Wahlen in SerbienVucic spricht jetzt von einer «serbischen Welt»
Präsident Aleksandar Vucic lässt am Sonntag wählen, um seine Macht zu festigen. Sein Land müsse bis zum Comeback von Donald Trump «überleben».
Es gibt den Aleksandar Vucic, der von westlichen Besuchern als «Garant für Stabilität» geschätzt und für Reformen gelobt wird. Und es gibt den serbischen Präsidenten, der wie jetzt im Wahlkampf zu seinen ultranationalistischen Wurzeln zurückkehrt. Vucic hat die vorgezogenen Parlamentswahlen am Sonntag ausgerufen, um nach Massenprotesten wegen Amokläufen in Schulen mit 19 Toten seine Macht zu festigen. Es geht auch um ein Ablenkungsmanöver, angesichts des Drucks der Staatengemeinschaft, bei einer Normalisierung mit Kosovo endlich vorwärtszumachen.
Die Opposition habe Neuwahlen gefordert, nun bekomme sie Neuwahlen, sagte Vucic. Serbiens Präsident löst das Parlament im Durchschnitt alle zwei Jahre vorzeitig auf. Das hilft, die demokratische Fassade aufrechtzuerhalten und die Regimegegner auf Trab zu halten. Ein Bündnis proeuropäischer Oppositionsparteien versucht diesmal sein Glück unter dem Slogan «Serbien gegen Gewalt», doch die Bedingungen sind alles andere als fair. Im staatlichen Fernsehen oder bei regimetreuen Sendern wie Pink oder Happy TV kommen Oppositionelle nur vor, wenn sie diffamiert oder wenn wie zuletzt private Videos als «Kompromat» über sie verbreitet werden sollen.
Vorzeitig gewählt wird auch in knapp der Hälfte der Gemeinden, die der Präsident willkürlich und wohl mit Blick auf die Mobilisierung seiner Klientel ausgesucht hat. Wie auf Kommando mussten dafür die Bürgermeister in der Hauptstadt Belgrad und 60 anderen Ratshäusern quer durch das Land zurücktreten. Einschlägig bekannt ist, dass Angestellte der Verwaltung oder von staatsnahen Betrieben Fotos von ihren ausgefüllten Wahlzetteln vorweisen müssen oder sonst die Entlassung riskieren.
260 Vucic-Monologe am Fernsehen
Zehn Prozent der Bevölkerung sind in der Regierungspartei SNS, Familie und Freunde sitzen in wichtigen Positionen. Aleksandar Vucic hat allein in diesem Jahr 260 Monologe am Fernsehen gehalten, die im Schnitt 38 Minuten gedauert haben, wie die regierungsunabhängigen Wahlbeobachter von Crta berechnet haben – ein Personenkult, der an kommunistische Zeiten erinnert. Der Präsident erklärt dem Publikum die Weltlage und präsentiert sich als Landesvater, der als Einziger Serbien in diesen turbulenten Zeiten durch unruhige Gewässer führen kann.
«Wir werden in Serbien abwechslungsweise als Staatsfeinde, Faschisten oder Diebe präsentiert», sagt Oppositionspolitiker Borko Stefanovic. Vucic wirft der Opposition vor, im Gegensatz zu ihm bereit zu sein, dem Druck des Westens nachzugeben und Kosovo zu «verraten».
Die Bevölkerung stimmt inzwischen mit den Füssen ab, jedes Jahr wandern 70’000 Serben aus. Die Opposition will im Wahlkampf auch deshalb lieber über die grassierende Korruption, die Gewalt in der Gesellschaft oder die Vetternwirtschaft sprechen.
Eine Stabilokratie, gefördert von der EU
Zu Besuch in Brüssel oder Berlin finde Aleksandar Vucic dann die richtigen Worte und präsentiere sich als zuverlässiger Partner, der als einziger mit Blick auf Reformen und die Normalisierung mit Kosovo liefern könne. Im Westen glaubten das viele allzu gerne und setzten auf Vucic als einzigen Garanten für Stabilität in Serbien, so Oppositionspolitiker Stefanovic. In Belgrad kursiert der böse Begriff von der «Stabilokratie», die bewusst oder unabsichtlich von der EU und ihren Mitgliedsstaaten gefördert werde. Dabei sorge Aleksandar Vucic in Realität für viel Instabilität in der Region.
In der Verantwortung sieht die Opposition nicht zuletzt die langjährige deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die Aleksandar Vucic seinerzeit unter ihre Fittiche genommen und seiner Regierungspartei SNS den Weg in die konservative Europäische Volkspartei (EVP) geebnet habe.
Vor heimischem Publikum redet der Präsident in der Regel abschätzig über die westlichen Partner, um dann gegenüber Besuchern seine charmante Seite zu zeigen. So spricht der serbische Präsident gerne von seiner «Freundin Angela», die ihn in neun Jahren immerhin 16-mal bilateral getroffen hat. Dabei dürften auch Wirtschaftsinteressen im Zentrum gestanden sein. Seit immerhin bald zehn Jahren finanziert Berlin einen Wirtschaftsberater, der direkt beim Präsidenten Vucic angesiedelt ist und als Türöffner für die deutsche Wirtschaft funktioniert.
Doch auch EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen hat Aleksandar Vucic bei einem letzten Besuch für seinen Reformkurs gelobt, wobei unklar ist, welche Reformen gemeint sein könnten. Seine Karriere hat Aleksandar Vucic einst als Ultranationalist in den 90er-Jahren an der Seite von Vojislav Seselj und Slobodan Milosevic begonnen, beide in Den Haag später wegen Kriegsverbrechen angeklagt.
Zu Beginn seiner Amtszeit vor zehn Jahren gab er sich geläutert als Proeuropäer, der das Land in die EU führen werde. Jetzt paktiert er im prestigeträchtigen Wahlkampf um Belgrad mit dem verurteilten Kriegsverbrecher Seselj. Dies in der Hoffnung, die Hauptstadt nicht an die Opposition zu verlieren, die nur dort überhaupt Siegeschancen hat. Vucic zeige mit dem Bündnis mit dem Ultranationalisten sein wahres Gesicht, so die Opposition.
Aserbaidschan als Vorbild
Bei einem Fernsehauftritt diese Woche machte der serbische Präsident klar, dass er auf eine Rückkehr von Donald Trump ins Weisse Haus und eine Niederlage der Ukraine setzt. Serbien müsse bis dahin «überleben» und könne danach mit einer «besseren geopolitischen Lage» rechnen.
Serbien könne zudem von Aserbaidschans früherem Präsidenten Heidar und dessen Sohn und Nachfolger Ilham Alijew lernen, der 27 Jahre gewartet habe, um Bergkarabach «zurückzuholen». Quer durch Serbien wird jetzt schon im Wahlkampf auf grossflächigen Inschriften an Autobahnbrücken und Gebäuden die «Rückkehr der Armee nach Kosovo» angekündigt. Statt von Grossserbien wie in der Milosevic-Ära spricht Vucic jetzt von der «serbischen Welt», zu der auch Teile von Kosovo und Bosnien gehören dürften. In Brüssel sollte man Vucics Zusicherungen nicht länger Glauben schenken und die Zeichen an der Wand erkennen.
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