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Entscheid des Bundesgerichts
Keller-Sutters einstige Mädchenschule ist diskriminierend

Ein Fall für das Bundesgericht: Auf dem «Kathi» in Wil werden nur Mädchen unterrichtet. Religionsunterricht gehört zum Alltag.
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Öffentliche Schulen nur für Mädchen oder Jungen sind laut Bundesgericht diskriminierend. Und sie verletzen die religiöse Neutralität, wenn sie zu stark auf eine Religion fokussiert sind.

Zu diesem Urteil kommt das Bundesgericht nach einer öffentlichen Verhandlung im Fall «Kathi» – der katholischen Mädchenschule St. Katharina in Wil. Diese besuchte seinerzeit auch die heutige Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Bereits seit den 90er-Jahren ist die traditionsreiche Schule politisch umstritten. Seit 2016 wird der Streit vor Gericht ausgetragen.

Beschwerdeführer ist Sebastian Koller, Mitglied des Stadtparlaments, gemeinsam mit den jungen Grünen Wil. Sie kritisieren, das Kathi sei geschlechterdiskriminierend, da es Knaben ausschliesst. Und dem katholischen Kathi fehle die religiöse Neutralität. Eine öffentliche Schule müsse allen zugänglich sein. Zwar ist das Kathi eine Privatschule, aber es führt im Auftrag der Stadt einen Bildungsauftrag aus.

Die Gegenseite um die Mitte und die SVP sowie um die Stiftung der Schule St. Katharina stellt sich auf den Standpunkt, die Schule sei ein Erfolgsmodell und – da freiwillig – nicht diskriminierend, weil sie niemanden zwinge, hier in die Schule zu gehen.

Die Argumente im Gerichtssaal 

Bundesrichterin Marianne Ryter unterstützte Kollers Beschwerde und schlug dem Richtergremium vor, sie gutzuheissen. Der Unterricht am Kathi mit seinen christlichen Werten sei mit so vielen christlichen Handlungen durchdrungen, dass die Mädchen fast ganz dem Unterricht fernbleiben müssten, wenn sie sich jeglichen religiösen Aktivitäten entziehen möchten. Die öffentliche Schule habe aber dazu beizutragen, dass die Kinder unterschiedlicher Herkunft gemeinsam zu Toleranz erzogen würden.

Die Schülerinnen am Kathi würden zwar nicht zum katholischen Glauben gedrängt, aber stark dahin gelenkt. Auch was die Diskriminierung betrifft, unterstützte sie Koller: Das Kathi sei nicht nur für Knaben diskriminierend, die kein gleiches Angebot hätten, sondern auch für einen Teil der Mädchen. Denn die Anzahl Schülerinnen am Kathi sei begrenzt und immer wieder entscheide das Los, welche Mädchen aus Wil das Kathi besuchen können.

Dagegenhielten die Bundesrichterin Julia Hänni und ihr Kollege Matthias Kradolfer. Sie argumentierten hauptsächlich mit der Freiwilligkeit: «Wer das Kathi besucht, hat sich dafür entschieden», sagte Kradolfer. Die Gemeinde zwinge niemanden, diese Schule zu besuchen. Verletzt werde die religiöse Neutralität erst, wenn ein Kind vom Staat dazu gezwungen werde, in eine religiöse Schule zu gehen. Das Kathi hingegen stehe Mädchen aller Religionen offen. Die beiden Richter schlugen vor, die Beschwerde ans Kantonsgericht zurückzuweisen. Dieses solle abermals prüfen, welche Vor- und Nachteile eine reine Mädchenschule mit sich bringe. «Um heute ein Verbot auszusprechen, fehlen mir die Fakten. Wie ist beispielsweise die Maturitätsrate der Abgängerinnen?», fragte Kradolfer.

Eine Ära geht zu Ende

Armin Eugster, Präsident der Stiftung St. Katharina, ist vom Urteil überrascht: «Die 200-jährige Geschichte unserer Schule als Mädchenschule ist heute beendet worden.» Der Stiftungsrat werde nun das schriftliche Urteil des Bundesgerichts analysieren und alternative Schulkonzepte prüfen. Denn «nach wie vor ist die Nachfrage nach unserem Angebot gross». Auch der Beschwerdeführer Sebastian Koller macht trotz Sieg keine Freudensprünge. Zwar sei er froh, dass nach neun Jahren vor Gericht ein Urteil gefällt worden sei, das seinem Anliegen zustimme. Aber, so Koller: «Es ist ein herber Schlag für viele Schulen.»

Der lange Weg der Beschwerde

Es ist bereits das zweite Mal, dass sich das Bundesgericht mit dem Kathi befasst. In der von Dominikanerinnen gegründeten katholischen Mädchensekundarschule werden seit über 200 Jahren die «Töchter» von Wil und Umgebung, wie sie noch zu Beginn genannt wurden, unterrichtet. Das Angebot wird heute noch rege genutzt. Die Klassen sind oft voll. Rund 150 Mädchen gehen hier zur Schule. Die allermeisten aus Wil. Was dazu führt, dass in den Wiler Regelklassen oft ein Geschlechterungleichgewicht mit Bubenüberschuss herrscht. Der Wiler Stadtparlamentarier Sebastian Koller verbrachte beispielsweise seine Sekundarschulzeit in einer reinen Bubenklasse.

Nun beanstandet er verschiedene aus seiner Sicht kritische Punkte.

  • Erstens: Das Kathi sei geschlechterdiskriminierend, da den Buben ein Besuch verwehrt bleibe. Das Grundschulangebot für Mädchen sei vielfältiger und attraktiver.

  • Zweitens: Das Kathi erfülle die religiöse Neutralität nicht, zu der es als öffentliche Schule verpflichtet sei. Es setze katholische Akzente im Schulalltag.

  • Drittens: Er bezweifelt, dass die Gemeinde Wil über eine genügende gesetzliche Grundlage verfügt, um einen Bildungsauftrag an eine private Schule zu übergeben.

  • Viertens: Wil verletze den Grundsatz der Gleichbehandlung von Konkurrenten, indem es dem Kathi exklusive Privilegien einräume.

Kantonsgericht wies Beschwerde ab

Das Verwaltungsgericht St. Gallen wies in seinem Urteil vom April 2022 alle Beschwerdepunkte ab. Es stehe jedem offen, ein äquivalentes Angebot für Buben zu schaffen. Auch verletze das Kathi die religiöse Neutralität nicht, da es Mädchen aller Religionen offenstehe und sie auch nicht dazu verpflichte, an den religiösen Aktivitäten und Ritualen teilzunehmen. Sie dürften ohne förmliche Dispens fernbleiben. Im Übrigen sei eine Übertragung des Schulauftrags an Private zulässig. Auch die Wirtschaftsfreiheit werde nicht verletzt.

Eine Öffnung für Buben war vorgesehen, aber …

Während die Gerichte über die Ausrichtung des Kathi urteilten, beschäftigte sich die Regionalpolitik mit dem Vertrag zwischen Kathi und Wil. Schule und Stadtrat erarbeiteten einen Vertragsentwurf, der vorsah, das Kathi auch für Realschülerinnen und in einem zweiten Schritt für Buben zu öffnen. Doch das Stadtparlament lehnte die Pläne kürzlich knapp ab.

Die Grünen, die SP und die FDP setzten sich gegen Mitte und SVP durch. Das finanzielle Risiko für Wil sei zu hoch. Die Stadt hätte die Räumlichkeiten für die Bubenklassen zur Verfügung stellen müssen – somit wäre eine doppelte Schulinfrastruktur erstellt worden, ohne zu wissen, ob das Bubenangebot auch genutzt würde. Damit stellte das Wiler Parlament die Kathi-Frage wieder zurück auf Feld 1. Das Bundesgericht ergänzt nun neue Spielregeln.