Leitartikel zu den BundesfinanzenDer Plan von Karin Keller-Sutter funktioniert nicht
Die Lage bei den Bundesfinanzen spitzt sich zu. Doch die Finanzministerin und viele Parlamentarier machen dem Volk etwas vor. Es ist Zeit für Ehrlichkeit.
Es ist eine Verzweiflungstat der «Sparfüchsin», wie sich Karin Keller-Sutter selber nennt.
Auf Antrag der Finanzministerin hat der Bundesrat eine Expertengruppe eingesetzt. Diese soll schaffen, wozu der Bundesrat selber offenbar nicht fähig ist: sparen. Vier Experten und eine Expertin sollen im Bundeshaushalt Sparpotenzial von vier Milliarden Franken pro Jahr identifizieren. Vier Milliarden, das ist mehr als das komplette Budget für die Landwirtschaft.
Tatsächlich ist die Finanzlage so angespannt wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. In den kommenden Jahren rechnet der Bund mit Fehlbeträgen von drei bis vier Milliarden Franken pro Jahr. Und falls das Volk im Juni der Prämienentlastungsinitiative der SP zustimmt, vergrössert sich das Finanzloch bis 2030 um bis zu 9 Milliarden.
Weil die Schuldenbremse dem Bund solche «strukturellen Defizite» verbietet, müssen sie zum Verschwinden gebracht werden. Irgendwie. Entweder durch höhere Steuern. Oder indem die Ausgaben gesenkt werden.
Dass Keller-Sutter zuerst bei den Ausgaben ansetzt, ist zwar verdienstvoll. Doch die Annahme, dass der Bund so seine Finanzprobleme lösen kann, ist eine Illusion. Egal, was die Expertengruppe vorschlagen wird: Über die Umsetzung entscheidet nicht sie und auch nicht die «Sparfüchsin». Sondern das Parlament.
Sparen ja, aber bei den anderen
Im Parlament reden zwar viele vom Sparen. Bloss will niemand der eigenen Klientel wehtun, sondern immer nur den anderen. Abgesehen von der Entwicklungshilfe gibt es kaum einen Bereich, in dem politische Mehrheiten für substanzielle Einschnitte absehbar sind.
Die Budgetdebatte im Dezember war ernüchternd. Selbst um Budgetposten von wenigen Hunderttausend Fränkli veranstalteten National- und Ständerat wochenlange Dramen. Wie dieses Parlament sich plötzlich auf milliardenschwere Sparpakete einigen soll, ist ein Rätsel.
Und selbst wenn es sich einigen könnte: In vielen Fällen läge das letzte Wort beim Volk. Und dieses tickt nicht anders als die Politiker: Sobald es im eigenen Portemonnaie spürbar wird, interessiert der Zustand des Staatshaushaltes nicht mehr (siehe 13. AHV-Rente).
Aus diesen Gründen braucht Keller-Sutter einen realistischeren Plan – mit vier Bestandteilen.
Die Schuldenbremse leicht lockern
Die Schweiz zählt zu den Staaten mit den tiefsten Schulden überhaupt. Das ist der Schuldenbremse zu verdanken. Doch dieses eigentlich sinnvolle Instrument ist zum politischen Fetisch verkommen: Die Schuldenbremse ist so restriktiv ausgelegt, dass sie die Staatsschulden nicht stabilisiert, sondern längerfristig gegen null drückt. Das ist in Krisenzeiten wie diesen unsinnig. Ökonomisch relevant ist nur, dass die Schuldenquote – das Verhältnis von Staatsschulden und Wirtschaftskraft – nicht steigt.
Vorschläge für eine moderate Reform der Schuldenbremse gibt es seit Jahren. So könnte pro Jahr wohl gegen eine Milliarde zusätzlich freigespielt werden – und die Schuldenquote bliebe trotzdem stabil. Eine solche Reform müsste man jetzt anpacken.
Krisenparagraf für die Armee aktivieren
Neben der AHV ist die Armee hauptverantwortlich für das Finanzloch. Dass das Armeebudget im nächsten Jahrzehnt um kumuliert mindestens 20 Milliarden Franken steigen soll, ist bei der bürgerlichen Parlamentsmehrheit kaum bestritten. Trotzdem soll die Armee wegen der Finanzengpässe die nötigen Rüstungsbeschaffungen nicht sofort auslösen, sondern erst in einigen Jahren. Eine solche Verzögerung ist angesichts der Sicherheitslage in Europa unverantwortlich. Die Armee braucht nicht mehr als die geplanten mindestens 20 Milliarden, aber sie braucht sie rascher als geplant.
Darum muss der Bund für die Armee einen Ausnahmeparagrafen im Gesetz aktivieren. Dieser erlaubt es, in einer Krise wichtige Staatsausgaben an der Schuldenbremse vorbeizuschleusen (so wie bei den Corona-Hilfspaketen). Allein diese Massnahme würde die Finanzlage massiv entspannen.
Schwarzgelder endlich besteuern
Auch solch ausserordentliche Schulden müssen mittelfristig amortisiert werden. Um das zu bezahlen, sollte der Bund prioritär unversteuerte Schwarzgelder aufspüren und besteuern.
Zu diesem Zweck sollen die Banken künftig alle Vermögenswerte automatisch den Steuerämtern melden. Für Leute, die ihr Geld korrekt deklarieren, hat der automatische Informationsaustausch zwischen Banken und Steueramt keine Folgen. Fürchten müssen sich nur die Steuerhinterzieher: Sie müssten endlich ihren fairen Beitrag leisten – an die Sozialwerke, die Armee und alle anderen Staatsaufgaben.
Sparen, so gut es geht
Sparpotenzial gibt es zweifellos – angefangen bei unnötigen Subventionen bis zu den quasiautomatischen Lohnerhöhungen für das Bundespersonal. Doch die Erwartungen, die Keller-Sutter weckt, sind unrealistisch. Die Erfahrung aus früheren Sparprogrammen zeigt: Wenn sie von den angestrebten vier Milliarden nur schon eine Milliarde realisieren könnte, wäre das sehr viel.
Falls die Sparmassnahmen, die gezielte Lockerung der Schuldenbremse und die Zusatzeinnahmen aus bisher unversteuerten Schwarzgeldern nicht ausreichen sollten, muss man notfalls auch über Steuererhöhungen nachdenken.
Vermutlich weiss Keller-Sutter schon lange, dass Sparen allein nicht reichen wird und dass es weitere Massnahmen braucht. Es wird Zeit, dass die «Sparfüchsin» das auch zugibt.
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