Reaktionen auf Bundesgerichtsentscheid«Gewisse Kreise beginnen beim Wort ‹christlich› gleich zu hyperventilieren»
Im jahrelangen Streit um die katholische Schule Kathi in Wil SG hat das Bundesgericht heute gegen die Schule entschieden. Das sorgt in christlichen Kreisen für konsternierte Reaktionen.

- Das Bundesgericht verbietet christlich orientierte Mädchenschulen mit öffentlichen Geldern.
- Die Mädchensekundarschule Kathi Wil ist besonders betroffen vom überraschenden Urteil.
- Bildungsexpertinnen befürworten getrennten Unterricht und verweisen auf geschlechtsspezifische Vorteile.
Das Urteil setzt einen Schlusspunkt unter einen langen Streit. Dürfen mit öffentlichen Geldern finanzierte Schulen sich christlichen Werten verschreiben? Und dürfen sie ausschliesslich für Mädchen oder Buben sein? Nein, wurde heute in Lausanne entschieden. Für viele kam das überraschend. Allen voran für die betroffene Mädchensekundarschule Kathi Wil.
Aber auch andere religiös orientierte Schulen könnten vom Entscheid betroffen sein. Für Michael Grunder von der «Maitlisek», einer Mädchenschule in Gossau SG, ist es noch zu früh, um die Konsequenzen des Urteils abzuschätzen. «Die Maitlisek ist seit über 100 Jahren Teil des Bildungsplatzes Gossau und trägt massgeblich zur Vielfalt des Bildungsangebotes bei. Falls das heutige Urteil Auswirkungen auf den Standort Gossau hätte, würden wir das sehr bedauern.» Zunächst gelte es die detaillierte Urteilsbegründung abzuwarten, erst dann könne man schauen, was das Urteil konkret für den Bildungsplatz Gossau und die Maitlisek bedeute.
Markus Zuberbühler von der «Initiative für Christliche Bildung» findet den Entscheid bezüglich der religiösen Neutralität problematisch. Der Lehrplan 21 halte in Bezug auf die Volksschule ausdrücklich fest, dass diese von «christlichen, humanistischen und demokratischen Wertvorstellungen» ausgeht – sowohl für die öffentlichen wie die privaten Schulen.
Wie es um die religiöse Neutralität im Unterricht bestellt sei, hänge von der Lehrperson ab, sagt Zuberbühler: «Dort sind gläubige und atheistische Lehrpersonen gleichermassen gefordert. Insofern ist es für Eltern ein Vorteil, wenn die weltanschauliche Ausrichtung der Schule klar ist und sie diese bewusst wählen können.»
Geschlechtertrennung soll Gleichstellung dienen
Für die ehemalige Primarschullehrerin und Mitte-Nationalrätin Marianne Binder ist klar, dass dabei auch gewisse Vorurteile mitspielen – gegen das Christentum. «Was soll denn an einer christlichen Schule nicht verfassungsgemäss sein? Freiheit, gleiche Rechte, Solidarität – also alles, was den modernen Rechtsstaat ausmacht, sind christliche Werte», sagt sie.
Das Urteil hat für Binder auch eine politische Komponente. «Gewisse Kreise beginnen beim Wort ‹christlich› gleich zu hyperventilieren, zeigen bei anderen Religionen aber gleichzeitig grosse Toleranz.» Zudem sei der Besuch der Kathi freiwillig. «Weshalb muss der Staat jetzt erzieherisch eingreifen und eine solche Schule verunmöglichen?»
Auch was den geschlechtergetrennten Unterricht angeht, findet die Ex-Lehrerin den Entscheid falsch. «Man sollte im Gegenteil prüfen, ob der Gleichstellung von Buben und Mädchen nicht besser gedient wäre, wenn der Unterricht wieder vermehrt getrennt stattfände.»
Religionsfreiheit der Eltern verletzt?
Noch etwas weiter geht Giuseppe Gracia, Kommunikationsexperte, Katholik und Autor: «Staatliche Anerkennung und Mitfinanzierung einer Schule kann nicht bedeuten, dass der Staat eine Moral vorschreiben darf und unliebsame Weltanschauungen durch Entzug seiner Anerkennung bestraft.» Er müsse weltanschaulich neutral bleiben und die Religionsfreiheit der Eltern achten, wenn sie überzeugt seien, dass eine Schule der Würde und Entwicklung von Mädchen und Jungen gerade dann am besten diene, wenn beide Geschlechter unabhängig voneinander lernten.
Zum geschlechtergetrennten Unterricht gibt es laut der Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm einige neuere Studien. Es gebe einige Anzeichen, dass sich dieser gerade für Mädchen positiv auswirke. In einem solchen Umfeld würden Mädchen offener und selbstbewusster agieren und auch mehr am Unterricht teilnehmen.
Dies gilt insbesondere für die sogenannten Mint-Fächer, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, in denen die Mädchen in gemischten Klassen eher zurückfallen. Zudem ermögliche es ein solches Umfeld auch eher, Geschlechterstereotypen abzubauen. Entscheidend seien aber letztlich andere Faktoren wie Lehrkräfte, Schulleitung und didaktische Konzepte.
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