Ringier-Medien in Serbien Serbiens Politmagazin vor dem Aus – gesamte Redaktion hat gekündigt
Die Redaktion der traditionsreichen Zeitschrift NIN tritt geschlossen zurück, aus Protest gegen die neue Besitzerin: eine Ringier-Managerin.
Auch am diesjährigen Davoser Schaulaufen wird Aleksandar Vucic nicht fehlen. Serbiens Präsident interessiere sich für Geopolitik, Weltliteratur, Schach und Fussball, heisst es auf der Website des WEF. Früher durfte Vucic in Davos sogar über die Pressefreiheit dozieren. Wie diese in Serbien aussieht, zeigt gerade der Fall von NIN: Das wichtigste Politmagazin Serbiens steht vor dem Ende – jedenfalls als regierungskritische Stimme.
Diese Entwicklung kommt nicht überraschend. Die Wochenzeitung war häufig Ziel von verbalen Angriffen. Politiker der regierenden serbischen Fortschrittspartei (SNS) von Vucic versuchten, die Redaktion mit missbräuchlichen Klagen mundtot zu machen. Die politisch gesteuerte Justiz zerrte Investigativreporter vor Gericht und verhängte Geldbussen.
Welche Rolle spielt Ringier?
Die Journalistinnen und Journalisten liessen sich jedoch nicht einschüchtern, sie berichteten weiterhin über Korruptionsaffären und kriminelle Aktivitäten der engsten Vertrauten von Vucic, der in den 90er-Jahren Informationsminister des Gewaltherrschers Slobodan Milosevic war. Hinter NIN – eine Abkürzung von «Nedeljne informativne novine» (Wöchentliches Informationsblatt) – vermutete die Regierung westliche Mächte oder die Opposition, die von der staatsnahen Boulevardpresse als «Abschaum» bezeichnet wird.
Bis zum vergangenen Sommer war NIN im Besitz von Ringier. Damals hiess es in einer kurzen Mitteilung, das Schweizer Medienunternehmen werde die gesamte Beteiligung an Jelena Drakulic Petrovic übertragen. Die Frau ist Ringier-Geschäftsführerin in Serbien. Ringier-CEO Marc Walder zeigte sich nach dem Deal überzeugt, dass die Zukunft der renommierten Zeitschrift «vielversprechend» sein werde. Er lobte Jelena Drakulic Petrovic als erfahrene Medienmanagerin. Geschwiegen wurde von beiden Seiten über die Bedingungen der Aktienübertragung.
Racheaktion der Staatsmacht
Mittlerweile sieht die Zukunft von NIN dramatisch aus. Letzte Woche reichte die gesamte Redaktion die Kündigung ein. Man habe sich zu diesem Schritt entschlossen, weil die neue Besitzerin das «Konzept der Wochenzeitung ändern» wolle, teilten die Journalistinnen und Journalisten in einer gemeinsamen Erklärung mit. Vesna Malisic, bisher stellvertretende Chefredaktorin, wurde noch deutlicher: Ziel des Vucic-Regimes sei es, NIN schrittweise gleichzuschalten, mit «neuen Inhalten zu überfluten» und die Journalisten zu erniedrigen.
Es handle sich um eine Racheaktion der Staatsmacht wegen der kritischen Berichterstattung. «Das konnte die Regierung nicht ertragen.» Nun hat sie laut Malisic einen Weg gefunden, um NIN zum Schweigen zu bringen: Das Magazin werde Inserate erhalten und im Gegenzug nicht mehr so viel über die Politik schreiben. Jelena Drakulic Petrovic habe den verunsicherten Journalisten gesagt, sie habe NIN «wie eine Schokolade» als Geschenk erhalten. Diesen Vorwurf weist die neue Inhaberin auf Anfrage zurück. Sie verspricht, dass NIN seinen «politischen Diskurs» nicht ändern werde.
«Ehrenmedaille» vom Autokraten
Im Dezember veröffentlichte die Zeitschrift kurz vor den Wahlen in Serbien plötzlich ein Interview mit Aleksandar Vucic. Das war insofern überraschend, weil der Staatschef die NIN-Redaktion in den vergangenen Jahren entweder ignoriert oder diffamiert hat. Der neuen Besitzerin wird eine Nähe zum Regime und zur Familie Vucic nachgesagt. Als Ringier 2013 eine neue Druckerei in Serbien in Betrieb nahm, gehörte Vucic zu den Ehrengästen, Drakulic Petrovic hiess ihn willkommen.
Im darauffolgenden Jahr begleitete sie Vucic in Überschwemmungsgebieten in Serbien, um medienwirksam Hilfsgüter zu verteilen. 2022 erhielt Marc Walder vom serbischen Autokraten eine «Ehrenmedaille» für seine Verdienste um die Digitalisierung. Schliesslich habe Ringier beschlossen, die Zeitschrift NIN zu zähmen und der Regierung zur Verfügung zu stellen, vermutet das Belgrader Magazin «Vreme» in einem Kommentar. Ringier wollte sich auf Anfrage dieser Redaktion nicht näher äussern. Das Unternehmen gibt in Serbien mehrere Titel heraus, darunter das regierungstreue Boulevardblatt «Blic».
Die Wut der regierenden Clique
Mit ihren Recherchen brachte die Wochenzeitung NIN die Regierung oft in Bedrängnis. Je weitreichender der Einfluss der Zeitschrift, desto grösser die Wut der regierenden Clique. Ein Abgeordneter der Vucic-Partei ging mit einer Einschüchterungsklage gegen den preisgekrönten NIN-Journalisten Vuk Cvijic vor, weil dieser aus einem brisanten Polizeiprotokoll zitiert hatte. Darin sagt ein Beamter, der Abgeordnete habe ihm über Mittelsmänner umgerechnet 100’000 Franken angeboten, falls er die Ermittlungen gegen regierungsnahe Kreise einstelle, die in Serbien angeblich eine der grössten Cannabisplantagen Europas betrieben hätten.
Wer in Serbien Vucic kritisiert, muss mit übelsten Attacken rechnen. Mitte November, kurz vor der heissen Phase des Wahlkampfs, trat der Staatschef im Seichtsender Pink auf und raunte, er wisse etwas über den Oppositionspolitiker Djordje Miketic, wolle aber über Details nicht sprechen. Am nächsten Tag erhielt Miketic von einer unbekannten Nummer ein Bild, auf dem er selbst mit einer unbekleideten Frau zu sehen war.
Schmutzkampagne des Geheimdienstes
Für viele Beobachter war klar, dass hinter der Schmutzkampagne der serbische Geheimdienst steckt, der den Staatschef und die regierungstreuen Medien mit kompromittierendem Material gegen politische Gegner versorgt. Miketic sagte, Unbekannte seien vor anderthalb Jahren in sein Haus eingebrochen und hätten seinen Computer gestohlen.
Nach der öffentlichen Blossstellung zog er seine Kandidatur für die Parlaments- und Kommunalwahlen am 17. Dezember zurück, die Vucic erwartungsgemäss gewann – offenbar auch mithilfe von Phantomwählern, die aus der Provinz und der bosnisch-serbischen Teilrepublik nach Belgrad herangekarrt wurden. Westliche Wahlbeobachter sprachen von massivem Betrug. Die Massenproteste der zersplitterten Opposition haben inzwischen nachgelassen.
Dass nun auch die unbequemen NIN-Journalisten aus der Redaktion rausgeekelt werden, ist ein deutliches Signal, dass Vucic sein Land in eine korrupte Autokratie umgebaut hat. Im Ranking für Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen ist Serbien mittlerweile auf Platz 91 abgerutscht. In der Region schneiden nur Albanien und die Türkei noch schlechter ab.
Das Magazin vergibt den wichtigsten Literaturpreis
NIN wurde 1935 gegründet und gilt als die traditionsreichste politische Zeitschrift Serbiens. Phasenweise war sie das Leibblatt der nationalistischen Intelligenzija. Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Das Magazin vergibt seit 1954 auch den wichtigsten Literaturpreis des Landes. Nach dieser Auszeichnung gelang Autoren wie Danilo Kis, Aleksandar Tisma, David Albahari oder Dragan Velikic der internationale Durchbruch.
In den vergangenen Jahren ehrte die Jury auch Schriftsteller, die mit den historischen Mythen Serbiens abrechnen. Das empört die selbst ernannten Wächter des Nationalstolzes. Ende Januar wird der Autor des besten Romans ausgezeichnet. Am 8. Februar soll die letzte NIN-Ausgabe unter der Ägide der bisherigen Redaktion erscheinen. Die zurückgetretenen Journalistinnen und Journalisten haben die Gründung eines neuen Magazins angekündigt.
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