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Pharmaindustrie neues Google?
Roche und Novartis wollen an unsere Daten

Für die Pharmaindustrie sind Daten aus Arztpraxen Gold wert. Auch in der Schweiz wollen sie Zugriff.
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Israel ist bei seinen Covid-Impfungen deshalb so schnell vorangekommen, weil Hersteller Pfizer/Biontech es bevorzugt belieferte. Das lag nicht nur daran, dass die Regierung mehr bezahlte, sondern auch die anonymisierten Daten der Geimpften zur Verfügung stellte. Dank des digitalisierten Gesundheitssystems gelangten Pfizer/Biontech an Millionen verlässlicher Datensätze, viel günstiger und schneller, als das mit klinischen Studien möglich wäre. Für eine Pharmafirma ist das Gold wert.

Auch Roche und Novartis suchen Zugang zu noch mehr Daten, als sie bislang durch ihre klinischen Studien haben. Sie wollen Einblick in die breite Masse an Krankheitsverläufen. Die Einführung des elektronischen Patientendossiers in der Schweiz bringt nun das Thema ins Rollen: Das E-Dossier erlaubt zwar nur den Zugriff für Spitäler und Ärzte, und das auch nur, wenn die Patienten es erlauben. Doch die Pharmabranche hofft, dass dieser Beginn der routinierten digitalen Erfassung auch der Industrie den Weg ebnen könnte.

Roche-Chef Severin Schwan redet sich beim Datenthema vor Journalisten des Öfteren in Rage: Es seien «dumpfe Bedenken und Ängste» der Schweizer vor Datenmissbrauch, man könne es nicht anders nennen als eben «dumpf», sagte er im Frühling. Denn die Industrie wolle ja gar nicht auf einzelne Patientendaten zugreifen, sondern nur auf angehäufte – und damit auch anonymisierte – grosse Datensätze. «Unsere Forschung und Entwicklung sind immer stärker mit der Datenanalyse verbunden. Wir haben immer mehr Datenspezialisten», erklärt Schwan.

Radikaler Wandel der weltweiten Pharmaforschung

Die Pharmaforschung verändert sich gerade radikal. Sie zieht das Wissen über Krankheitsprozesse nicht mehr nur aus chemischen und biologischen Analysen in ihren Laboren, sondern aus Daten – egal, ob Bilder von Zellen, Blutwerte oder Röntgenbilder von Tumoren. Es sind riesige Datenmengen, welche die Konzerne aus ihren eigenen klinischen Studien gewonnen haben oder die aus den USA von Firmen kommen, die nichts anders tun, als Ärzte- und Spitaldaten nach qualifizierten Standards zu digitalisieren. Die Pharmaforschung wertet sie dann mit künstlicher Intelligenz aus. Ziel ist, Verbindungen und Muster zu erkennen, die sonst nicht zu entdecken wären.

Die Branche nutzt die künstliche Intelligenz, um Krankheiten wie auch Wirkstoffe besser zu verstehen. Und: Die Forschung soll schneller werden. Novartis bezeichnet sich inzwischen selbst als «Datenkraftwerk» und sieht Daten als «strategisches Kapital», das optimal genutzt werden soll. «Die Zusammenarbeit mit Regierungen für eine bessere Nutzung der Informatik und digitaler Technologien ist ganz wesentlich», macht Bruno Villetelle auf dem Forum Future Health Basel klar. Der Novartis-Chef Data and Digital sprach dort vergangene Woche und betonte, «die Bedürfnisse und Prioritäten sind dabei von Land zu Land verschieden».

«Rund ein Drittel der Krebsbehandlungen erfolgt hierzulande ausserhalb der zugelassenen Indikationen eines Einzelmedikaments.»

Oliver Bleck, Roche-Pharmachef für Südeuropa

Für die Pharmaforschung sind die Patientendaten speziell in der Schweiz sehr wichtig, da hier häufig auf dem aktuellesten Stand behandelt wird. «Für die klinische Forschung und die Pharmaindustrie sind Rückmeldungen und Einsichten aus der breiten klinischen Praxis ein echter Mehrwert», sagt Oliver Bleck, kürzlich noch Leiter des Schweizer Pharmageschäftes für Roche und jetzt verantwortlich für die Subregion Südeuropa, zu der auch die Schweiz zählt.

Was dazukommt: «Rund ein Drittel der Krebsbehandlungen erfolgt hierzulande ausserhalb der zugelassenen Indikationen eines Einzelmedikamentes auf Antrag der behandelnden Ärztinnen, da es sich um neue Kombinationen mehrerer Medikamente handelt», so Bleck. Das heisst, die Krankenkassen zahlen dies zwar per Einzelfallentscheid, aber es wird nicht systematisch erfasst, wie die Therapien anschlagen. «Mit umfassenden, selbstverständlich anonymisierten Patientendaten könnten wir die Wirksamkeit viel besser evaluieren», so Bleck. Für die Pharmaindustrie könnten sich daraus neue Einsatzgebiete für Medikamente, also mehr Umsatz, und für künftige Patienten bessere Therapien ergeben.

Für Patienten könnte diese Form der Digitalisierung schon bei der Diagnose einen Vorzug haben: Zum Beispiel kann eine Gewebeanalyse in einem Datenpool mit künstlicher Intelligenz abgeglichen und eindeutiger analysiert werden. Das Profil einer Krebserkrankung kann so auf noch tieferer Ebene bestimmt und damit auch besser behandelt werden. Die personalisierte Medizin mit ihrer immer differenzierteren Unterscheidung einzelner Tumorarten und ihrer zielgerichteten, auf Patienten zugeschnittenen Therapie war dafür erst der Anfang. Dank Digitalisierung können Krankheiten inzwischen noch genauer bestimmt werden, Pharmafirmen sprechen deshalb von «Präzisionsmedizin».

«Natürlich bringt das Vorteile für die Patientinnen und Patienten», sagt Susanne Gedamke. Die Geschäftsführerin der Patientenorganisation hat auch nichts gegen die zentrale Speicherung der Daten, um den Austausch unter den Fachpersonen zu erleichtern. Das ist nämlich im E-Dossier vorgesehen und funktioniert schon jetzt in Spitalprojekten.

«Es wäre gar nicht so schlecht, wenn diese Daten auch für die Forschung genutzt werden könnten», sagt Gedamke. «Die Voraussetzung ist allerdings, dass die Patienten das individuell erlauben müssen und dass die Daten nicht an die Pharmafirmen gehen, sondern unter behördlicher Kontrolle bleiben.» Ein Tabubruch wäre für Gedamke jedoch, wenn Patientendaten direkt an Pharmakonzerne gelangten.

Es zeichnet sich allerdings ab, dass Pharmafirmen nicht mehr nur Medikamente verkaufen, sondern auch zu einem Teil des Gesundheitssystems werden wollen. So sagt Nadja Ulrich, Expertin des Beratungsunternehmens EY: «Die Branche steht unter dem Druck, Therapien mit mehr Nutzen und zu akzeptablen Preisen anzubieten. Das kann sie am besten mit Daten über die Wirkung beim einzelnen Patienten.» Das bedeutet faktisch, dass sich Pharmafirmen enger an Ärzte, Spitäler und Krankenkassen anschliessen müssen. Auch Ulrich betont: «Der Datenschutz ist dabei ein Schlüsselfaktor, mit ihm steht und fällt das Ganze.»