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Proteste gegen Rechts in Deutschland
«Demokratie, das ist keine Selbstverständlichkeit, wir müssen für sie kämpfen»

Teilnehmer zeigen Schilder und Fahnen bei einer Kundgebung gegen die extreme Rechte in München am 8. Februar 2025, zwei Wochen vor den Parlamentswahlen. Eine grosse Menschenmenge mit 200.000 Personen versammelt sich laut Polizeiangaben.
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In Kürze:
  • In München demonstrierten am Samstag bis zu 320’000 Menschen für Demokratie.
  • Eine zentrale Botschaft war die Verurteilung der AfD als extrem rechte Partei.
  • CSU-Politiker befürchteten, die Demo könnte zur Wahlkampfveranstaltung gegen sie werden.
  • Teilnehmer forderten Engagement für Demokratie und kritisierten rechtsextreme Tendenzen.

München ist wach, München ist fair. So lässt sich zusammenfassen, was sich am Samstagnachmittag auf der Theresienwiese zugetragen hat. Die Bürger waren aufgerufen, für die Demokratie auf die Strasse zu gehen, und gekommen sind 250’000 Menschen. Das ist die Schätzung der Polizei, die Veranstalter sprechen von über 320’000. Egal, entscheidend ist die Dimension: Hunderttausende. Eine der grössten Demonstrationen der vergangenen Jahrzehnte in München. «Demokratie braucht dich!» lautete das Motto.

In der Zahl der Teilnehmenden steckt die eine, wichtige Botschaft des Tages. Die andere war zu hören in den verschiedenen, oft sehr engagiert vorgetragenen Reden: Verurteilung der AfD als gefährliche, extrem rechte Partei; und Kritik an CDU und CSU, die im Bundestag Stimmen der AfD für eine Verschärfung der Migrationspolitik in Kauf genommen haben.

Der CSU-Bezirksvorsitzende Georg Eisenreich hatte sein Fernbleiben damit begründet, dass die Demo zu einer Wahlkampfveranstaltung gegen die Unionsparteien werde. Das wurde der Nachmittag auf der Theresienwiese nicht: Harte Kritik an Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz wurde formuliert, aber nicht überzogen. Weit entfernt vom Bühnenprogramm vor einem Jahr bei der Demo «gegen rechts», als manche Redner AfD, Ampel-Regierung und CSU in einen Topf warfen.

Aufstieg von rechts geschehe allmählich, und dann plötzlich

Das Fest der Demokratie beginnt diesen Samstag um Viertel vor zwei. Unzählige Menschen kommen mit selbstgemalten Plakaten und Schildern, mit klaren, fantasievollen Botschaften: «Als wir Frauen mehr Rechte forderten, meinten wir damit nicht Nazis.» Eine Familie ist mit Plakaten gekommen. Auf denen der Kinder steht: «Eigentlich müsste ich mein Zimmer aufräumen, aber das hier ist wichtiger.» Und: «In unserem Geschichtsbuch ist kein Platz für Wiederholungen.»

Ein Teilnehmer hält ein Schild mit der Aufschrift ’Wir können was dafür, wenn wir nichts dagegen tun’ auf einer Kundgebung gegen die extreme Rechte auf der Theresienwiese in München am 8. Februar 2025.

Federführend organisiert hat die Demo der Verein «München ist bunt», seit Jahren wichtiger Akteure im Kampf pro Demokratie und gegen Rechtsextremismus in der Stadt. Micky Wenngatz, die Vorsitzende, hat im Vorfeld angekündigt, dass sie eine sehr große Lautsprecheranlage organisiert hätten, sodass alle alles verstehen würden. Das war zu viel versprochen. Als die Kundgebung gegen Viertel nach zwei beginnt, hören viele der Teilnehmenden, die weit entfernt von der Bühne stehen, wenig oder nichts. Die Kapazität der Anlage reicht nicht, mit einem solchen Andrang hätten sie nicht gerechnet, sagt Orga-Sprecher Luca Barakat. Das Mobilfunknetz bricht auch teilweise zusammen, Telekom-Kunden haben Pech.

Vor der Bühne ist ein grosser Bereich reserviert für Menschen, die mobilitätseingeschränkt sind, die Betreuung brauchen oder eine freie Sicht auf die Gebärdendolmetscher. Sie übersetzen den ganzen Nachmittag für Menschen, die nicht hören, auch die Songs der Musiker. Es ist ein Zeichen des Mitdenkens und der Inklusion. Eine gesellschaftliche Errungenschaft, die in Gefahr geraten könnte, wenn anti-demokratische Kräfte immer stärker werden.

Wie schnell und durchschlagend das geschehen kann, schildert als erster Redner Robert Misik. Der Journalist aus Österreich gilt als Experte für die FPÖ, dem österreichischen Pendant zur AfD, inzwischen kurz vor dem Kanzleramt in Wien. «Allmählich – und dann plötzlich.» So fasst er den Aufstieg der Rechtsaussenpartei in Österreich über die vergangenen 30 Jahre zusammen. Zuerst gebe es Tabubrüche, dann werde daraus eine gewohnte Übung, und «normale Leute» seien bereit, «Grausamkeiten gutzuheissen».

«Ein Verrat an allen Juden und Jüdinnen»

Die Sonne wärmt die Menschen auf der Theresienwiese, es ist ein Kontrast zu dem, was auf der Bühne thematisiert wird. Joëlle Lewitan geht zum Mikro. Die gebürtige Münchnerin ist Mitte 20, Jüdin, Enkelin von vier Shoah-Überlebenden. «Ich stehe heute hier, laut und wütend.» Weil eine extrem rechte Partei an die Macht kommen wolle, und andere Parteien sie dabei unterstützten. Sie nennt keine Parteinamen, nicht nötig. Wer am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, «nie wieder» verkünde, sagt sie, «und 48 Stunden später gemeinsame Sache mit Rechtsextremisten macht, der gedenkt nicht unserer Vorfahren, er verrät sie». Lauter Beifall. «Es ist ein Verrat an meinen Grosseltern, ein Verrat an allen Überlebenden. An allen Juden und Jüdinnen und damit an allen Demokratinnen.» Sich mit dem Gedenken an Juden «zu schmücken» und zugleich jüdisches Leben zu gefährden, «das ist unverzeihlich».

Wäre Bayerns Justizminister und CSU-Chef Eisenreich gekommen, seine Reaktion wäre interessant gewesen. War er es doch, der vor einem Jahr die Münchner Gruppe von Fridays for Future, die die Siegestor-Demo massgeblich organisiert hatte, in die antisemitische Ecke stellte, weil die sich angeblich zu wenig von Greta Thunberg und deren scharfer Israel-Kritik distanziert hätten. Und nun ist es die CSU, die sich von einer jungen, mutigen Jüdin vorwerfen lassen muss, das Andenken an Holocaust-Opfer zu verraten.

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So hart die Kritik Lewitans, so deutlich ihr Aufruf, sich für die Demokratie zu engagieren: «Demokratie, das ist keine Selbstverständlichkeit, wir müssen für sie kämpfen. Wir brauchen die Demokratie, und in diesen Tagen braucht sie auch uns. Es ist ein harter Kampf, aber ein Kampf, der sich lohnt.» Und weiter: «Wir sind nicht ohnmächtig, wir sind wehrhaft. Wir können gemeinsam etwas bewirken. Wir haben buchstäblich die Wahl.»

Mit einer Partei wie der AfD «und ihren Steigbügelhaltern» stehe die Sicherheit der Juden auf dem Spiel, sagt Lewitan. Ihre Grosseltern hätten durch Nazis alles verloren, trotzdem hätten sie an dieses Land geglaubt. «Ihre Hoffnung darf nicht umsonst gewesen sein.» Sie habe ihnen immer versprochen, dass heute anders sei, dass Juden sich nicht verstecken müssten. «Wir als Gesellschaft haben die Verantwortung, dieses Versprechen zu halten.»

Fast heitere Stimmung auf der Theresienwiese

der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist nicht auf der Theresienwiese, aber keineswegs aus politischen Gründen. Seine Mutter feiert an diesem Tag ihren 95. Geburtstag, berichtet Moderatorin Özlem Sarikaya auf der Bühne. Und es sei der grosse Wunsch der Frau gewesen, ihre Kinder um sich zu haben.

Das Programm sollte zwei Stunden dauern, am Ende werden es fast drei. Gegen 15 Uhr, als noch immer Menschen von den U-Bahnen kommen, verlassen die ersten schon wieder die Theresienwiese. Sie verpassen die so engagierte wie wütende Rede von Christiane Benner, der Ersten Vorsitzenden der Gewerkschaft IG Metall. «Löst endlich die Probleme der Menschen!», ruft sie den Politikern zu, «dann driften die auch nicht nach rechts.» Die Menge jubelt. Die Regierungen sollten in die Zukunft investieren. «Macht endlich euren Job!» Es brauche bezahlbare Mieten und Energie, genügend Kitaplätze und gute Bildung, gute Strassen und Schienen und öffentlichen Nahverkehr, gute Radwege und bezahlbare Gesundheit und Pflege.

Teilnehmer einer Kundgebung gegen Rechtsradikalismus am Theresienwiese in München halten ein Banner mit der Aufschrift ’Faschismus bekämpft man nicht mit Abschiebungen’ am 8. Februar 2025, kurz vor den Parlamentswahlen. Foto von LUKAS BARTH-TUTTAS / AFP.

So angespannt die politische Stimmung im Land ist zwei Wochen vor der Bundestagswahl – auf der Theresienwiese ist sie gelöst an diesem Samstag. Fast heiter. Ob die vielen Demos gegen Rechtsextremismus, landauf, landab, den Wahlausgang verändern, ist eher nicht zu erwarten. Und doch habe eine Demo wie die am Samstag eine Wirkung, da ist sich Micky Wenngatz, als Hauptorganisatorin der Demo überglücklich, sicher. Als das Programm sich dem Ende nähert, beschriebt sie die Wirkung dieses Tages so: Es sei ein «ganz tolles Zeichen an die Demokratie-Feinde, dass sie mit uns rechnen müssen und dass sie kein leichtes Spiel haben werden». Wenn die Demokraten zusammenhielten, «dann haben wir auch die Kraft, unsere Demokratie zu schützen gegen die Rechtsextremen».

Auf dem Weg zur S-Bahnstation Hackerbrücke, den im Herbst Hunderttausende Wiesnbesucher nehmen, hat jemand auf einer Treppe ein selbstgemaltes Schild zurückgelassen, es ist eine Anspielung auf Trumps Kampagne «Make America Great Again». Hier steht jetzt: «Make AfD klein again.»