Reisen zu FussWo sich Pilgern lohnt
Wandern und Pilgern sind zwei Paar Schuhe – worin der Unterschied besteht, wissen Pius und Beate Löcher. Sie zeigen lohnenswerte Routen im benachbarten Schwarzwald.

Die wichtigste Regel beim Pilgern? «Einmal Packen proben», sagt Pius Löcher. Mit gut zwei Jahrzehnten Erfahrung und Tausenden Kilometern in den Beinen sind der 67-Jährige und seine Frau Beate (66) absolute Profis in diesem Bereich. Sie gehören zu den zahlreichen Menschen, die rund um den Globus immer wieder zu Pilgertouren aufbrechen. Die Löchers wissen: Packen ist wichtig, schliesslich müssen Pilgerinnen und Pilger ihr Gepäck oft über Tausende Kilometer wochenlang tragen – da wiegt jedes unnötige Gramm schwer.
Bereits nach der ersten, vielleicht nicht ganz so weiten Pilgertour wird klar, was unterwegs vonnöten ist und was nicht. «Und was habe ich nur nicht gebraucht, weil ich Glück hatte», ergänzt Pius – beim Pilgern sind alle per Du – schmunzelnd und nennt als Beispiel seine Regenjacke.
Pilgerwege können schön sein, müssen aber nicht
Natürlich ist das Ehepaar aus Rottweil schon auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela in Spanien gepilgert und auch zu Fuss nach Rom marschiert. Pilgern auf dem Jakobsweg geht aber auch unweit der Schweizer Grenze im Schwarzwald. Denn es gibt nicht den einen Jakobsweg, vielmehr handelt es sich dabei um einen Sammelbegriff für die europäischen Pilgerwege, die zum Grab des Apostels Jakobus nach Spanien führen. Schliesslich heisst es vom seit Jahrhunderten hochfrequentierten Jakobsweg, er beginne vor der eigenen Haustür.
Wer fit ist und viel Zeit hat, geht einfach ab der eigenen Haustür oder Unterkunft los. Wer wenig Zeit hat oder Pilgeratmosphäre ab der ersten Minute spüren möchte, startet direkt an einer Pilgerroute wie etwa in Ihlingen, einem Ortsteil von Horb am Neckar.

Dort steht die kleine Jakobuskirche. Die wunderschöne Mutterkirche der Region ist um die 900 Jahre alt und zeigt im Innern eine sogenannte Säulenkrippe mit Maria, Josef und Jesus – aber auch drei Pilgern. Ausserhalb, nur wenige Meter entfernt von der Kirche, steht ein imposanter Stein. Er markiert den Beginn des Jakobswegs von Ihlingen nach Lossburg ins Kinzigtal.
Wer noch nie gepilgert ist, muss zunächst den Unterschied zwischen Wandern und Pilgern verstehen. Beim Wandern sucht man sich eine Strecke aus, dabei spielen meist die Schönheit der Naturkulisse und die Aussichten eine massgebende Rolle. Pilgern dagegen funktioniert vollkommen anders: Die Routen sind vorgegeben, kleine Nebenwege führen auf grössere Nebenwege, diese führen auf Hauptrouten, und irgendwann – ab Ihlingen ganze 2270 Kilometer später – kommt die Pilgerin eben in Santiago de Compostela an.

Markiert sind die Jakobswege mit einer querliegenden gelben Muschel, die auf blauem Grund an Sonnenstrahlen erinnert. Das ist in der Theorie so. Praktisch verstecken sich die Symbole oft in den Schilderwäldern oder hängen unscheinbar an einem Laternenpfosten. Gerade Pilgereinsteiger tun also gut daran, ein paar extra Meter Laufstrecke einzuplanen.
Der Kirchberg-Pilgerweg ab Horb-Ihlingen führt rund 50 Kilometer bis nach Rottweil. Er besteht zum Teil aus idyllischen Wanderpfaden entlang von Bächen; der historische Höhepunkt: das Überqueren der aus dem 13. Jahrhundert stammenden Pfahljochbrücke. Aber es geht auch eher zweckmässig als attraktiv durch Ortschaften und unter Autobahnbrücken hindurch. «Pilgerwege können schön sein, müssen es aber nicht», bringt Pius es auf den Punkt.
«Pilgerwege können schön sein, müssen es aber nicht.»
Und: Zum Pilgern gehört es selbstverständlich dazu, auch den Rückweg zu Fuss zu bewältigen. So sind die Löchers 2016 nach Rom marschiert – und zurück. Insgesamt also rund 2500 Kilometer. Krankheitsbedingt mussten sie den Rückweg 700 Kilometer vor ihrer Rückkehr in Rottweil abbrechen. Aber bereits zwei Wochen später fuhren sie wieder genau zu jener Stelle und haben von dort – Pilgerehrensache – ihre Route vollendet.

Für diese Form des Reisens braucht es Monate, zumindest wenn man grosse Teile der Route am Stück schaffen möchte. Und so überrascht es wenig, dass sich vor allem Menschen, die ihr Erwerbsleben hinter sich haben, auf diese Form der räumlichen und inneren Reise einlassen. Pilgern ist quasi das Backpacking der Rentnerinnen und Rentner.
Pilgeranfänger setzen am besten erst einmal auf kleinere Etappenziele wie das Kloster Kirchberg, welches der Pilgerroute den Namen gab. Ab Ihlingen ist der Weg dorthin rund 15 Kilometer lang. Das ehemalige Dominikanerkloster ist heute ein Tagungszentrum mit Hotel. Die Lage samt Klostergarten und alter Bausubstanz ist idyllisch, die Zimmer sind ruhig und fernsehfrei, wie es sich für Menschen auf dem Weg zur inneren Einkehr gehört. Stattdessen lauscht man dort den Gesängen des Nachtgebets.

Die Pilgerinnen können aber von Horb am Neckar aus auch nach Lossburg marschieren – also Richtung Westen. Denn dort beginnt der 120 Kilometer lange Kinzigtäler Jakobusweg – und der ist auf den ersten 33 Kilometern identisch mit dem idyllischen Flösserpfad. Also der Route, auf der einst die Flösser die Holzstämme, damals sehr wichtiges Baumaterial für Kirchen, aus dem Schwarzwald auf der Kinzig zum Rhein transportierten. Nur zehn Kilometer sind es bis Alpirsbach mit seinem berühmten Kloster, danach folgt der «Grenzübertritt» ins badische Schenkenzell. Die Route von Lossburg bis Schiltach beträgt rund 20 Kilometer, führt leicht bergab und ist an einem Tag gut machbar.
Von dort aus bietet sich die Möglichkeit, den Schwarzwaldrand-Pilgerweg unter die Füsse zu nehmen. Dessen Höhenprofil fällt indes deutlich kerniger aus. Denn gleich nach dem Start beim Marktplatz in Schiltach gilt es Höhenmeter über einen schier endlos anmutenden Zickzackweg zu erklimmen.

Während die Löchers strammen Schrittes hoch marschieren, kommen die teils deutlich jüngeren Pilgerinnen und Pilger der kleinen Gruppe nach einer halben Stunde bergauf ins Keuchen. Und so geht Pius vorneweg, und Beate bildet die Nachhut. Sie schaut, dass keiner zurückbleibt. Hier kommen jene auf ihre Rechnung, die sich beim Pilgern nicht nur geistig, sondern auch körperlich fordern wollen.
Vielleicht ist das der Moment, in dem Pilgerinnen und Pilger in eine Art Meditationsmodus fallen: Einfach im Hier und Jetzt einen Fuss vor den anderen setzen – irgendwann wird man schon oben ankommen. Gläubige können in solchen Situationen immerhin auf ihren Schöpfer vertrauen. Die Nichtgläubigen motivieren ihre letzten Reserven mit der Aussicht auf Kässpätzle und ein kühles Bier.
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