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Bayern: Schloss Herrenchiemsee
Die verborgenen Ecken des «bayerischen Versailles»

Neues Schloss Herrenchiemsee
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In Kürze:
  • König Ludwig II. von Bayern liess zwischen 1878 und 1886 das Schloss Herrenchiemsee erbauen – und starb noch vor seiner Vollendung.
  • Das Schloss zieht jährlich 450’000 Interessierte an.
  • 50 Angestellte halten das Schloss und den Park in Schuss.
  • Möglich, dass das Schloss 2025 zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt wird.

Dieses Naturschauspiel wäre bestimmt ganz nach dem Gusto von Ludwig II. (1845–1886) gewesen: Als wir an einem kalten Oktobermorgen mit dem Kursschiff auf die Herreninsel im Chiemsee zusteuern, steigt Dampf über dem Wasser auf. Die ersten Sonnenstrahlen durchdringen die Nebelfetzen, sodass alles in einem mystischen Licht erscheint. Kurz danach, auf dem Fussweg zum Schloss, setzt sich das Spiel zwischen Schatten und Sonne fort. «Solche Momente erlebe ich hier oft», erzählt Veronika Endlicher lächelnd, als sie uns die Tür zum Neuen Schloss Herrenchiemsee öffnet. Noch sind wir allein mit der Kastellanin, noch sind keine Besucher unterwegs. Alles ist ruhig, unsere Schritte hallen in der grossen Eingangshalle. 

Doch bald schon werden Heerscharen Ludwigs Prunkschloss mit der riesigen Gartenanlage, den gigantischen Brunnen mit den speienden Tierfiguren bewundern wollen. Mehr als 450’000 Besucher zieht das Denkmal jährlich an, das Ludwig II. zu Ehren seines Namensvetters, des Sonnenkönigs Louis XIV., erbauen liess. Deshalb wird es auch als bayerisches Versailles bezeichnet. Damit es auch fast 150 Jahre nach seiner Erbauung in vollem Glanz erstrahlt, braucht es ganz viele fleissige Hände.

Frühmorgens ist schon die Anfahrt zur Herreninsel ein Spektakel.

«Achtung», warnt Veronika Endlicher, «hier fliegen einem manchmal Fledermäuse um die Ohren.» Aber es ist wohl schon zu kalt für sie, als wir zum staubigen Dachboden emporsteigen. Veronika Endlicher führt uns backstage hinter Türen, die sonst verschlossen bleiben. Obwohl die Schlossverwalterin meist unten beim Eingang in einem warmen Büro sitzt und die Reservationen für die Besuchergruppen koordiniert, muss sie mindestens zweimal im Jahr unters Dach steigen. Dann nämlich, wenn die riesigen Kronleuchter im Spiegelsaal abgestaubt werden müssen. Sie zeigt uns die Kurbeln, mit denen sie heruntergelassen werden. 

Fing als Studentin auf dem Schloss an und ist dann gleich geblieben: Kastellanin Veronika Endlicher.

Zuvor bestaunten wir noch den unvollendeten Teil des Schlosses, wurden doch nur 20 der 70 Räume auch fertiggestellt. Sie erinnern mit ihrer unverputzten Backsteinoptik an heutige Lofts oder Szenecafés. 

Bildnummer: 50356951  Datum: 16.06.2002  Copyright: imago/K-P Wolf
Prunkvoller Aufgang im Neuen Schloss auf der Herreninsel im Chiemsee - Oberbayern, Gebäude, innen, Innenansicht; 2002, Bayern, Oberbayern, Chiemgau, Chiemsee, Herreninsel, Ausflugsziel , Sehenswürdigkeit, Königsschloss, Königsschlösser, , , Barock, Rokoko, Statuen, Statue, Statuetten, , ,; , quer, Kbdia, Totale, Architektur, Kunst, Schlösser, Deutschland,  , Reisen, Europa / Prunk, Eingangsbereich, Treppenaufgang, Treppenaufgänge, Treppe, Treppen
… und so im unfertigen Schlossteil. Würde man jetzt nicht auf Anhieb denken, dass diese Räume aus dem 19. Jahrhundert stammen.

Nun führt uns die Kastellanin in den Keller. Hier befindet sich eine kuriose Eisenkonstruktion namens «Tischlein deck dich». Diese ist mit dem Speisezimmer verbunden. Unten wurde der Tisch gedeckt und dann nach oben gekurbelt, sodass der Monarch ohne Bedienstete sein «Dinner for one» geniessen konnte. 

Zweifellos hatte der König ein Faible für die Technik, liess er doch damals bereits eine Warmluftheizung einbauen. «Sie soll nur ein einziges Mal wirklich benutzt worden sein», weiss Endlicher. Es wäre viel zu teuer gewesen, alle Räume zu beheizen. «Dafür sparte er nicht beim Kerzenlicht. Er liebte es.» 5000 Kerzen sollen gebrannt haben, allein im Spiegelsaal 2000, wenn der Schlossherr auf einem seiner raren Besuche vorbeikam. Und er liebte die Opulenz: Ganze fünf Kilo Blattgold wurden allein für die 20 fertig eingerichteten Räume verwendet. Das ganze Schloss kam auf 16,6 Millionen Mark zu stehen, was teurer war als Neuschwanstein und Linderhof zusammen. 

Kurbeln stehen im Schloss hoch im Kurs: Wenn die Kronleuchter mal wieder geputzt werden müssen, kurbelt die Schlossverwalterin sie höchstselbst auf «Abstaubhöhe» runter.
Das «Tischlein deck dich» wurde im unteren Stock mit Speisen bestückt – und dann in des Königs Speisesaal hochgekurbelt.

Er musste eine ziemlich exzentrische Person gewesen sein, dieser Kini, wie ihn die Bayern liebevoll nennen. Mit 18 Jahren schon kam er auf den Thron, machte aber weit mehr von sich reden mit seinem Hang für opulente Schlösser als mit einer geschickten Politik. Natürlich sei Ludwig II. schon ein bisschen verrückt gewesen, sagt Veronika Endlicher. Nicht nur, weil er die Nacht gern zum Tag machte, was ihm den Spitznamen Mondkönig einbrachte.

Hier arbeiten 50 Leute – und 30 Pferde

«Mich fasziniert an Ludwig die Ambivalenz seiner Persönlichkeit, einerseits seine eher reaktionäre Seite, was seine Haltung zur Monarchie anbelangte, und andererseits war er sehr fortschrittsaffin und gründete beispielsweise 1868 die Polytechnische Hochschule in München», erklärt Veronika Endlicher, die 2004 als Studentin auf dem Schloss anfing – und als studierte Historikerin seit 2012 gegen 50 Mitarbeitende führt. Noch immer staune sie, wenn sie durch die prunkvollen Räume gehe. «Im Spiegelsaal könnte ich stundenlang die Decke mit ihren Gemälden betrachten, die wie eine riesige Bildergeschichte angelegt sind», meint sie strahlend. 

Herrenchiemsee, Neues Schloß, Große Spiegelgalerie (R.9), Blick nach Süden

Auch Christian Hofstetter sagt, dass er hier seinen Traumjob gefunden habe. Den gelernten Schreiner treffen wir vor den Stallungen beim Zäumen der Kaltblüter Nino und Schiwago an. «Eigentlich wollte ich nur zwei, drei Monate bleiben», meint er lachend. Mittlerweile ist er auf der Insel für die 30 Pferde und die Zweispänner sowie die Planwagen zuständig. Auf der Insel sind diese Gefährte die einzigen zugelassenen Fortbewegungsmittel, die die Gäste vom Hafen zum Schloss bringen. 

Die Begeisterung spürt man auch bei Gartenmeisterin Veronika Wöhrer. Sie steht im Gewächshaus inmitten von Tausenden von Stiefmütterchen-Setzlingen und pflanzt sie gerade in grössere Töpfchen um. «Wir ziehen rund 95 Prozent der Pflanzen für den Park selbst an.» Das sind neben den Stiefmütterchen unzählige Begonien, Salbei, Spinnerblumen und Silberblatt. Alles Blumen, die es schon zu Zeiten von Ludwig II. gab. «Wir können uns also gestalterisch nicht sonderlich verwirklichen», gibt sie zu. Ausser vielleicht bei der Farbwahl. Aber auch die hängt nicht von ihrer persönlichen Vorliebe ab, sondern vom Geschmack der Rehe und Hasen, die des Nachts den Park besuchen. «Sie lieben weisse und blaue Stiefmütterchen, also setzen wir orange und gelbe!» 

2HBPKN5 Fahrt nach Herrenchiemsee
Bläst der Kleine die nahende Winterzeit an?

Nicht allein das Schloss und der Park locken Tagestouristen an. Da sind auch die riesigen Brunnen mit den Wasserspielen. So sehr sie im Sommer das Publikum verzaubern, im Oktober müssen sie winterfest gemacht werden. Das heisst erst mal, das Wasser abzulassen und den Dreck abzutransportieren. «Rund zehn bis zwanzig Schubkarren sind das», erzählt Robert Stockinger von der Inselfeuerwehr. Dann werden die Brunnen mit Dampfkraft gefegt, die Fabelfiguren eingepackt. Zur Kontrolle steigt Stockinger auch mal in den Schacht unter den Brunnen, wo sich die Technik, Steuerung und Pumpen befinden. «Diese wurden allerdings erst viel später eingebaut.»

Robert Stockinger von der Inselfeuerwehr steigt im Herbst schon mal unter die Brunnen, um die Steuerung der Wasserspiele zu kontrollieren.

Obwohl Ludwig intensiv in den Bau und die Gestaltung des Schlosses involviert war, unzählige Male das Konzept abänderte und damit seine Entourage zum Verzweifeln brachte, lebte er insgesamt kaum zwei Wochen im Schloss. Er ertrank 1886 im Starnbergersee – im gleichen Jahr, in dem das Schloss zu Ende gebaut wurde.

Reicht es zum Unesco-Welterbe?

Als gebaute Träume werden die vier Schlösser von König Ludwig II. von Bayern oft bezeichnet: Neuschwanstein, Linderhof, Schachen und Herrenchiemsee. Lange wurden sie als Disney-Kitsch betrachtet. Vielleicht auch, weil das Logo der Produktionsfirma Walt Disney Pictures tatsächlich auf der Silhouette von Neuschwanstein basiert. 1997 kam erstmals die Idee für einen Antrag als Weltkulturerbe auf; 2007 stellte der Bayerische Landtag ein entsprechendes Gesuch bei der Unesco – mit der Begründung, dass es sich dabei schliesslich um weltberühmte Hauptwerke aus der Epoche des Historismus handle.

Im Sommer 2025 soll die Entscheidung der Unesco-Kommission fallen. Bis dahin dürften auf der Herreninsel im Chiemsee einige Daumen gedrückt sein. Und vielleicht auch ein paar Hufe. 

BW111H Schloss Herrenchiemsee Castle, Chiemgau Upper Bavaria Germany

Die Recherchereise für diesen Artikel wurde unterstützt von Chiemgau Tourismus.