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Kulturfigur Roman Signer im Porträt
Die Polizei hat ihm den Sprengstoff weg­genommen, aber er macht weiter

Roman Signer steht in der von Johannes Hugentobler 1946 bemalten Kapelle in Steinegg, mit kunstvollen Wandmalereien im Hintergrund. Foto: Sabine Rock, 21.3.2025.
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In Kürze:
  • Roman Signer verwandelt alltägliche Gegenstände in poetische Kunstwerke. Am liebsten mittels Explosionen.
  • Der renommierte Künstler bewahrt noch heute gefährliches Schwarzpulver bei sich auf.
  • Seine Videos erreichen auf Instagram ein Millionenpublikum und rufen kontroverse Reaktionen hervor.
  • Nun zeigt Signer im Kunsthaus Zürich eine grosse Ausstellung seiner Werke.

Wir sind am Ende der Welt angekommen, zuerst mit dem Auto, dann zu Fuss. So wird das Tobel im appenzellischen Weissbad genannt, das für Roman Signer seit seiner Jugend eine grosse Bedeutung hat: Hier hat der gebürtige Appenzeller Gummistiefel in die Luft gejagt, hier hat er sich im Flussbett auf einem Drehstuhl sitzend mit Raketen in der Hand in Rotation versetzt. Und hier hat er eine Sprengschnur gespannt, die er nachts entzündete, sodass sich über das Flüsschen hinweg ein Lichtbogen zwischen den Felsen bildete.

Damit ist Signer bekannt geworden: mit Aktionen, die poetisch und zugleich komisch sind, die von einer aussergewöhnlichen Kreativität zeugen – und in denen die schöpferische Zerstörung immer wieder eine Rolle spielt. Etwa damals, als sich Signer in einem Kajak sitzend von einem Auto über Kieswege ziehen liess, und zwar so lange, bis der Boden des Kajaks abgeschmirgelt war und es unter Signers Füdli heiss wurde.

Roman Signer auf einem Bürostuhl im Freien, umgeben von Rauch und Funken, Kunstprojekt ausgestellt im Kunsthaus Zürich.

Ab nächster Woche ist eine Auswahl der Installationen und Skulpturen des Kultkünstlers im Rahmen einer grossen Einzelausstellung im Kunsthaus Zürich zu sehen. Darunter ein Kajak, das er mithilfe einer Sprengschnur in sieben Stücke zerlegt hat. «In einer Tausendstelsekunde», wie der 86-Jährige beim Treffen in der Ostschweiz schwärmt.

Schwarzpulver hat er noch immer

Man darf Roman Signer nicht auf den Sprengstoff reduzieren. Dafür ist sein Werk zu vielfältig, in dem er Gebrauchsmaterialien und Alltagsobjekte in Kunstwerke verwandelt. Zum Beispiel ein dreirädriges Piaggio, also ein Kastenwagen, das er über eine Rampe hinweg durch die Luft hüpfen liess. Aber ganz ohne Sprengstoff geht es bei Signer natürlich nicht. Das wird auch an diesem Tag im Appenzell deutlich, als er bei einem Wurstsalat im Kurhotel von Weissbad etwas energischer wird: «Eines Tages kam die St. Galler Stadtpolizei bei mir vorbei, um mir den Sprengstoff wegzunehmen, den ich in einem Tresor aufbewahrte.»

Kunstaktion von Roman Signer in Sedrun mit spritzenden Wasserfontänen, Teil des Gotthard-Durchstichs am 15. Oktober 2010.

Das ist zwar schon ein Weilchen her, genauer mehr als zwanzig Jahre. Aber es empört den Mann offenbar noch heute: «Mir war damals nicht bewusst, dass man mir als eidgenössischem Sprengbefugten das Material nicht hätte wegnehmen dürfen.» Das hätte nur die Bundespolizei gedurft. «Aber Schwarzpulver habe ich noch immer, und das ist ja viel gefährlicher», sagt er und lacht.

Kunst fängt mit Blödsinn an

Mit Sprengstoff kam Signer schon früh in Kontakt, wenn auch zunächst nur auf Sichtdistanz: «Als Kind konnte ich beobachten, wie die Soldaten Sprengstoff in die Brücke einmauerten, um sie notfalls zu sprengen, falls die Deutschen anrücken.» Das hat den damals Siebenjährigen fasziniert. Nicht zuletzt, weil er die Geschichte gehört hat, dass eines Tages im Dorf ein Brief von General Guisan eingetroffen sei: «Darf erst um 23 Uhr 30 geöffnet werden», stand auf dem Umschlag. «Die Soldaten haben den Brief aber schon vorher gelesen und das ganze Dorf über den Inhalt informiert.» Brücke wird Punkt Mitternacht gesprengt, soll es darin geheissen haben. Um halb zwölf Uhr nachts sei dann ein weiterer Brief eingetroffen: «Brücke wird nicht gesprengt. Befehl General.»

Ein Helikopter transportiert Roman Signers Skulptur aus roten Kanus an eine Ausstellung.

Trotz Kriegszeit hat Roman Signer eine sorglose Jugend verbracht, wie er betont: Der Vater war Musiker, «der war dauernd mit seinen Noten beschäftigt.» Die Eltern hätten nie gewusst, wo der jüngste von drei Söhnen gerade sei. «Entsprechend viel Seich haben wir gemacht.»

Ist Kunst die Lizenz, noch als Erwachsener Blödsinn zu machen? «Ja», sagt Signer, «damit fängt es an.»

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Auf Instagram bald 30 Millionen Mal abgerufen: Roman Signers «Sandsäule» in der Kunsthalle Malmö im Juni 2023.

Aufhören tut es dort freilich nicht: Nach dem Mittagessen besuchen wir unweit des Weissbads eine Kapelle, die der Maler Johannes Hugentobler nach Ende des Zweiten Weltkriegs umgestaltet hat. Signer bewundert den Appenzeller Maler, den er als Jugendlicher noch persönlich kennen gelernt hat. Das Katholische, das während der Reformation zur kriegerischen Spaltung des Appenzells in zwei Halbkantone führte, spielt für Signers Werk durchaus eine Rolle. Das Protestantische liegt ihm indes nicht, das Zürcherische ist ihm fremd: «Wenn ich Protestant wäre, sähe meine Kunst ganz anders aus. Konkreter. Sozusagen Zürcher-konkret», spöttelt er und lacht.

Signers Wasserturm verspotte die St. Galler

Roman Signer ist spät zum Künstler geworden. Lange Jahre ging seine Frau putzen, um die Familie durchzubringen; er selbst hangelte sich mit Hilfsarbeiterjobs durch, etwa als Gabelstaplerfahrer. Er bedauert das nicht. «Wahrscheinlich musste das so sein», sagt er. Der Durchbruch kam erst mit der Jahrtausendwende: dank dem Galeristen Iwan Wirth, der wie Signer in der Ostschweiz aufgewachsen war.

Erstmals wahrgenommen hatte Wirth Roman Signer auf dem täglichen Weg zur Kantonsschule, der ihn am Wasserturm vorbeiführte. Ein Ölfass auf Metallfüssen, das seinen Wasserinhalt aus mehreren Metern Höhe in den St. Galler Grabenpark entleerte. Als die Installation 1987 errichtet wurde, gingen die Emotionen hoch. «Damals gab es zwei Dinge, über die in St. Gallen gesprochen wurde: über das Reaktorunglück in Tschornobyl und über Roman Signers Wasserturm», erinnert sich Iwan Wirth.

Urbaner Park mit blühenden Blumen und einem hohen, roten Wassertank auf einem Turm neben einem Gebäude.

Signer verspotte mit seiner abstrakten Persiflage des Brüsseler Manneken Pis die St. Galler Bürger, hiess es in empörten Leserbriefen. Das Ölfass seiche auf die Parkbesucher hinab. Eine Petition wurde gegen den Wasserturm lanciert. Vergeblich. Iwan Wirth fand diese Diskussionen absurd, Signers Werk hingegen «absolut grossartig».

Eine Signer-Fontäne wird auch in der Ausstellung im Kunsthaus Zürich zu sehen sein: Auf dem Platz vor dem Museum wird «Fontana di Piaggio» platziert, ein Werk aus dem Jahr 1995, das Wasser aus einem Hydranten – über die Ladenfläche des Kastenwagens – wieder direkt in die Kanalisation fliessen lässt. Eine augenzwinkernde Adaption des Wasserkreislaufs.

Aus der Schweiz nicht mehr wegzudenken

Inzwischen hat die Schweiz Signers Werke ins Herz geschlossen. Auch wenn sie bisweilen infrage gestellt werden. Etwa in Zug, wo just in dieser Woche die Baubewilligung für die «Seesicht» erneuert werden muss: Ein Treppenabgang, der mehrere Meter tief in den See führt, wobei man durch eine bodenhohe Glasscheibe in den See hinausschauen kann, sofern es die Trübung des Wassers erlaubt.

Die Skulptur ’Seesicht’ von Roman Signer an der Seeuferpromenade in Zug, aufgenommen am 1. Juli 2016, ein Kunstprojekt zum Jubiläum des Kunsthaus Zug.

«Muss bleiben», meint Signer. Auch für den Zuger Stadtpräsidenten André Wicki steht dies ausser Frage: «Es ist eine Ehre für Zug, dass die ‹Seesicht› an der Uferpromenade steht.» Signers Werk sei aus dem Zuger Stadtbild nicht mehr wegzudenken, teilt er auf Anfrage mit.

Signer sieht Dinge, die wir nicht sehen

In Künstlerkreisen sei Signer eigentlich schon immer ernst genommen worden, meint Galerist Iwan Wirth. «Dass ihm auf dem Kunstmarkt relativ spät der Durchbruch gelang, liegt vielleicht an seiner Bescheidenheit, die ihn zugleich so glaubwürdig macht.» Noch heute seien Signers Arbeiten «unterbewertet», meint sein Galerist.

Installation von Roman Signer an der Albigna-Staumauer, 2017.

Nach der Wende fuhren der Galerist und sein Künstler gemeinsam nach Polen, wo Signer Anfang der 1970er an der Kunstakademie von Warschau studiert hatte. Und wo er seine Frau Aleksandra kennen gelernt hatte, auch sie eine Künstlerin. Signer nennt sie neckisch seine «Chefin».

Die gemeinsame Polenreise wurde für Iwan Wirth zu einem Erweckungserlebnis. «Roman sieht Dinge, die wir nicht sehen», sagt der Galerist. Etwa die Skischanze, über die Signer später ein Gefährt schoss. Das ist es, was Wirth meint: «Roman Signer erkennt im Alltäglichen das Potenzial für Kunst.»

Der Künstler macht die Leute zu besseren Menschen

Eine Kultfigur ist Roman Signer noch immer. Neuerdings mit Millionenpublikum: «Wenn wir ein Video von Roman Signer auf dem Instagram-Account unserer Galerie posten, wird es millionenfach angeklickt», sagt Wirth. Die Anzahl der Reaktionen sei unglaublich, und zwar der positiven wie der negativen. Eigentlich sei es wie damals beim Wasserturm. «Ich finde beide Reaktionen schön», sagt Iwan Wirth, «es macht die Leute zu besseren Menschen.» Wirklich? Ja, findet der Galerist: «Wenn man sich über so etwas aufregen kann, dann steht es nicht so schlecht um unsere Welt.»

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Und Roman Signer? Auch er hat von seinen Millionenerfolgen in den sozialen Netzwerken gehört: «Ich wurde auch schon auf der Strasse darauf angesprochen. Aber ich habe keine Zeit, um mich mit den alten Sachen zu beschäftigen. Lieber mache ich etwas Neues», sagt Signer und lacht.

Roman Signer: «Landschaft», von 4. April bis 17. August 2025 im Kunsthaus Zürich. Mehr zum Begleitprogramm auf der Website des Kunsthauses.