Scheidung bei ErkrankungNichts da mit «in guten wie in schlechten Zeiten»
Eine grosse europäische Studie zeigt: Das Scheidungsrisiko bei Paaren über 50 ist deutlich erhöht, wenn die Frau erkrankt – nicht aber, wenn der Mann Pflege braucht.

Paare, die sich nach vielen Ehejahren scheiden lassen, heissen auf Englisch «Silver Splitters». Was irgendwie modern klingt, ist tatsächlich ein Trend, denn seit mehreren Jahren nehmen Trennungen bei lang Verheirateten zu. Der Anteil von Paaren, die sich nach 20 oder mehr Ehejahren scheiden liessen, lag 1990 bei 22 Prozent. 2023 waren es laut Bundesamt für Statistik bereits 32 Prozent.
Eine gross angelegte Studie wollte es genauer wissen. Durchgeführt in 27 europäischen Ländern inklusive der Schweiz, untersuchte die «Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe» während 18 Jahren 25’000 Paare. Und kam zum unromantischen Befund, dass sich das Scheidungsrisiko bei Paaren im Alter zwischen 50 und 65 um 60 Prozent erhöht, wenn die Frau krank wird. Es spielt keine Rolle, um welche Erkrankung es sich handelt, ob psychisch, körperlich oder chronisch.
Im umgekehrten Fall verändere sich «nichts signifikant», heisst es in der Studie. Heisst: Wird der Mann pflegebedürftig, macht das eine Trennung nicht wahrscheinlicher.
In der Beziehung ist die Frau fürs Umsorgen zuständig
Die Autoren erklären den Unterschied mit den Rollenbildern, die in der Generation der sogenannten middle agers immer noch vorherrschten: Zuständig für das Emotionale, Umsorgende in der Beziehung sei nach wie vor fast immer die Frau. Zudem sei diese meist jünger und deshalb im Alter fitter. Die Männer täten sich schwer damit, wenn das weibliche Idealbild Schaden nehme.

Die emeritierte Psychologie-Professorin Pasqualina Perrig-Chiello ist spezialisiert auf Langzeitbeziehungen. 2017 wies sie in einer Studie mit 1000 Paaren erstmals für die Schweiz nach, dass sich Frauen in langjährigen Ehen häufiger trennen als Männer. Grund: Sie sind weniger bereit, in einer unglücklichen oder unbefriedigenden Beziehung auszuharren. Was Perrig-Chiello damals aber ebenfalls erkannte: dass sich das Verhältnis umkehrt, sobald die Frau krank wird und Hilfe braucht.
Perrig-Chiello sagt: «Männer haben mehr Mühe, wenn sie sich auf einmal in der Rolle des Pflegenden wiederfinden, sie sind schneller überfordert.» Das habe auch damit zu tun, dass beide Geschlechter immer noch davon ausgingen, Frauen seien automatisch besser in der Care-Arbeit. Dazu passt, dass sich Männer gemäss Studie häufiger Hilfe von aussen holen als Frauen, wenn sie einen Partner betreuen.
Männer stehen weniger unter Druck, die Partnerin zu pflegen
Bei Frauen spiele zudem ein verinnerlichter «moralischer Imperativ» eine grosse Rolle, sagt Perrig-Chiello: «Sie fühlen sich eher verpflichtet, bei einem kranken Partner zu bleiben. Sie sagen sich: Du kannst ihn doch jetzt nicht im Stich lassen!» Männer stünden nicht unter diesem Druck, die Gesellschaft erwarte es weniger von ihnen.
Und dann ist da laut Pasqualina Perrig-Chiello noch ein «ganz banaler Grund» dafür, dass Frauen ihre hilfsbedürftigen Gatten nicht verlassen: das Geld. Die Frauen, die jetzt zwischen 50 und 65 Jahre alt seien, hätten zwar ausbildungsmässig und finanziell aufgeholt, sagt sie. «Aber immer noch klaffen bei vielen Frauen grosse Lücken in der beruflichen Vorsorge, weil sie meist Teilzeit oder nur in einem kleinen Pensum berufstätig waren.» Das Ende einer Ehe bedeute für sie einen empfindlichen finanziellen Verlust. Heisst: Die Frauen können sich eine Trennung oft schlicht nicht leisten.
Wie die Autoren der Studie geht Pasqualina Perrig-Chiello deshalb davon aus, dass bei jüngeren, gleichberechtigteren Generationen die Sache dereinst anders aussehen wird – zumindest ein bisschen. Denn ob die Frauen hauptsächlich wegen ihrer Sozialisation oder ihrer Gene besser in der Care-Arbeit sind, sei in der Wissenschaft «immer noch umstritten», sagt Perrig-Chiello.
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