Replik auf einen Kommentar Warum die Dauer einer Vergewaltigung eben doch eine Rolle spielt
Es sei «unbegreiflich», dass die Dauer einer Vergewaltigung bei der Strafe berücksichtigt werde, schrieb eine Kollegin. Warum das so sein muss.
Das Basler Appellationsgericht hat einen Mann wegen gemeinschaftlich begangener Vergewaltigung und sexueller Nötigung mit 36 Monaten, davon 18 Monate unbedingt, bestraft. Das Bundesgericht hob das Urteil auf, was zu einer höheren Strafe führen wird.
Die Lausanner Richter hielten es aber für richtig, dass das Appellationsgericht die «im Vergleich relativ kurze Dauer der Vergewaltigung» bei der Festsetzung der Strafe berücksichtigt hat. Laut den beiden Gerichten dauerte «der gesamte Übergriff ungefähr sechs bis maximal sieben Minuten».
Entscheidend ist das Verschulden
Diese Auffassung des Bundesgerichts, hiess es im Kommentar, sei «unbegreiflich». Die Dauer überhaupt zu berücksichtigen, sei «in Anbetracht der Brutalität einer solchen Tat bestürzend». Das Bundesgericht habe es verpasst, den Basler Fehlentscheid zu korrigieren «und damit ein Zeichen zu setzen».
Dieser Ansicht kann aus moralischer Perspektive ohne weiteres zugestimmt werden. Ihr in der Praxis ausschliesslich zu folgen, hiesse aber, einen der zentralsten Grundsätze unseres Strafrechts aufzuweichen, wenn nicht aufzugeben. Er heisst: Die Strafe bemisst sich nach dem Verschulden des Täters.
Straffestsetzung ist die schwierigste Aufgabe
Unter moralischen Aspekten kann gefragt werden, ob die verhängte Strafe gerecht sei. Die gesellschaftliche Debatte darüber brandet zu Recht immer wieder auf. Aber vorliegend geht es nicht um die Strafhöhe, sondern um die Frage: Welche Aspekte muss ein Gericht bei der Festsetzung einer Strafe berücksichtigen? Fachleute wissen: Strafzumessung ist die häufigste und schwierigste Aufgabe eines Gerichts. Sie ist auch die am schlechtesten gelöste.
Das Vorgehen wäre klar: Das Gericht entscheidet, welche Faktoren im Einzelfall berücksichtigt werden müssen. Dann werden sie einzeln zugunsten oder zulasten des Täters gewichtet. Wer unnötig rücksichtslos oder grausam handelt, muss mit einer härteren Strafe rechnen. Wer wegen seiner schweren psychischen Erkrankung vermindert schuldfähig ist, wird eine tiefere Strafe erhalten.
Die Dauer spielt eine Rolle
Auch die Dauer einer Straftat muss berücksichtigt und gewichtet werden. Es ist nicht vorstellbar, dass ein Täter die gleiche Strafe erhält, egal, ob er einen Menschen, den er entführt hat, zwei Stunden oder zwei Tage gefangenhielt. Es ist für das Verschulden auch von Bedeutung, ob jemand über zehn Kilometer hinweg mit 200 km/h über die Autobahn raste, oder ob er diese Geschwindigkeit während 200 Metern erreichte.
Und es muss einen Unterschied machen, ob eine Frau vom Täter sieben oder dreissig Minuten lang vergewaltigt wurde. Ein längerdauerndes Tatverhalten wirkt sich taterschwerend aus, hat das Bundesgericht in anderem Zusammenhang festgehalten.
Allein der Umstand, dass die Dauer einer Vergewaltigung berücksichtigt wird, sagt noch nichts darüber aus, in welchem Ausmass sie bei der Festsetzung der Strafe berücksichtigt wird. Das gilt für alle tat- und täterbezogenen Faktoren. Beispiele: Wie ging der Täter konkret vor? Welche Ziele verfolgte er? Was waren seine Beweggründe? Wie gross ist der angerichtete «Schaden»? Werden die Faktoren falsch gewichtet, wird das ein Fall für die nächste Gerichtsinstanz.
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