Britischer Migrationskurs Rishi Sunak kämpft um Asylpakt – und seinen Job
Konservativen Hardlinern geht Sunaks geplantes «Ruanda-Gesetz» gegen illegale Migration nicht weit genug. Wird er schon am Dienstag zum Rücktritt gezwungen sein?
Der britische Tory-Premierminister Rishi Sunak hat beschlossen, in der Frage seiner Anti-Immigrations-Politik die ihm verbliebene Autorität in der eigenen Partei aufs Spiel zu setzen und eine riskante Kollision mit der Parteirechten zu wagen. Ob Sunak die jüngste Rebellion rechtsnationaler Tories gegen seinen Kurs übers Wochenende bremsen und eine Niederlage im Unterhaus am nächsten Dienstag noch verhindern kann, war am Donnerstag in Westminster vollkommen ungewiss.
Sollten mindestens 29 Tory-Abgeordnete bei der ersten Abstimmung über Sunaks neues «Ruanda-Gesetz» an diesem Tag der Regierung die Gefolgschaft versagen, bliebe Sunak womöglich nichts anderes übrig, als zurückzutreten oder unverzüglich Neuwahlen auszurufen.
Die schwerste Krise Sunaks
Offiziell hat der Regierungschef die Abstimmung zwar nicht zur Vertrauensfrage erklärt. Aber weil er seiner Strategie zur «Abschreckung» unerwünschter Asylbewerber eine beispiellose politische Priorität eingeräumt hat in den letzten Monaten, wäre eine entsprechende Niederlage ein persönlicher Schlag, von dem er sich vielleicht nicht wieder erholen kann.
Ausgelöst hat diese schwerste Krise Sunaks seit seiner Amtsübernahme im Oktober vorigen Jahres der Plan der Konservativen, illegalen Migranten, die in kleinen Booten über den Ärmelkanal setzen, das Asylrecht zu verweigern und sie zu Tausenden ins afrikanische Ruanda zu deportieren.
Eine entsprechende Aktion hatte zuerst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gestoppt und dann, vor drei Wochen, der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs verboten, weil nach Ansicht der höchsten britischen Richter Ruanda «kein sicheres Land» für Flüchtlinge sei.
Vertrag mit Ruanda geschlossen
Im Anschluss an dieses Gerichtsurteil hatte Sunak gelobt, im Eilverfahren doch noch für die versprochenen «Ruanda-Flüge» zu sorgen. Am Dienstag dieser Woche hatte darum Innenminister James Cleverly in Ruanda einen förmlichen Vertrag mit der dortigen Regierung geschlossen, um der zuvor eher lockeren Vereinbarung erstmals eine gesetzliche Grundlage zu verschaffen.
Mit dem am Mittwoch in London veröffentlichten neuen Ruanda-Gesetz will Sunak nun erreichen, dass das britische Parlament Ruanda in aller Form und per Gesetzeskraft für «sicher» erklärt – sodass «kein Gericht der Welt» mehr wirksamen Einspruch gegen den Ruanda-Plan erheben kann.
Mit dem Ruanda-Gesetz sollen im Wesentlichen Bestimmungen der britischen Menschenrechts-Gesetzgebung ausser Kraft gesetzt werden. Die Regierung will sich so die Befugnis zusprechen, heimische Gerichtsurteile und einstweilige Verfügungen aus Strassburg zu den geplanten Deportationen ignorieren zu können.
Während Oppositionspolitiker diesen ganzen Plan für «widersinnig» halten, hat Sunak freilich weitergehenden Forderungen seiner Parteirechten, etwa nach einem britischen Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention oder der UNO-Flüchtlingscharta, nicht nachkommen wollen. Das habe er schon deshalb nicht können, erklärte er, weil Ruanda am Deal mit London nur festhalten wollte, solange Grossbritannien nicht gegen internationales Recht verstiess.
Letztere Erklärung – dass ausgerechnet Ruanda den Briten die Bedeutung internationaler Vereinbarungen vor Augen hielt – löste in Grossbritannien ungläubiges Gelächter aus. Für die Tory-Rechte ging das neue Gesetz aber nicht weit genug. Unter Sunaks Ruanda-Gesetz, erklärten zahlreiche konservative Abgeordnete, wäre es Asylbewerbern im Einzelfall noch immer möglich, Einspruch gegen ihre Deportation einzulegen und so mit immer neuen Manövern das ganze Ruanda-Projekt weiter aufzuhalten.
Immigrations-Staatssekretär tritt zurück
«Wozu soll dieses Gesetz also gut sein?», fragte dazu am Donnerstag etwa der Abgeordnete Mark Francois, einer der prominenten Sprecher des rechten Flügels. Seine Kollegin Suella Braverman, deren «Traum» es als Innenministerin immer war, «illegale Migranten» schnellstmöglich nach Afrika zu verfrachten, fand, es sei «die traurige Wahrheit», dass Sunaks neues Gesetz «nicht funktionieren wird». Es werde den Strom der Boote nach England «nicht aufhalten» können, sagte sie.
Zum Entsetzen Sunaks war kurz nach Veröffentlichung des Ruanda-Gesetzes am Mittwochabend Immigrations-Staatssekretär Robert Jenrick von seinem Amt zurückgetreten. Jenrick, ein früherer Gefolgsmann Sunaks, hatte das Gesetz durchs Parlament manövrieren sollen, womöglich noch in der Vorweihnachtszeit. Stattdessen erklärte er sich dazu «nicht in der Lage», weil Sunaks Kompromisse den erhofften Abschreckungseffekt zunichtemachen würden. Sunaks Ruanda-Gesetz gehe schlicht «nicht weit genug».
Sunak zeigte sich zutiefst «enttäuscht» von Jenricks Rücktritt. In einem verzweifelten Appell an die Tory-Hinterbänkler warnte er, es gehe für die Fraktion jetzt darum, «zusammenzustehen oder zu sterben». Ex-Ministerin Braverman hatte schon prophezeit, die Tories würden wegen Sunaks Führungsschwäche bei den im nächsten Jahr fälligen Unterhaus-Wahlen «total von der Bildfläche verschwinden». Im Augenblick liegen die Konservativen in den Umfragen mit 25 Prozent weit hinter Labours 44 Prozent zurück. Nigel Farages radikal-rechte «Reform-Partei» hat ihrerseits 9 Prozent erreicht.
Derweil mehren sich in Oppositionskreisen die Rufe nach sofortigen Neuwahlen. Die Tories «zerfleischten» sich ja geradezu wegen Ruanda, meinte ein Sprecher der Labour Party.
Der Premier und seine Verbündeten warten unterdessen mit Sorge darauf, wie sich die Parteirechte in den nächsten Tagen entscheidet. Offenbar verlangen jetzt auch immer mehr Tories eine Misstrauens-Abstimmung gegen Sunak in der Fraktion selbst.
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