Gastbeitrag zu EuropaWarum wir keinen Rahmenvertrag brauchen
Für ein paar Vorteile beim Marktzugang sollen wir der EU massive Eingriffe in unsere Demokratie erlauben? Keine gute Idee, finden Marcel Erni und Philip Erzinger von Kompass Europa.
Bundesrat Beat Jans schreibt in seinem Meinungsbeitrag vom 23. Juli in der «Neuen Zürcher Zeitung» ein Plädoyer für einen Rahmenvertrag 2.0 mit der EU. Dabei stellt sich die Frage, wieso ein amtierender, aber nicht verhandlungsführender Bundesrat während laufender Verhandlungen öffentlich Auskunft über die wichtigsten Parameter gibt. Gibt Jans seine persönliche Meinung wieder, oder macht er Ignazio Cassis den Job streitig? Dass der Neo-Bundesrat mit blinder Begeisterung Werbeartikel in Schweizer Tageszeitungen platziert, offenbart die fehlende Verhandlungsstrategie mit der EU und blamiert den Gesamtbundesrat.
Es ist die Taktik der Befürworter des Rahmenabkommens, dieses als «Bilaterale III» zu bezeichnen. Es soll insinuieren, dass wir mit den aktuellen Verhandlungen eine Fortführung der Bilateralen I und II erreichen. Das ist falsch und irreführend, weil die Verhandlungsgrundlage (das sogenannte Common Understanding) explizit vorsieht, dass Elemente wie zum Beispiel die dynamische Rechtsübernahme über das gesamte Verhandlungspaket anwendbar sind. Somit handelt es sich wie 2021 wieder um einen Rahmenvertrag.
Ferner geizt Sololäufer Jans nicht mit fehlerhaften und manipulativen Aussagen in seiner Analyse. Auch redet er die Schweiz unnötig klein, wenn er schreibt, dass unser Land und die EU «zwei ungleich grosse Partner» seien. Immerhin ist die Schweiz gemessen an ihrem Bruttosozialprodukt eine der grössten Wirtschaftsnationen der Welt und wäre damit Mitglied in der G-20.
Die Zukunft liegt in Asien
Herr Jans schreibt von der Wichtigkeit des Marktzugangs. Genau wie andere Staaten, wie etwa die USA oder China, hat auch die Schweiz Marktzugang zur EU. Ohne Rahmenabkommen verzichten wir auf «präferenzierten» Marktzugang, was die Transaktionskosten (zum Beispiel aufgrund fehlender gegenseitiger Konformitätsbewertungen) leicht erhöht. Dies ist seit Jahren bereits in unserer Medizinaltechnikbranche und in der Maschinenindustrie der Fall. Selbst der Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen im Mai 2021 hatte keinerlei negative Auswirkungen. Branchen wie unsere hervorragende Medizinaltechnik blühten richtiggehend auf.
Es braucht schlicht kein Rahmenabkommen, um nach Europa zu exportieren. Vielmehr wissen diejenigen, die länger als in Legislatur-Zyklen denken, dass eine einseitige institutionelle Anbindung an die EU langfristig schädlich ist und die Standortvorteile der Schweiz schmälert.
Herr Jans schreibt weiter, dass «niemand mehr profitiert vom EU-Binnenmarkt als die Schweiz». Er zitiert für diese Aussage eine in die Jahre gekommene deutsche Bertelsmann-Studie vom Mai 2019. Er verkennt hierbei, dass der Trend in den Handelsvolumina in eine andere Richtung geht – die Handelsdynamik zeigt eine negative Bilanz des Handels der Schweiz mit der EU von circa 17 Milliarden Franken pro Jahr. An jedem Arbeitstag kaufen wir für circa 70 Millionen Franken mehr Waren von Europa als umgekehrt. Folglich profitiert die EU mehr vom Handel mit der Schweiz.
Auch verkennt Herr Jans, dass die Zukunft in den asiatischen Märkten wie auch im US-Markt liegt: In den letzten 20 Jahren sind die nominalen Exporte der Schweiz nach Asien um das Fünffache gestiegen, nach China um mehr als das Zwanzigfache, in die USA um fast das Vierfache. Ein Anschluss an die kränkelnde und verbürokratisierte EU würde die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz in diesen Wachstums- und Zukunftsmärkten substanziell gefährden.
Beat Jans betreibt Augenwischerei
Des Weiteren betreibt Herr Jans hinsichtlich der Bedeutung des Schiedsgerichtsverfahrens Augenwischerei. Weil der Europäische Gerichtshof europäisches Recht auslegt, ist das Schiedsgericht in seinem abschliessenden und bindenden Urteil de facto immer an EU-Recht gebunden und darf in seinem Urteil nicht davon abweichen. Tun wir also nicht so, als ob Schweizer Anliegen in einem Streitbeilegungsverfahren zur Geltung kommen könnten. Im Gegenteil; falls wir mit einem Rechtsakt der EU nicht einverstanden sind, werden wir mit Ausgleichsmassnahmen in unbekannter Höhe und Form abgestraft. Dieses von Herrn Jans hochgelobte Streitbeilegungsverfahren ist eine Farce.
Auch die von Herr Jans angeführte verbesserte Rechtssicherheit gibt es nicht. Letztlich kann die EU-Kommission jederzeit einen Rechtsakt für binnenmarktrelevant erklären; wir öffnen mit einem Rahmenabkommen eine Pandora-Büchse, die es der EU jederzeit erlaubt, Rechtsakte auch für die Schweiz für binnenmarktrelevant zu deklarieren. In diesem Punkt wird die politisch einseitige Machtverteilung eines solchen Abkommens offensichtlich. Diese Rechtsunsicherheit öffnet der EU Tür und Tor für eine Vertragserweiterung auf heute nicht deklarierte Themengebiete.
Halten wir fest: Die Schweiz und die EU haben generell die gleichen Interessen, nämlich dass ihre Bürgerinnen und Bürger in Sicherheit, Stabilität und Prosperität auf dem europäischen Kontinent leben und arbeiten können. Die enge wirtschaftliche und kulturelle Verflechtung ist offensichtlich.
Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass wir eine Güterabwägung machen müssen. Ist der massive Eingriff der EU mittels «dynamischer Rechtsübernahme» in unsere direktdemokratischen Rechte, unsere Standortattraktivität und damit unsere Wettbewerbsfähigkeit im Austausch gegen etwas geringere Transaktionskosten im täglichen Handel gerechtfertigt? Wir sagen Nein und plädieren für eine sachliche und faktenbasierte Diskussion.
Die Schweiz braucht diesen Rahmenvertrag nicht. Wir brauchen eine weiterhin direktdemokratische und wettbewerbsfähige Schweiz, die ihre Standortvorteile nutzt, weltoffen bleibt und sich nicht einseitig von der EU abhängig macht.
Marcel Erni ist Unternehmer (Partners Group) und Mitgründer der Allianz Kompass Europa, die sich gegen ein Rahmenabkommen mit der EU engagiert. Philip Erzinger leitet Kompass Europa als Geschäftsführer.
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