Joe Biden in SaudiarabienKronprinz macht klare Ansage für die Zukunft
Ein bisschen mehr Öl soll fliessen – sonderlich erfolgreich war der Golf-Besuch des US-Präsidenten aber nicht. Muhammad bin Salman demonstrierte Selbstbewusstsein.
Kaum hat US-Präsident Joe Biden seinen umstrittenen Besuch in Saudiarabien beendet, beginnt der Kampf um dessen Deutung: Wer hat bekommen, was er wollte, Saudiarabien und seine Partner oder die Amerikaner? Der saudische Aussenminister Prinz Faisal bin Farhan bin Abdullah al-Saud stellte nach dem Gipfeltreffen mit neun arabischen Staaten und den USA klar, es gebe nicht «so etwas wie eine arabische Nato» und man habe auch nicht über ein mögliches «Verteidigungsbündnis» mit Israel diskutiert.
Stattdessen betonte Prinz Faisal, sein Land habe dem Iran die Hand gereicht, um normale Beziehungen anzustreben. «Wir wissen, was wir wollen, und wir wissen, wie wir es erreichen können. Wir warten nicht darauf, dass jemand unsere Bedürfnisse erfüllt», sagte Prinz Faisal. Eine klare Ansage an Biden, der seine Reise nach Nahost auch damit begründet hatte, Israel stärker mit der Region vernetzen zu wollen. Zuvor war Biden erstmals zu Besuch in Israel und den Palästinensergebieten.
Biden erreicht zwei Zugeständnisse
Den Erfolg des Gipfeltreffens aus saudischer Sicht konnte man am Sonntag auf der Titelseite der Zeitung «Saudi Gazette» nachlesen: «Iran wird keine Nuklearwaffen bekommen», steht dort in dicken schwarzen Buchstaben. Zudem: Biden sichert Saudiarabien Sicherheitsgarantien zu, achtzehn Abkommen in Bereichen wie Energie, Kommunikation, Raumfahrt und Gesundheitswesen wurden abgeschlossen sowie die Verlängerung von US-Besuchervisa für saudische Staatsbürger von fünf auf zehn Jahre.
Auch die Khashoggi-Affäre landete auf der Titelseite, im Ton so, als sei die Sache erledigt: «Alle rechtlichen Massnahmen ergriffen, teilt Kronprinz Biden mit.» (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Allein Bidens Besuch ist schon ein Sieg für den Kronprinzen».)
Immerhin, zwei Zugeständnisse konnte Biden verbuchen, der beim Gipfeltreffen ein neues Kapitel zwischen Saudiarabien, dessen arabischen Partnern und den USA ankündigte. So erklärte Saudiarabien, den Luftraum für Flüge von und nach Israel zu öffnen und die Ölförderkapazität pro Tag um eine Million Barrel zu erhöhen, also von derzeit 12 auf 13 Millionen Barrel täglich. Ein bahnbrechender Erfolg blieb für Biden allerdings aus.
In Washington wird Biden für seinen Besuch prompt heftig kritisiert. Kritiker werfen ihm vor, den umstrittenen Kronprinzen Muhammad bin Salman, kurz MbS, zu rehabilitieren. US-Geheimdienste sind überzeugt, dass der De-facto-Herrscher den Mord an dem regimekritischen Publizisten Jamal Khashoggi in Auftrag gegeben hat. Der US-Bürger Khashoggi war im Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul von einem extra aus Riad angereisten Mordkommando zerstückelt worden.
«Wir werden nicht weggehen und ein Vakuum hinterlassen, das von China, Russland oder dem Iran ausgefüllt wird.»
Seitdem ist ein Tiefpunkt in den bilateralen Beziehungen erreicht, der laut der Golf-Expertin Yasmine Farouk jenen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 noch unterschreitet. Hinzu kommt, dass der US-Präsident im Wahlkampf für die US-Zwischenwahl im November einen harschen Ton gegenüber Saudiarabien angeschlagen hat: Muhammad bin Salman sei «ein Schurke» und das Königreich spätestens seit dem Mord an dem regimekritischen saudischen Publizisten Khashoggi auf dem Weg, «ein Pariastaat» zu werden.
Doch bereits unter Bidens Vorvorgänger, US-Präsident Barack Obama, waren die Beziehungen abgekühlt. Die Saudis fühlen sich mit Blick auf den Erzfeind Iran im Stich gelassen von den Amerikanern – und suchen seitdem verstärkt die Nähe zu China und Russland.
Nicht nur deshalb ist Biden nach Jidda gereist, auch wenn er vor den arabischen Staaten betonte: «Wir werden nicht weggehen und ein Vakuum hinterlassen, das von China, Russland oder dem Iran ausgefüllt wird.» Saudiarabien reagierte zuletzt weder auf die Bitte, im Zuge des Ukraine-Kriegs mehr Öl zu fördern, noch nahm der saudische Kronprinz Telefonate aus Washington entgegen. Der Frust an der Zapfsäule angesichts steigender Energiepreise könnte die Demokraten bei den Zwischenwahlen viele Mandate kosten.
Das im Vorfeld heiss diskutierte Zusammentreffen zwischen dem US-Präsidenten und dem saudischen Kronprinzen – wird es einen Handschlag geben, ja oder nein? – begann am Freitagabend mit einem Weder-noch, nämlich mit einem pandemisch korrekten Faustgruss. Fred Ryan, Herausgeber der «Washington Post», war das schon zu viel: Er nannte die Begrüssungsform «beschämend» und erklärte auch gleich, warum: «Es projizierte ein Mass an Intimität und Komfort, das MbS die ungerechtfertigte Erlösung bietet, nach der er verzweifelt gesucht hat.»
Biden trat angesichts der Kritik aus der Heimat vor die Kamera und betonte mehrmals, dass er den Mord an Regierungskritiker Khashoggi «glasklar» angesprochen habe. Bin Salman habe jedoch jede Verantwortung zurückgewiesen. Als eine Journalistin nachfragte, wie er sich sicher sein könne, dass es nicht noch einmal zu so einer Tat kommen könne, fuhr Biden die Reporterin an: «Was für eine dumme Frage, wie soll ich mir da sicher sein können?» Dennoch habe er Muhammad bin Salman vor künftigen Gewalttaten gewarnt: Noch mal so etwas, und es hätte eine «Antwort» der USA zur Folge.
Gespräch über Menschenrechte
Das Thema Menschenrechte hatten die Amerikaner bereits vor der Biden-Reise auf die Agenda gesetzt, doch die Saudis wollten davon nichts hören. Sie verweisen stets auf die zahlreichen Modernisierungen im Land, die der Kronprinz angestossen habe. Tatsächlich gibt es erst seit Salmans Herrschaft ein öffentliches Leben in Saudiarabien mit Kinos, Cafés, Konzerten. Frauen haben zwar mehr Rechte im Alltag – doch im Gegenzug unterbindet er jegliche Kritik oder politische Teilhabe. Menschenrechtsaktivisten, Frauenrechtlerinnen oder Oppositionelle landen regelmässig im Gefängnis oder verschwinden einfach.
Was Biden in Jidda nicht sagte, worauf aber saudische Kommentatoren mit gewissem Stolz verweisen: Muhammad bin Salman soll Bidens kritische Nachfragen gekontert haben, indem er den US-Präsidenten an die schmutzigen Kapitel der Antiterrorbekämpfung erinnert habe, etwa an das Foltergefängnis Abu Ghraib im Irak. Auch habe er Biden auf die Ermordung der US-Journalistin Shireen Abu Aqleh angesprochen und gefragt, was die USA bezüglich der Aufklärung dieser Tat getan hätten. Die Al-Jazeera-Reporterin war im Mai im Westjordanland erschossen worden, als sie dort über einen Einsatz der israelischen Armee berichten wollte.
Auch am Golf haben sich die Zeiten geändert, eine junge Herrschergeneration möchte auf Augenhöhe mit den Amerikanern sprechen.
Doch auch Muhammad bin Salman scheut den Bruch mit den USA, wirbt stattdessen für eine Neuorientierung der amerikanischen Aussenpolitik, was bedeutet: eine Rückkehr zur trumpschen Art ohne moralische Belehrungen aus Washington. Es sei wichtig, zu wissen, dass jedes Land andere Werte habe und respektiert werden müsse, sagte der 36-jährige Kronprinz. «Wenn wir davon ausgehen, dass die USA nur mit Ländern Geschäfte machen, die hundertprozentig ihre Werte teilen, dann wird es ausser der Nato keine Länder geben, die sich darauf einlassen.»
Auch am Golf haben sich die Zeiten geändert, eine junge Herrschergeneration möchte auf Augenhöhe mit den Amerikanern sprechen. Sie bestimmt, wie das neue saudisch-amerikanische Kapitel nun aussehen wird.
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