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Analyse zu Merkels Balkanreise
Merkel umarmt die Autokraten

Angela Merkels Lieblingsautokrat: Serbiens Staatschef Aleksandar Vucic empfängt die deutsche Kanzlerin in Belgrad.
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Seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2005 hat Angela Merkel den Balkan mehrmals bereist. Sie kam, um deutschen Soldaten, die in der Region im Rahmen von Friedensmissionen stationiert sind, die Hand zu schütteln, sie traf sich mit Politikern aller Couleur und gewährte vielen Vertretern der Zivilgesellschaft eine kurze Audienz. Dabei repetierte sie stets die Floskel, wonach der Balkan zur Europäischen Union gehöre. Doch die EU-Integration ist auf absehbare Zeit gescheitert. Seit dem Beitritt Kroatiens im Sommer 2013 stehen die anderen Balkanstaaten im Warteraum und werden vertröstet. Die Aufnahme Albaniens, Nordmazedoniens und Montenegros in die Nato – der einzig grosse Fortschritt seit langem – ist vor allem ein Verdienst der Amerikaner.

Diese Woche hat Merkel die Region wieder besucht – es war eine Abschiedstournee. In Belgrad wurde sie von Staatschef Aleksandar Vucic empfangen, der die halbe serbische Hauptstadt mit deutschen Flaggen geschmückt hatte, atemlos «Angela» mit Komplimenten überschüttete und theatralisch erklärte, er sei immer aufgeregt, wenn er die deutsche Kanzlerin treffe.

Merkel lobte das «sehr vertrauensvolle Verhältnis» zu Vucic. Er verspreche nichts Falsches, und er versuche, seine Versprechen umzusetzen. Beispiele dafür nannte sie nicht. Es war das 16. Treffen in neun Jahren zwischen Vucic und Merkel. Kritik musste der serbische Autokrat auch diesmal nicht befürchten. In maximal wattierten Sätzen sagte Merkel, Serbien müsse sich in Richtung Rechtsstaat und Demokratie bewegen.

«Seit neun Jahren unterstützen Sie die Diktatur»

Die serbische Opposition und die Zivilgesellschaft reagierten empört. Aktivisten hielten Merkel ein Plakat auf Deutsch entgegen: «Gehen Sie endlich, Frau Merkel. Seit neun Jahren unterstützen Sie die Diktatur.» Tatsächlich hat Serbien zuletzt grosse Rückschritte gemacht. Im Land herrschen fast weissrussische Verhältnisse: Mit seinen Hetzmedien diffamiert der Staatschef pausenlos die Opposition und die wenigen unabhängigen Medien, seine Bauchredner beleidigen die Nachbarvölker mit rassistischen Sprüchen und stellen die Nachkriegsordnung offen infrage, Mafiamorde und marodierende Unterweltkönige gehören zum Alltag.

In ihren Berichten listet die EU reihenweise Korruptionsaffären auf und zeigt sich besorgt über die politische Einflussnahme auf die Justiz. «Das Land muss seine Anstrengungen zur Zerschlagung grosser und international tätiger krimineller Organisationen verstärken», heisst es im letzten EU-Report. Die renommierte amerikanische Organisation Freedom House bezeichnet Serbien nur noch als «teilweise freien Staat». Für solche Details interessiert sich Merkel kaum. Ihre Nähe zu den Balkan-Autokraten ist irritierend. Solange die «Stabilokraten» für eine oberflächliche Ruhe sorgen, werden sie geduldet und sogar hofiert.

In Albaniens Hauptstadt Tirana wartete schon der nächste Autokrat: Premierminister Edi Rama während der Pressekonferenz mit Angela Merkel am Dienstag.

Die zweite und letzte Station von Merkels Balkanreise war Tirana. In Albaniens Hauptstadt wartete am Dienstag schon der nächste Autokrat. Ministerpräsident Edi Rama sagte, niemand habe die Region besser verstanden als die deutsche Kanzlerin. Der vor allem von Merkel 2014 initiierte «Berlin-Prozess» sei eine «längerfristige Vision», um die Zusammenarbeit zwischen den Balkanländern zu fördern und sie an die EU zu binden.

Die Realität sieht anders aus: Noch nie seit den Kriegen der 90er-Jahre war die grossserbische Rhetorik lauter als jetzt. Und auch der albanische Ministerpräsident zündelt immer wieder. In der Vergangenheit hat er indirekt Grenzänderungen zwischen Kosovo und Serbien unterstützt, neuerdings ist sein Auftreten gegenüber der kosovarischen Regierung arrogant und paternalistisch. Wie Vucic, der im Namen aller Serben in der Region spricht, möchte auch Rama als Polit-Patriarch aller Albaner auf dem Balkan wahrgenommen werden.

Die grossen Streitfragen werden nicht angegangen. Dazu gehört die Weigerung Serbiens, sich mit der Unabhängigkeit Kosovos abzufinden.

In Tirana traf Merkel kurz auch die Regierungschefs Bosnien-Herzegowinas, Nordmazedoniens, Montenegros, Serbiens und Kosovos, um Bilanz zu ziehen. Als bescheidene Erfolge des «Berlin-Prozesses» gelten die Abschaffung der Roaming-Gebühren, die Gründung eines Büros für Jugendaustausch und unzählige «Workshops», bei denen die gleichen Vertreter der Zivilgesellschaft seit Jahren die gleichen Phrasen wiederholen. Die grossen Streitfragen werden nicht angegangen. Dazu gehört die Weigerung Serbiens, sich mit der Unabhängigkeit Kosovos abzufinden. Die Sabotagepolitik Belgrads wird von der EU einfach hingenommen.

Derweil verlassen gut ausgebildete, junge Menschen die Region in Scharen. Gemäss einer Gallup-Umfrage wollen knapp 80 Prozent der albanischen Jugendlichen für immer auswandern, in Serbien hat jeder Zweite unter 30 Emigrationspläne. Seit 2011 sollen 60’000 albanische Kinder Asyl in einem EU-Staat beantragt haben. Es ist ein Exodus aus der Hoffnungslosigkeit, ein Protest mit den Füssen – und ein Fest für die Autokraten: Je dünner die regierungskritische Mittelschicht wird, desto einfacher ist es für die starken Männer, an der Macht zu bleiben. Angela Merkel, die mächtigste Frau der Welt, hat auf dem Balkan vor allem diese Männer gestärkt.