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Schweizer Rechtsberatung für Russen
«Wir gewähren allen Rechts­beistand. Sogar Mafiosi und Kriegsverbrechern»

Demonstranten ziehen vor dem Sitz der Sber Trading Swiss AG (Sberbank), hinten Mitte, vorbei, anlaesslich dem sogenannten Putin-Rohstoffrundgang durch die Stadt Zug mit Besuchen bei russischen Rohstofffirmen wie Nord Stream, Metal Trade Overseas SA, Sber Trading Swiss AG und Gazprom, am Donnerstag, 3. Maerz 2022 in Zug. (KEYSTONE/Urs Flueeler)
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Wird die Schweiz wegen der Umsetzung ihrer Russland-Sanktionen kritisiert, geht es meist um dieselben zwei Punkte: Finanzströme und Anwälte. Dies, weil Schweizer Anwältinnen und Anwälte nicht melden müssen, wenn ihre Klienten eine Briefkastenfirma eröffnen. Und sanktionierte Russen teils mittels solcher Firmen ihr Vermögen in Sicherheit gebracht haben. 

In diesem politisch aufgeheizten Kontext will nun ein Mitte-Ständerat eine Regel aus der Ukraine-Sanktions-Verordnung streichen, die ebenfalls die Anwälte betrifft. Konkret geht es dabei um Rechtsberatung.

Berät eine Schweizer Anwältin eine russische Firma, droht ihr derzeit eine Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr. Der Bundesrat hat diese Sanktion von der EU übernommen. Mitte-Ständerat Beat Rieder findet, sie sei verfassungswidrig. Er will sie streichen und hat dazu einen Vorstoss eingereicht, über den der Ständerat am Montag entscheidet. 

«Aussen- und sicherheitspolitisch fatal»

Bei der Ratslinken sorgt das für Empörung. SP-Ständerätin Franziska Roth sagt: «Schweizerische Anwälte sollen Verbrechern und Embargo-Brechern weiterhin beim Verstecken ihrer Reichtümer helfen – das ist es, was die Motion fordert.» Dies sei nicht nur aussenpolitisch, sondern auch sicherheitspolitisch fatal: «Die Sicherheit Europas und der Schweiz hängt auch davon ab, dass die Embargo-Beschlüsse gegen die Putin-Freunde tatsächlich wasserdicht umgesetzt werden.»

In der EU und den USA würde eine Lockerung der Sanktionen zugunsten der Anwälte wohl ähnlich scharf kritisiert. Rieder sagt dazu: «Wir können nicht die Rechtsstaatlichkeit aufs Spiel setzen, weil uns jemand aus dem Ausland kritisiert. Ganz egal, ob die Kritik von den Russen oder den Amerikanern kommt. Der Zweck heiligt nicht alle Mittel.» Der Mitte-Ständerat argumentiert nämlich, die Schweiz schränke das Grundrecht auf rechtliches Gehör ein.

«Ich habe mir nie träumen lassen, dass ich mal mit dem Artikel 1 des Strafgesetzbuches argumentieren muss. Den lernt man als Student, braucht ihn dann aber eigentlich nie mehr, sofern man in einem Rechtsstaat lebt», so Rieder. Im Artikel 1 heisst es sinngemäss: Bestraft wird nur, wer eine Tat begeht, die gesetzlich mit Strafe bedroht ist. Genau diese Gesetzesgrundlage fehle hier.

Beat Rieder, Mitte-VS, spricht waehrend der Sommersession Raete, am Donnerstag, 9. Juni 2022 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Das Rechtsberatungsverbot ist in der Ukraine-Verordnung festgehalten. Diese basiert auf dem Embargogesetz. Letzteres sei keine gesetzliche Grundlage, um Schweizer Anwältinnen und Anwälte bei der Ausübung ihres Berufes einzuschränken und zu bestrafen, findet der Mitte-Ständerat. «Wegen des Ukraine-Kriegs werden jetzt überall Grenzen überschritten, deren Überschreiten vor einigen Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre.»

Der Bundesrat setzt jetzt zum Konter an. Er argumentiert in seiner Antwort auf den Vorstoss, Sanktionen seien zwangsläufig mit der Einschränkung von Grundrechten verbunden. Dies habe man abgewogen. Das Verbot der Rechtsberatung sei stark beschränkt. Es gehe nur um juristische Personen, also Firmen, die ihre Niederlassung in Russland haben – sowie um Mitglieder der russischen Regierung.

Zudem werde nicht etwa der rechtliche Beistand in einem Verfahren verboten, sondern nur die Rechtsberatung. Das heisst: Vor Gericht dürfen Schweizer Anwälte weiterhin russische Firmen vertreten. Und: Eine rechtliche Grundlage gebe es sehr wohl. Das Embargogesetz sei absichtlich breit formuliert, um dem Bundesrat Spielraum bei der Übernahme von Sanktionen zu lassen.

Rieder wiederum sagt, Rechtsvertretung und -beratung seien eng verknüpft und liessen sich nicht  trennen. Dies habe auch das Bundesgericht so bestätigt: «Die Rechtsberatung sorgt oft dafür, dass es nicht zu einem Gerichtsverfahren kommt.»

Schweiz als Gehilfin fürs Umgehen von Sanktionen?

Gibt es überhaupt Fälle, in denen russischen Firmen Rechtsberatung in der Schweiz verwehrt wurde? Der Schweizerische Anwaltsverband schreibt auf Anfrage, ihm würden keine konkreten Informationen dazu vorliegen. Das sei aber nicht der Punkt: «Wenn sich der Bundesrat völlig zu Recht auf die Seite des Unterdrückten und gegen den Aggressor stellt, darf dies nicht zulasten der tragenden Prinzipien unseres Rechtsstaates gehen.» Das Verbot von Rechtsberatung sei generell «höchst problematisch», weil damit der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt werde. 

Das Verbot gilt seit über einem Jahr. Rieder hat sich deswegen schon im letzten Sommer einen Schlagabtausch mit Wirtschaftsminister Guy Parmelin geliefert, der für die Umsetzung der Sanktionen zuständig ist. Danach fanden Gespräche zwischen Rieder und Beamten des Staatssekretariats für Wirtschaft statt. Jedoch ohne Erfolg: «Die haben ein Rechtsverständnis, das ich nicht teilen kann», so Rieder. 

Andrea Caroni, FDP-AR, links, diskutiert mit Beat Rieder, CVP-VS, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 5. Juni 2019 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)

Der Bundesrat empfiehlt nun, den Vorstoss abzulehnen. Doch Rieders Chancen stehen im Ständerat gut. Denn die SVP kritisiert die Sanktionen generell, wird also die Lockerung begrüssen. Und auch die freisinnigen Ständeräte und Ständerätinnen unterstützen Rieders Anliegen voraussichtlich, wie FDP-Vizepräsident Andrea Caroni erklärt. «In unserem Rechtsstaat gewähren wir allen einen Rechtsbeistand. Das gilt sogar für Terroristen, Mafiosi und Kriegsverbrecher. Das können wir nicht einzig russischen Sanktionierten verwehren.» Caroni, ebenfalls Rechtsanwalt von Beruf, betont, er stehe hinter allen anderen Sanktionen. Aber diese gehe zu weit. 

Im Ständerat sitzen viele Juristen, die primär aus einer rechtlichen Perspektive argumentieren. Eng wird es für Rieders Anliegen aber wohl spätestens im Nationalrat. Dort dürfte die politische Dimension stärker gewichtet werden. Sprich: die Frage, ob die Schweiz als Gehilfin für Sanktionsumgehungen dienen würde, wenn sie das Verbot streichen würde.