Schutz von Minderjährigen Bürgerliche wehren sich gegen strenges Tabakwerbeverbot
Der Bundesrat will Werbung für Raucherwaren verbieten. Doch ausgerechnet Gesundheitspolitiker pochen auf Ausnahmen. Derweil erhält die SVP 35’000 Franken eines Tabakmultis.
Vor dem unscheinbaren Festivalzelt fragt ein grimmig dreinblickender Security nach dem Ausweis. Nur wer volljährig ist, darf hinein. Drinnen steht grell angeleuchtet: ein Plakat für Zigaretten. In etwa so soll Tabakwerbung in Zukunft noch möglich sein, zumindest wenn es nach der Gesundheitskommission des Ständerats geht.
Vor anderthalb Jahren hat die Schweizer Stimmbevölkerung einer Initiative zugestimmt, die verlangt, dass Kinder und Jugendliche keine Tabakwerbung mehr zu Gesicht bekommen. Der Bundesrat hat daraufhin eine entsprechende Anpassung im neuen Tabakgesetz verfasst. Über diese muss der Ständerat am Donnerstag abstimmen.
Der Bundesrat sieht in seinem Entwurf unter anderem ein Verbot für Werbung in Zeitungen, Kinos und an allen öffentlichen Orten vor, die von Minderjährigen besucht werden können. Auch sollen mobile Verkäuferinnen und Verkäufer in der Öffentlichkeit keine Zigaretten oder Snuspackungen mehr anbieten dürfen.
Bundesrat geht weiter, als die Initiative verlangt
Der Bundesrat geht dabei sogar über die Forderungen der Initiative hinaus. So sollen Tabakkonzerne ihre jährlichen Werbeausgaben dem Bund vorlegen müssen.
Diesen Zusatz will die Gesundheitskommission des Ständerats nun wieder streichen. Und zusätzliche Ausnahmen ins Gesetz einbauen. So soll etwa Werbung im Innenteil von Zeitungen weiterhin erlaubt sein. Zumindest, wenn die Zeitungen per Abo an Erwachsene verkauft werden. Im öffentlichen Raum soll Reklame erlaubt sein, wenn «geeignete Massnahmen» sicherstellen, dass diese für Minderjährige «weder sichtbar noch zugänglich» ist. Das fiktive Beispiel zu Beginn wäre damit erlaubt.
«Die Umsetzung der Initiative darf nicht die Werbung gegenüber erwachsenen Personen unterbinden», sagt FDP-Ständerat Damian Müller. Das habe das Stimmvolk nicht gefordert und würde auch einer «liberalen Wirtschaftsordnung» widersprechen. Müller hat die Änderungen in der Kommission unterstützt.
Seines Erachtens ist der Vorschlag der Kommission immer noch sehr restriktiv. «Es wären durchaus auch weniger restriktive Auslegungen möglich gewesen, ohne den Wortlaut der Initiative zu verletzen», schreibt Müller auf Anfrage.
«Es braucht einen griffigen Schutz der Minderjährigen vor dem Konsum von Tabak», sagt Müller. Doch «absolute Werbeverbote» gegen legale Produkte seien kein zielführender Ansatz.
SP-Ständerat Hans Stöckli ist Präsident des Vereins Kinder ohne Tabak, der die gleichnamige Initiative lanciert hatte. Er könne sich nicht vorstellen, wie die Ausnahmen funktionieren sollen, ohne dass sie dem Willen der Initiative widersprächen. «Wieso sollte ein Tabakkonzern eine Veranstaltung sponsern, wenn er nicht sichtbar sein kann?», fragt Stöckli. Auch dass Kinder und Jugendliche Werbung im Inneren von Zeitungen nicht entdeckten, hält er für unplausibel. «Unabhängige Erhebungen haben letztes Jahr ergeben, dass 270’000 Kinder und Jugendliche solche abonnierten Zeitungen gelesen haben.»
Stöckli wirft der Mehrheit der Kommission vor, den Volkswillen nicht umzusetzen. «Die Kräfte, die sonst immer am lautesten verlangen, dass Initiativen wortgetreu umgesetzt werden, nehmen es auf einmal nicht mehr so genau.»
Wenig Verständnis hat er auch für den Antrag der Kommissionsmehrheit, dass Zigarren und Zigarillos weiterhin «direkt und persönlich» an Orten beworben werden dürfen, zu denen auch Minderjährige Zutritt haben. «Die Ausnahme widerspricht klar dem Volkswillen. Die Initiative macht keinen Unterschied zwischen verschiedenen Tabakprodukten», sagt Stöckli.
Müller von der FDP findet die Unterscheidung hingegen gerechtfertigt, da bei Zigarren und Zigarillos die Kundschaft um einiges älter sei als bei anderen Tabakprodukten.
SVP erhält Grossspende von Tabakmulti
Generell gilt die Schweiz als eines der tabakfreundlichsten Länder Europas. Sie landete 2021 auf dem zweitletzten Platz der Tobacco Control Scale, welche die Tabakprävention in 37 europäischen Ländern vergleicht. Nur Bosnien-Herzegowina schnitt noch schlechter ab.
Dementsprechend wohl fühlen sich Tabakkonzerne hier. Unter anderem haben Philip Morris International, British American Tobacco und Japan Tobacco International ihren Hauptsitz beziehungsweise wichtige Regionalsitze in der Schweiz. Die Branche gerät immer wieder in Kritik für ihre Lobbytätigkeiten.
Laut Eigendeklaration bei der eidgenössischen Finanzkontrolle hat die SVP Schweiz dieses Jahr zum Beispiel 35’000 Franken von Philip Morris für die Nationalratswahlen erhalten. «Wir erhalten Spenden von verschiedenen Unternehmen. Diese gehen aber mit keinerlei politischen Verpflichtungen einher», sagt SVP-Generalsekretär Peter Keller dazu auf Anfrage. Andere Parteien haben keine Spenden der Tabakindustrie deklariert. Laut der Organisation Lobbywatch unterhält die Tabakindustrie aber auch Verbindungen zur FDP und der Mitte.
Unabhängig davon, wie sich der Ständerat entscheidet, werden die Regeln für Tabakprodukte künftig um einiges strenger sein als heute. Schon vor Annahme der Initiative wurde ein neues Tabakgesetz verabschiedet, welches zahlreiche Verschärfungen vorsieht und voraussichtlich ab Mitte 2024 gelten wird. Neu werden auch Tabakprodukte wie E-Zigaretten, Snus und Erhitzen strenger reguliert. Und Tabakprodukte werden in der ganzen Schweiz erst ab 18 Jahren erhältlich sein. Heute dürfen diese in einigen Kantonen bereits Jugendliche ab 16 Jahren kaufen. Gar keine Altersgrenze kennen Appenzell Innerrhoden, Schwyz und Obwalden.
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