Graubünden» und sagt: «It’s good to attract talents.» Tolle Arbeitskräfte habe es hier in der Schweiz, fleissig seien sie auch. Und dann sei da noch die angenehme Lage mitten in Europa, erzählt die Frau: «Two hours to the left you are in France, two hours to the right you are in Italy.» Im Herzen von Europa also, schnell in Frankreich und Italien. Im Saal sitzen ein Dutzend Männer aus Saudiarabien, sie hören mehr oder weniger aufmerksam zu.
Eine Delegation von saudischen Geschäftsmännern und Politikern ist im Januar nach Zürich gereist, um die Zusammenarbeit der beiden Länder voranzutreiben. Eine Reise unter den Schlagworten: Chancen, Möglichkeiten, Gelegenheiten. Damals gab es noch keine Anzeichen, dass die Credit Suisse untergehen könnte. Vielmehr war die Bank ein Symbol für das Näherrücken der beiden Länder: Die Saudi National Bank ist mit 10 Prozent Anteil grösste CS-Aktionärin.
Von offizieller Seite sprechen an diesem Tag Bundesrat Guy Parmelin und Khalid A. Al-Falih vom saudischen Ministerium für Investment miteinander. Dieses verteilt Lizenzen für ausländische Firmen und entscheidet, wer in Saudiarabien Geld verdienen darf. Informell treffen sich aber auch Unternehmer aus beiden Ländern zum Austausch. Bestandteil davon: eine Schnellbleiche über das Unternehmertum in der Schweiz.
Ziel: Mehr Aufträge
Manche Unternehmer schliessen an diesem Tag ein sogenanntes Memorandum of Understanding ab. Eine Vereinbarung, dass man künftig stärker zusammenarbeiten möchte. Zum Beispiel Chirurg Hani Oweira, der als Belegarzt für die Hirslanden-Klinik arbeitet.
Er hat vor Jahren einen Mann aus Saudiarabien operiert, es war eine Hochrisiko-Operation am Bauch. «Ich hatte Angst, dass sie scheitern könnte.» Die Angst war unbegründet, aus der erfolgreichen Behandlung ergaben sich Kontakte und weitere Operationen. Nun steht Hani Oweira im Raum «Graubünden» und schüttelt die Hand von Dr. Emad El Dukair, einem Vertreter der Firma Interhealth.
Nicht nur Oweira mit seiner eigenen Klinik, sondern auch Hirslanden will mit Saudiarabien künftig enger zusammenarbeiten. In der Praxis sieht das dann so aus: Ärzte wie Oweira reisen ins Königreich, um kranke Saudis zu operieren. Zugleich erhalten die saudischen Ärzte Zugang zu Schweizer Medizinalwissen.
Gold, Medikamente, Waffen
Die unterschriebenen Vereinbarungen sind ein Zeichen dafür, dass sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit der beiden Länder immer mehr intensiviert. Das Handelsvolumen stieg zwischen 2020 und 2022 von 2,2 auf 5,6 Milliarden Franken. Dabei exportiert die Schweiz deutlich mehr als sie importiert. Sie liefert vor allem Gold, dazu kommen Pharmaerzeugnisse, Maschinen, aber auch Kriegsmaterial.
Rund 100 Schweizer Firmen haben bereits einen Sitz in Saudiarabien. Rund 20 Firmen lassen sich pro Monat beraten von Switzerland Global Enterprise, einer Organisation für Exportförderung im Auftrag des Bundes. Beide Zahlen steigen stark an.
Der saudische Minister Al-Falih besucht am Rande seines Treffens mit Parmelin auch die rund 40 angereisten Schweizer und saudischen Geschäftsmänner. Sie warten, fast schon eingepfercht, in einem viel zu kleinen Sitzungszimmer. «Kontakte, Kontakte. Ohne sie läuft in Saudiarabien nichts. Mit E-Mails oder Anrufen kommst du da nicht weit. Du musst dorthin», sagt ein Schweizer Unternehmer im Bereich Kundensoftware. Ein Vertreter von Swissmem, dem Schweizer Maschinenbauverband, ist auch da. Er trägt einen Pin mit schweiz-saudischen Flaggen am Revers und bezeichnet sich als «Enabler». Als Ermöglicher für Schweizer Firmen, die nach Saudiarabien wollen.
«Die Schweiz ist die Nummer 1 in der Welt bezüglich Innovation.»
Dann kommt Minister Khalid A. Al-Falih. Er betritt den Saal, schüttelt Hände und lobt die Schweiz. «Sie hat einen grossartigen Ruf. Sie ist die Lieblingsferiendestination der Saudis. Und sie ist die Nummer 1 in der Welt bezüglich Innovation. Wir wollen davon lernen. Im Gegenzug bieten wir Wachstumsmöglichkeiten für Schweizer Firmen.»
Wenn man sich die Hoffnungen der Schweizer Unternehmern anhört, müssen diese Möglichkeiten immens sein. Das wird noch deutlicher, als der saudische Referent von den Projekten im eigenen Land zu erzählen beginnt.
Der tollkühne Plan
Die Saudis haben einen tollkühnen Plan. Einerseits Öl und Gas verkaufen, solange die Welt davon noch abhängig ist. Andererseits will man sich auf die Zeit danach vorbereiten. Man macht das mit Projekten im Bereich des Tourismus und der Technologie, vor allem im Feld der Energieversorgung. Saudiarabien setzt voll auf den Energieträger Wasserstoff, produziert aus Solar- und Windenergie. Es will diesen Markt in Zukunft dominieren.
Dafür wird gebaut. Neue Flughäfen, neue Schiffshäfen, neue Metros, neue Städte. «Amaala» heisst ein Projekt. Eine Stadt, gebaut für luxuriösen Wellness-Tourismus. Oder Qiddiya, ein Ort für Unterhaltung, Kunst und Sport samt der längsten, schnellsten und höchsten Achterbahn der Welt.
Und dann das Prestigeprojekt Neom. Es beinhaltet eine Zukunftsstadt für neun Millionen Menschen, die laut Website das Ziel hat, die «Menschheit neu zu formen» und «das Leben, das wir leben, zu ändern». Die Stadt kommt auf einer Linie zu stehen, sie heisst: «The Line». 170 Kilometer lang soll sie werden, 200 Meter breit, 500 Meter hoch, CO₂-neutral, autofrei, Kostenpunkt: 500 Milliarden Dollar.
Das ist mutig. Oder grössenwahnsinnig. Und es braucht Geld. Gleichzeitig ergeben sich, einmal mehr, Möglichkeiten. Konzerne aus aller Welt strömen in die Region, um mitzuverdienen. Bei den Windparks, bei den Solarparks, bei den Elektrolyseanlagen zur Wasserstoffherstellung. So auch ABB, die mit ihren 450 Mitarbeitenden vor Ort für das Projekt Neom «Technologie für ein Projekt für erneuerbare Energien» liefert. Genauere Angaben macht die Firma auf Anfrage nicht.
Viele möchten von diesen Gelegenheiten profitieren. Joe Biden, Emmanuel Macron, Olaf Scholz, sie alle besuchten die arabischen Autokraten in den vergangenen Monaten. Die Besuche drehten sich um die Energieversorgung. Es ging aber auch darum, Bündnisse zu stärken. Nicht dass die reichen Staaten im Nahen Osten weiter in Richtung China und Russland abdriften. Denn auch Xi Jinping war zu Besuch, gerade hat China eine Annäherung zwischen den verfeindeten Ländern Iran und Saudiarabien vermittelt.
Moralisch kompliziert
Demokratien verbünden sich mit Autokratien. Das ist moralisch kompliziert. Einerseits weil sich Saudiarabien gerade auf seine Art und in seinem Tempo gesellschaftlich öffnet. Andererseits ist bekannt, dass im Land Menschenrechte je nach Situation nichts mehr gelten, dass Frauen nicht die gleichen Rechte haben wie Männer, dass kritische Journalisten ermordet werden und die Todesstrafe angewendet wird.
Es geht deshalb bei der schweiz-saudischen Zusammenarbeit mehr als nur um den simplen Handel Wachstumsmöglichkeiten gegen Innovation. Das hört man auch bei der Rede des saudischen Ministers Al-Falih in Zürich vor den Unternehmern. Er sagt: Wenn man mit der verstärkten Zusammenarbeit auch etwas gegen «dieses unglückliche Missverständnis betreffend Frauenrechte» tun könne, sei das begrüssenswert.
Es geht also auch darum, den Ruf Saudiarabiens in der Welt zu verbessern. Dieser Instrumentalisierung müsse man sich als Land und als Firma bewusst sein, wenn man mit Ländern wie Saudiarabien Geschäfte mache, sagt Monika Roth, eine Compliance-Expertin. «Wir wissen, dass das saudische System korrupt ist, dass es keine unabhängige Justiz gibt, dass Mitarbeiter schlecht geschützt sind.»
Zugleich sei ihr klar, dass man nicht gleich alle Beziehungen abbrechen könne, wenn Menschenrechte nicht eingehalten würden. «Es ist immer ein Abwägen, oft ein opportunistisches Abwägen.» In der Vergangenheit versuchte man, solche Situationen häufig schönzureden und sprach davon, mit einem Engagement Reformen anstossen zu können – Wandel durch Handel. «Die Idee kann man heute mit Blick auf Russland oder China vergessen, das war reine Fantasie», sagt Roth.
Chirurg Hani Oweira versucht derweil gar nicht erst, mit saudischen Kunden politische Diskussionen zu führen. Er habe aber beobachtet, wie sich das Land zuletzt gesellschaftspolitisch geöffnet habe.
Für ihn hat sich die verstärkte Zusammenarbeit bereits gelohnt. Oweira hat in der Zwischenzeit drei weitere saudische Patienten in Zürich operiert. Eine Reise zum Geschäftspartner in Saudiarabien hat er hingegen noch nicht gemacht, auch weil die neu eröffnete Klinik noch nicht bereit sei. Das soll sich bald ändern. «Wir können nicht nur profitieren, wir müssen auch liefern.»
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