Geflüchtete aus der UkraineRoma mit Schutzstatus S lösen Debatte aus
Roma aus der Ukraine sorgen derzeit bei den Kantonen für Unmut. Der Vorwurf: Manche von ihnen sollen den Schutzstatus S missbrauchen. Der Bund bestätigt, dass es Probleme gibt.
Immer noch flüchten Ukrainerinnen und Ukrainer vor dem Krieg in die Schweiz. Darunter sind zurzeit viele Roma. Nun haben mehrere Medien berichtet, dass Kantone einen Missbrauch vermuten. So wird der Verdacht geäussert, es handle sich gar nicht um ukrainische Roma, viele sprächen weder Ukrainisch noch Russisch. Weiter wird kritisiert, Roma würden oft verschwinden und später wieder zurückkehren, und manche seien mit gefälschten oder illegal erworbenen Pässen unterwegs. Gemeinden beklagen zudem, viele hinterliessen Wohnungen in einem schlechten Zustand.
Gaby Szöllösy, Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK), sagte der NZZ, die Roma mit Schutzstatus S seien «fast schweizweit ein Thema». Der SODK-Vorstand hat sich bislang aber nicht näher mit dem Thema befasst, wie Szöllösy auf Anfrage sagt. Man habe das Staatssekretariat für Migration (SEM) lediglich gebeten, die Dokumente sorgfältig zu prüfen.
Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Erhalten Roma in der Schweiz den Schutzstatus S?
Schätzungen gehen davon aus, dass in der Ukraine zwischen 200’000 und 400’000 Roma leben. Roma erhalten in der Schweiz den Schutzstatus S, wenn sie ukrainischer Identität sind und vor dem Ausbruch des Kriegs ihren Lebensmittelpunkt in der Ukraine hatten. Können sie dies nicht glaubhaft machen, lehnt das SEM das Schutzgesuch ab. Das gilt für alle, die den Schutzstatus S beantragen.
Das SEM prüft auch, ob es Hinweise darauf gibt, dass eine Person bereits in einem anderen europäischen Staat Schutz erhalten hat. Auch in diesem Fall wird der Antrag abgelehnt. In den vergangenen Monaten ist die Zahl der abgelehnten Anträge gestiegen, weil zwei Jahre nach Kriegsbeginn vermehrt Personen einen Antrag stellen, die schon in einem anderen Land Schutz erhalten haben. So wurden im vergangenen November über 100 Anträge abgelehnt.
Kommen Roma mit gefälschten oder illegal erworbenen Pässen in die Schweiz?
Das SEM schreibt, Fälschungen könnten bei den Echtheitsprüfungen durch Fachleute gut erkannt werden. «Es kommt vereinzelt vor, dass solche festgestellt werden.» Anders verhält es sich mit echten Ausweisen, die illegal verkauft wurden. Das ist den Pässen nicht anzusehen. Dazu schreibt das SEM, es habe Kenntnis davon, dass in der Ukraine Identitätspapiere teilweise illegal hergestellt und verkauft würden. Die Thematik betreffe nicht nur die Schweiz. «In Fällen, in denen Missbrauch vermutet wird, werden umgehend weitere Abklärungen getätigt und die notwendigen Massnahmen ergriffen», hält das SEM fest.
Das Problem dabei: Der Schutzstatus S soll das Asylsystem eigentlich entlasten. Sind weitere Abklärungen nötig, führt dies zu einem Anstieg der ohnehin schon hohen Pendenzen. Hinzu kommt die Frage, wohin Roma ausgewiesen werden können. Das SEM schreibt, es ordne die Wegweisung bei einer «zumutbaren Schutzalternative» an.
Können Schutzsuchende aus der Ukraine die Schweiz verlassen und später erneut Schutz beantragen?
Gemäss den geltenden Regeln ist es zulässig, wiederholt ein Asyl- oder ein Schutzgesuch zu stellen. Bei zwischenzeitlich abwesenden Personen prüft das SEM aber, ob der Schutzstatus S wegen eines wiederholten oder längeren Aufenthalts im Heimatstaat zu widerrufen ist – oder ob der Anspruch erloschen ist, weil der Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt wurde. Das SEM kann – von Ausnahmen abgesehen – den Schutzstatus S widerrufen, wenn sich eine Person mehr als 15 Tage pro Quartal in der Ukraine aufhält. Nicht möglich ist es, mehrmals Rückkehrhilfe zu beziehen.
Wie viele Roma aus der Ukraine haben den Schutzstatus S beantragt?
Dazu gibt es keine Zahlen, weil nur die Staatsbürgerschaft erfasst wird, nicht aber die Ethnie.
Ist die Sprache ein Indiz für eine andere Herkunft?
Sprechen Roma kein Ukrainisch oder Russisch, heisst das nicht zwingend, dass sie aus einem anderen Land als der Ukraine stammen. Es sei nicht ungewöhnlich, dass Roma nicht die Landessprache sprächen, betont die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH).
Flüchtlingsorganisationen weisen zudem darauf hin, dass Roma oft Diskriminierungen ausgesetzt sind, auch in der Ukraine und in deren Nachbarländern. Es handle sich um eine vulnerable Flüchtlingsgruppe. Nach Kriegsausbruch gab es Berichte, wonach Ungarn Roma aus der Ukraine den Grenzübertritt verwehrte.
Was fordert die Politik?
Der St. Galler Mitte-Ständerat Benedikt Würth fordert mit einem parlamentarischen Vorstoss Anpassungen. So soll der Schutzstatus aberkannt beziehungsweise nicht wiedererlangt werden können, wenn eine Person für eine bestimmte Aufenthaltsdauer ausreist, wenn eine Person Rückkehrhilfe bezogen hat und wenn der Schutzstatus S missbräuchlich erlangt wurde.
Wie lange gilt der Schutzstatus S?
Die Diskussion um die Roma befeuert die Diskussion um den Schutzstatus S. Die SVP fordert schon seit längerem dessen Aufhebung. Der Bundesrat hat stets betont, er werde den Schutzstatus S im Einklang mit der EU aufheben. Vergangenen Herbst beschloss er, ihn bis März 2025 zu verlängern. Das SEM hat aber bereits ein Konzept für die Aufhebung erarbeitet.
Ohne Schutzstatus S könnten Personen aus der Ukraine ein Asylgesuch stellen und würden – allenfalls je nach Herkunftsregion – als Kriegsflüchtlinge vorläufig aufgenommen. In den vergangenen Monaten beantragten jeweils rund 1000 bis 2000 Personen aus der Ukraine den Schutzstatus S. Gleichzeitig kehren aber viele Ukrainerinnen und Ukrainer in die Heimat zurück. Im vergangenen Jahr sind rund 11’000 freiwillig zurückgekehrt.
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