Vor dem Schweizer AchtelfinalDie Schweiz Favorit gegen Italien? Wirklich?
Immer 0:1 zurück, keine guten Stürmer und Glück in letzter Sekunde: Italien hat an dieser EM bislang vor allem enttäuscht. Aber die Geschichte zeigt: Unterschätze nie die «Azzurri».
Am Montagabend, Italien hat sich gerade gegen Kroatien in den EM-Achtelfinal gewürgt, piept ein SMS rein. Darin steht: «Zum ersten Mal seit dem Urknall ist die Schweiz gegen Italien Favorit.»
Am Dienstagmorgen am Bahnhof, im Büro und beim Ganggespräch klingt es ähnlich. Die Schweiz hat bisher besser gespielt als Italien. Die Schweiz ist höher einzuschätzen. Die Schweiz hat zuletzt gut ausgesehen gegen Italien. Die Schweiz, die Schweiz, die Schweiz.
Ja, es stimmt. Italien hat an dieser EM bisher nicht überzeugt.
Italien lag in drei Gruppenspielen dreimal 0:1 zurück.
Italien kassierte im ersten Match gegen Albanien nach 23 Spielsekunden das schnellste Gegentor der EM-Geschichte.
Italien war gegen Spanien praktisch chancenlos.
Italien brauchte 98 Minuten, um gegen Kroatien ein Tor zu erzielen.
Italien hat keine aussergewöhnlichen Stürmer.
Italien brauchte gegen Kroatien bis zum 1:1 einen Verteidiger für die gefährlichsten Abschlüsse – Alessandro Bastoni. Und einen Verteidiger brauchte es auch, um den Ausgleich vorzubereiten – Riccardo Calafiori.
Dieses Italien steht auch in der Heimat nicht besonders hoch im Kurs. Trainer Luciano Spalletti jedenfalls reagierte nach dem Kroatien-Match genervt auf die mediale Kritik an den Leistungen, «ich kann sie nicht akzeptieren», sagte er.
Nicht besonders toll gespielt, Glück gehabt mit acht Minuten Nachspielzeit. Aber eines bleibt: Es ist immer noch Italien. Und hat es das mit ihnen nicht schon an anderen Turnieren so ähnlich gegeben von den «Azzurri»? Ein langsamer Start, aber plötzlich waren sie da. Eine nicht besonders talentierte Mannschaft, die dann doch plötzlich ganz vorn mitmischelte.
Einige Europameister von 2021 sind noch immer dabei
2021 wurden die Italiener Europameister mit einem Finalsieg im Wembley gegen England. Gut, damals grätschten im Zentrum der Abwehr noch Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini. Im Mittelfeld lief Marco Verratti. Im Angriff gabs noch den flinken Dribbler Lorenzo Insigne und Strafraumstürmer Ciro Immobile. Aber ein paar von damals sind immer noch dabei.
Stürmer Federico Chiesa hat vielleicht nicht mehr die Form wie damals, und auch Jorginho hat an Einfluss verloren. Aber Gianluigi Donnarumma ist weiterhin ein erstklassiger Goalie. Nicolo Barella ist einer von einer Handvoll Inter-Spielern im Team, die vor einem Jahr im Final der Champions League gestanden sind. Giovanni Di Lorenzo und Giacomo Raspadori sind Meisterspieler aus Neapel. Gianluca Scamacca hat gerade mit Atalanta die Europa League gestürmt.
An dieser EM hat dieses Italien ein 0:1 gegen Albanien gedreht. Es hätte mit etwas Glück am Ende gegen Spanien trotz klarer Unterlegenheit noch das 1:1 erzielen können. Es hat gegen Kroatien in letzter Sekunde einen Ausweg gefunden.
Und dann die Schweiz. Ja, es stimmt. Sie hat hervorragend begonnen beim 3:1 gegen Ungarn. Sie ist stark aufgetreten beim 1:1 gegen Deutschland. Sie überrascht mit taktischen Kniffen von Coach Yakin, mit Spielern wie Ndoye, Aebischer oder Duah. Sie überzeugt mit Akanji, Xhaka. Embolo wird langsam so fit, dass er den Unterschied machen könnte. Und dass der Match gegen die Schotten (1:1) zwischendurch nicht so gut war, ist irgendwie schon vergessen.
Viel Euphorie, grosser Optimismus – war da nicht schon einmal etwas?
Aber waren nicht Euphorie und Optimismus bei früheren Gelegenheiten auch schon gross beim Schweizer Team, im Land? An der WM 2006 vor dem Achtelfinal gegen die Ukraine. An der WM 2018 vor dem Achtelfinal gegen Schweden. An der WM 2022 vor dem Achtelfinal gegen Portugal, als einige schon daran dachten, dass im Viertelfinal «nur» Marokko wartet.
Marokko hat es dann in den Halbfinal geschafft. Und die Schweiz hat sich mit einem 1:6 gegen Portugal verabschiedet.
Deshalb: Favorit gegen Italien? Wirklich?
Ja, es stimmt. Die Schweiz hat sich Selbstvertrauen und eine schöne Ausgangslage erspielt. Diese Schweiz lässt hoffen, vielleicht sogar ein bisschen träumen. Am Samstag ist ein grosser Match. Vielleicht gibs dann tatsächlich einen nächsten grossen Moment. Aber so einfach wird das nicht.
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