Brisante Aussage von Berater in KiewSchadet die Schweiz mit ihrer Flüchtlingshilfe der Ukraine?
Eine Milliarde Franken gibt der Bund jährlich für die Ukraine-Flüchtlinge aus. Ein ukrainischer Regierungsberater will, dass dies aufhört. Kommt es jetzt zur Kehrtwende?
Es sind erstaunliche Worte, die Serhi Leschtschenko am Rand des WEF äusserte. «Ich glaube, die Gastländer sollten aufhören, die Flüchtlinge zu unterstützen, damit sie heimkehren», sagte der Berater des Stabschefs des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski den Tamedia-Zeitungen. Die Ukraine sei auf die Rückkehrer dringend angewiesen, auch auf Frauen und Kinder.
«Sie können in der Ukraine im Supermarkt ukrainische Produkte kaufen und Mieten für eine Kiewer Wohnung bezahlen, die Kliniken und Apotheken nutzen und ihre Steuern bezahlen, damit wir Schulen finanzieren können», sagte Leschtschenko. «Ihr Geld fehlt in der Wirtschaft.»
Leschtschenko fürchtet, dass das Land eine ganze Generation an jungen Leuten verliert: «Jetzt gehen ihre Kinder und Jugendlichen in europäischen Ländern zur Schule und integrieren sich immer mehr. So wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie zurückkommen, immer geringer.»
Nur jeder fünfte Ukraine-Flüchtling arbeitet
In der Schweiz leben zurzeit knapp 66’000 ukrainische Flüchtlinge mit Schutzstatus S. Laut Finanzministerin Karin Keller-Sutter kosten sie mindestens eine Milliarde Franken pro Jahr. Dies liegt vor allem an der tiefen Erwerbsquote. Nur 21 Prozent der Ukraine-Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter haben gemäss den neuesten Zahlen des Staatssekretariats für Migration einen Job – obschon viele von ihnen schon fast zwei Jahre in der Schweiz sind.
Laut Leschtschenko liesse die Sicherheitslage eine Rückkehr problemlos zu. «Wir haben 3 Millionen Menschen, darunter Hunderttausende Kinder, die in Kiew leben», sagt er. «Das Argument, es sei nicht sicher, ist Unsinn.»
Schadet die Schweiz mit ihrer Flüchtlingspolitik tatsächlich der Ukraine? Müsste man die Unterstützung also sofort stoppen?
Nein, findet SP-Co-Fraktionschef Samuel Bendahan. «Der Schutzstatuts S muss erhalten bleiben, solange in der Ukraine Krieg herrscht», sagt er. «Ich kann aber nachvollziehen, dass Vertreter der ukrainischen Regierung möglichst viele von einer Rückkehr überzeugen möchten.»
Einzig die SVP will handeln
Grünen-Nationalrätin Irène Kälin zeigt sich etwas offener. Es sei grundsätzlich eine positive, wenn auch überraschende Nachricht, wenn die Rückkehr zum Thema werde, sagt sie. «Eine Aufhebung des Flüchtlingsstatus sollte aber nur in Absprache mit anderen europäischen Staaten erfolgen, ein Alleingang wäre nicht sinnvoll.»
Auch FDP-Präsident Thierry Burkart glaubt, dass der Schutzstatus S nur in Abstimmung mit anderen Ländern beendet werden sollte. «Das wird wohl noch etwas dauern, denn der Krieg geht ja weiter.»
Die SVP ist naturgemäss anderer Meinung. Fraktionspräsident Thomas Aeschi sieht sich durch die Worte Leschtschenkos bestätigt: «80 Prozent der Ukraine befindet sich nicht direkt im Kriegsgebiet und ist einigermassen sicher. Die SVP fordert schon lange, dass der Schutzstatus S für Menschen aus diesem Gebiet aufgehoben wird.» Kälins und Burkarts Argument, die Schweiz müsse sich mit anderen europäischen Ländern absprechen, hält er für falsch. «Wir sind ein unabhängiges Land und sollten eigenständig entscheiden.»
Für Leschtschenko ist eine möglichst rasche Rückkehr nicht nur aus wirtschaftlicher und militärischer Sicht essenziell, sondern auch aus menschlicher. Denn die Kluft zu den Zurückgebliebenen werde immer grösser: «Die Menschen, die die Ukraine verlassen haben, werden nie die Menschen verstehen, die geblieben sind.»
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