Schlagersänger Roland Kaiser im Interview«Es gibt eben nicht nur Mann und Frau. Punkt»
Fehlt es den Menschen an Achtung und Respekt füreinander? Schlagerurgestein Roland Kaiser über Toleranz, Genderfragen und gute Texte.
Das Büro von Sony Music in Berlin: 2010er-Hipness, viele Bürowände aus Glas, auf den Tischen Musikpreise, Spielzeug, Bluetooth-Boxen in allen Marken und Grössen. Und dazwischen Roland Kaiser, 72, zeitlose Hipness, oder eben auch nicht. Dürfte ihm prächtig egal sein. Im deutschsprachigen Raum ist der mehrfach ausgezeichnete Musiker aktuell so populär wie lange nicht – vielleicht sogar wie nie.
Es soll um sein neues Album gehen, «Marathon». Um Musik und Entertainment. Um Themen wie Liebe und Anstand, die das sehr gut produzierte und gesungene Werk bestimmen. Beim Gespräch verzichtet Kaiser – SPD-Mitglied seit 2002 – auf die Label-Mitarbeiter, die bei solchen Terminen mittlerweile sonst immer dabeisitzen und auf irgendwas aufpassen: «Das bekommen wir allein hin.»
Herr Kaiser, was kommt bei Ihnen eigentlich zuerst: Text oder Musik?
Bei mir herrscht ganz klar das Primat der Musik. Der klassische amerikanische Ansatz: Die Musik ist der alles entscheidende Faktor, sie muss stimmen. Danach erst kommen die Texte.
Dabei sind die im Schlager doch so wichtig, oder?
Hach, was heisst Schlager? Egal in welchem Genre man in seiner eigenen Sprache singt, bedeutet das Chance und Gefahr. Nämlich die, dass man verstanden wird. Daher bekommen nach der Musik auch die Texte eine besondere Bedeutung bei mir.
Mögen Sie den Begriff Schlager nicht?
Ich glaube, dass wir da zu oft Dinge in Schubladen stecken.
Und was ist das Problem mit Schubladen?
Dass oft ein Werturteil mit ihnen einhergeht. Dabei ist ein Schlager laut Brockhaus einfach ein Lied, das populär ist. Ein Lied also, das die Mehrheit der Menschen auf der Strasse kennt und nachpfeifen kann. Wenn wir etwas in der Zeit zurückschauen, zählten da sicher auch Vater und Sohn Strauss in Wien dazu. Das waren die populären Lieder damals. Und wenn wir dann auf dem Weg ins Jetzt bei Sartre vorbeikommen, lernen wir: «Kunst ist reflektierte Gegenwart.»
Wenn Schlager Zeitdiagnosen stellt, ist er also einfach Kunst?
Genau wie Pop oder Rock eben auch. Und wie in den anderen Genres passiert es auch hier natürlich selten genug. Udo Jürgens war wahrscheinlich einer der Letzten, die Songs geschrieben haben, die sowohl einen kommerziellen Charakter haben als auch behandelten, was gerade passiert. Hören Sie nur mal «Ein ehrenwertes Haus». Ein grossartiger Text, geschrieben vom fantastischen Michael Kunze. Wie er da die Kurve kriegt und die Menschen für ihr unmögliches Verhalten kritisiert: Das ist absolut meisterlich. Und dem werden Schubladen einfach nicht gerecht. Leider findet sich eine solche Qualität immer seltener.
Warum?
Ich weiss es schlicht nicht. Aber ich suche immer nach solchen Texten. Und ich hoffe, dass ich auch diesmal noch welche gefunden habe.
«Wenn ich als Sänger Vorbilder nennen müsste, dann Frank Sinatra oder Dean Martin.»
Was macht einen guten Text für Sie aus?
Da gibt es natürlich keine pauschale Antwort. Aber ich würde sagen, wenn ein Text sein Thema ernst nimmt, sich selbst dabei aber nicht zu sehr, dann stimmt die Richtung. Ausserdem sollte er auf keinen Fall belehren. Und in meinem Fall hilft eine gewisse Leichtigkeit sicher auch. Ich bin jemand, der die Menschen gerne unterhält. Das ist meine eigentliche Aufgabe.
Klingt, als fühlten Sie sich grundsätzlich wohl in der Schublade, in die man Sie gemeinhin einsortiert?
Nun, eine Zeitung hat mal geschrieben, ich sei «ein Philosoph, gefangen im Körper eines Schlagersängers». Eigentlich ganz schmeichelhaft. Obwohl ich manchmal denke: Wenn man den Satz umdreht, wäre er wahrscheinlich auch nicht falsch.
War das derselbe Text, der Sie als «Soft-Pornograf des Schlagers» bezeichnet hat?
Nein, das war im «Stern». Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich fühle mich ganz grundsätzlich wohl mit dem, was ich mache. Wie man das dann nennt, ist mir egal.
Gab es eine Zeit, in der das anders war? Ihre Karriere begann in den Siebzigern. Wollte da nicht jeder Sänger Mick Jagger sein?
Nein, nein. Der grosse Thomas Meisel, mein Produzent, hat mich gehört und meine Stimme und mein Auftreten sofort weit weg vom Rock verortet. Und ich habe das immer als richtig empfunden. Bis heute. Ich habe das grosse Glück, dass ich nicht hadere mit dem, was ich tue. Ich kenne viele Künstler, die ständig jammern, dass sie lieber Rock singen würden. Und zu denen kann ich immer nur sagen: «Dann machs halt.» Aber ich habe diese Sehnsucht nicht. Ich bin ein grosser Stones-Fan. Aber wenn ich als Sänger Vorbilder nennen müsste, dann Frank Sinatra oder Dean Martin. Diese wahnsinnige Leichtigkeit, die die haben, ist einfach brillant. Die scheinbare Leichtigkeit. Die haben sie natürlich nur, weil sie wie besessen geprobt haben. So was beeindruckt mich.
Was braucht ein Song, damit Sie ihn auf ein Album nehmen?
Er muss mir eine Gänsehaut verpassen. Emotionen wecken. Begeisterung. Das ist nicht leicht, aber manchmal passiert es.
Es wird mit dem Alter vermutlich auch nicht leichter?
Manchmal schon. Den Song «Achtung und Respekt» von Jonathan Zelter und Dominik Gassner zum Beispiel habe ich gehört und war sofort hin und weg, weil er so sehr auf den Punkt ist. Er verbindet fantastisch populäre Musik mit einem Thema, über das man reden sollte. Und zwar im positiven Sinne. Es macht mir Freude, so was zu singen.
Der Song wäre wohl ein gutes Beispiel für «reflektierte Gegenwart». Wären «Achtung und Respekt» ein Heilmittel für viele Probleme dieser Tage?
Absolut, ja. Aber in meiner Wahrnehmung gehen Achtung und Respekt gerade bereits in den kleinsten Zellen der Gesellschaft verloren – in Familien, Liebesbeziehungen und Freundschaften. Und das erstreckt sich bis auf die grosse Politik.
«Meine Frau und Kinder sind in ihren Urteilen sehr gnadenlos, wenn ich Unfug rede.»
Warum nehmen Achtung und Respekt ab?
Ich glaube, das ist auch eine Frage der Erziehung: Wie gehen wir grundsätzlich miteinander um? Wir müssen wieder mehr vom Wortgefecht zum Meinungsaustausch kommen. Den anderen aussprechen lassen. Auch auf die Gefahr hin, dass er recht hat. Und dafür müssen wir wohl wieder lernen, auch Menschen mit Respekt zu behandeln, die anders denken. Das meint auch, dass die Generationen voneinander lernen – in beide Richtungen. Meine Kinder können wahrscheinlich einiges von mir lernen. Aber ich kann sicher sehr viel von meinen Kindern lernen.
Was haben Sie von Ihren Kindern zuletzt gelernt?
Eine neue Art zu reden zum Beispiel. Ich musste mich in der Sprache der Zeit erst wieder zurechtfinden und wohlfühlen. Ich kann und will nicht mehr sprechen wie früher.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Die Geschlechterfrage. Es gibt eben nicht nur Mann und Frau. Punkt. Menschen sind offensichtlich vielschichtiger und haben entsprechend vielschichtige Gefühle und Bedürfnisse – und die müssen wir zulassen. Auch sprachlich.
Fiel Ihnen diese Einsicht schwer?
Gar nicht. Weil es ganz leicht ist: Ich war immer überzeugt, dass die Freiheit eines Menschen erst dort endet, wo die Freiheit eines anderen beginnt. Warum sollte es mich also stören, wenn sich jemand als dieses oder jenes identifiziert. Ist mir doch egal. Jeder Jeck ist anders. Ende des Berichts.
Können Sie trotzdem nachvollziehen, dass andere Menschen mit Themen wie dem Gendern kämpfen?
Auch ich bleibe an einem Wort wie «Künstler:innen» hängen. Deshalb sage ich Künstlerinnen und Künstler. Dauert etwas länger, finde ich aber schöner. Und ich bleibe trotzdem innerhalb des Toleranzrahmens, der hier nun mal wichtig ist.
Sie haben mal gesagt, es gab in den Achtzigern eine Zeit, in der Sie «nah an der Unkritisierbarkeit» waren. Wie äusserte sich das?
In der Jugend umgibt man sich eben gern mit Claqueuren, die alles toll finden, was man macht. Und dann geht man eben leicht in seinem eigenen Wahn verloren und macht Fehler.
Was für Fehler?
Falsche Entscheidungen eben. Finanziell. Auch künstlerisch.
Und wie kommt man da wieder raus?
Ich, wie so oft, durch meinen väterlichen Freund Thomas Meisel, der mir sagte: «Du musst ein paar dieser Leute loswerden. Und ein paar von deinen Ansprüchen. Es muss nicht jede Single in den Top Ten landen. Wenn du hinter einem Song stehst, kann er auch mal auf Platz 100 landen oder gar nicht in den Charts.» Das war ein enorm wertvoller Tipp. Dazu habe ich inzwischen Menschen um mich, meine Frau, meine Kinder, die in ihren Urteilen sehr gnadenlos sind, wenn ich Unfug rede. Das hilft enorm.
Was hilft gegen die Hysterie, die bei Themen wie dem Gendern so schnell aufkommt?
Da kann ich nur für mich sprechen. Mein Leben hatte so viele Höhen und Tiefen. Irgendwann muss man da souverän werden und sagen: Die Welt ist jetzt nun mal anders als früher, und ich muss mich mit ihr auseinandersetzen. Das Alter sollte eigentlich toleranter machen.
Das neue Album «Marathon» ist am 7. Februar erschienen. Ab Mai ist Roland Kaiser auf Tournee und spielt am 5. Juni 2025 im Hallenstadion Zürich.
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