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Wahlen in Rapperswil-Jona
Ein umstrittener Medienunternehmer will den Stadtpräsidenten stürzen

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In Kürze:
  • In der zweitgrössten Stadt des Kantons St. Gallen tobt ein ungewöhnlich heftiger Wahlkampf.
  • Er könnte in drei Wochen mit einer Schmach für den aktuellen Stadtpräsidenten enden.
  • Nach dem ersten Wahlgang im September lag er abgeschlagen auf dem letzten Platz. Trotzdem tritt er am 24. November wieder an.
  • Ausgerechnet ein früherer Weggefährte will die Wiederwahl verhindern.

Ein amtierender Stadtpräsident, der trotz Schlappe im ersten Wahlgang zum zweiten antritt.

Eine bis vor kurzem wenig bekannte Politikerin aus einem Nachbarkanton, die neue Stadtpräsidentin werden will.

Und schliesslich: ein umstrittener Medienunternehmer, der sich seit Jahren mit viel Getöse in die Lokalpolitik einbringt und nun auch die Kandidatur der Herausforderin lanciert hat.

Das sind die drei Hauptfiguren in einem bisweilen grotesk anmutenden Wahldrama, das am 24. November seinen Höhepunkt erreicht. Die Bühne: Rapperswil-Jona, mit rund 28’000 Einwohnern die zweitgrösste Stadt im Kanton St. Gallen.

Herausforderin 1600 Stimmen im Vorsprung

Besuch bei Martin Stöckling (FDP), derzeit Stadtpräsident, im Stadthaus in Jona. Er ist jovial und gut gelaunt, obwohl er mit dem Rücken zur Wand steht. Im ersten Wahlgang im September erzielte Stöckling ein desaströses Resultat. Mit etwas mehr als 2500 Stimmen schaffte er es nur auf den dritten Platz. Er lag deutlich hinter seiner Herausforderin Barbara Dillier, die auf Anhieb 4100 Stimmen holte, und knapp hinter seinem bisherigen Stadtratskollegen Boris Meier (GLP), der nun im zweiten Wahlgang nicht mehr antritt.

Beim Gespräch im Ratssaal wirkt Martin Stöckling, als wäre nichts passiert. Der 50-Jährige sagt selbstbewusst: «Ich trete nochmals an, um zu gewinnen.»

Rapperswil 15-10-2024
Martin Stöckling, Stadtpräsident von Rapperswil
Bild: Patrick Gutenberg

Natürlich sei er vom Resultat etwas überrascht worden. Seine Erklärung? «Ich glaube, es ist eine Gemengelage verschiedenster Faktoren.» Die Mobilisierung habe nicht funktioniert. «Und der Stadtrat hat sicher ein, zwei Kritikpunkte geliefert.» Diese seien im Wahlkampf von der Gegenseite enorm bewirtschaftet worden.

Vorwurf der fehlenden Transparenz

Tatsächlich gibt es in der Rosenstadt, wie Rapperswil-Jona im Volksmund genannt wird, mehrere umstrittene Dossiers. Ende September verpasste nicht nur Stadtpräsident Stöckling seine Wiederwahl. Die Stimmberechtigten versenkten gleichentags auch einen 75-Millionen-Neubau für ein Hallen- und Freibad. Dies, obschon sich zuvor alle Parteien für die Vorlage ausgesprochen hatten. Zu den lautesten Projektgegnern gehörte der Verleger des Onlineportals «Linth24», Bruno Hug. Der Medienunternehmer, der gerne selbst in die Tasten greift, äusserte unmittelbar vor dem Abstimmungstermin öffentlich Zweifel am Bedarf eines Hallenbads. Statt Transparenz zu schaffen, verweigerte der Stadtrat die Herausgabe einer Umfrage, die als Grundlage für den 75-Millionen-Bau gedient haben soll.

Fehlende Transparenz wurde dem Stadtrat bereits im Frühjahr 2023 angelastet. Der sogenannte China-Deal sorgte gar schweizweit für Schlagzeilen. Dies, weil der Stadtrat ein 2000 Quadratmeter grosses Grundstück für 2,4 Millionen Franken an die chinesisch-schweizerische Firma Sinoswiss verkauft und die Bevölkerung zwei Jahre lang nicht darüber informiert hatte. Den Deal publik gemacht hat schliesslich Hugs «Linth24».

So stellte sich die Sinoswiss Holding ihr Innovation Center im Rapperswiler Industriequartier Schachen vor.

«Heute würden wir mit Sicherheit anders entscheiden und sofort kommunizieren», sagt Martin Stöckling. «Es ging uns nie darum, etwas zu verschleiern.» Der Deal sei während der Corona-Pandemie abgeschlossen worden, danach habe man sehr lange nichts mehr von Sinoswiss gehört. Insbesondere deswegen habe man nichts kommuniziert. «Wir wollten keinen weissen Elefanten produzieren. Wir haben den Hohn gescheut.»

Aus Verbündeten wurden Kontrahenten

Gute Kommunikation sei eine Herausforderung, die jede öffentliche Hand habe, konstatiert Stöckling. Der Stadtrat von Rapperswil-Jona aber sei in einer besonderen Situation. Denn er werde medial permanent negativ herausgefordert. Stöckling spricht damit die Berichterstattung von Hugs Onlinemedium «Linth24» an. Zum «China-Deal» führt die Plattform seit Frühling 2023 ein Dossier mit rund 40 Artikeln. Die meisten davon stammen von Bruno Hug selbst.

Die Artikel sind meist scharf im Ton, ausserdem sind Fakten und Meinungen oft vermischt. «Unwahrheiten haben kurze Beine» oder «Auf einmal will sich die Stadt hinauswinden», lauten die Überschriften. Martin Stöckling spricht von einer Kampagne, die «Linth24» beziehungsweise dessen Verleger gegen den Stadtrat fahre. Das überrascht, schienen die beiden Männer vor einigen Jahren doch Verbündete zu sein. So arbeitete Stöckling als Anwalt zeitweise auch für Hug.

Dann kamen die Erneuerungswahlen 2016, als Bruno Hug selbst für das Stadtpräsidium kandidierte. Der damalige Stadtpräsident Erich Zoller (CVP) war – wie heute Stöckling – in der Defensive. Er war von Hug, damals noch Verleger des lokalen Gratismediums «Obersee-Nachrichten», medial stark angegriffen worden. Gerichte verurteilten die Gratiszeitung und Hug später wegen einer persönlichkeitsverletzenden Kampagne mit gut 130 Artikeln.

Rapperswil-Jona, Kreuz, Stadtpräsidiumskandidaten, Medienkonferenz, Martin Stöckling, 3.10.16, Bild: Manuela Matt

Erich Zoller nützte das nichts. Er verlor im ersten Wahlgang klar gegen seinen Herausforderer. Hug, dem plötzlich Tür und Tor fürs Stadtpräsidium offen standen, zog sich dann aber zugunsten eines neuen Kandidaten zurück: Martin Stöckling.

Was ist seither zwischen den beiden Männern passiert? «Das müssen Sie Bruno Hug fragen», lautet Stöcklings Antwort. Er habe 2016 davon profitiert, dass Bruno Hug die Verantwortung gescheut habe. «Das tut er übrigens immer.» Nach Stöcklings Empfinden geht es dem Medienunternehmer einzig um Einfluss und Macht. «Er will seine Ideen, und zwar genau seine Ideen, verwirklichen.» Der Kompromiss sei Bruno Hug fremd. Das führe dazu, dass sich der Stadtrat ständig im Umgang mit einem nicht objektiven Medium befinde.

Doch kann ein Medienunternehmer wirklich im Alleingang den amtierenden Stadtpräsidenten stürzen? Schliesslich bringen sich in Rapperswil-Jona auch verschiedene Parteien von links bis rechts in die Debatte ein. «Der Einfluss der Parteien schwindet», sagt Stöckling dazu. Er beobachtet in seiner Stadt eine zunehmende Politikabstinenz. «In diese Lücke scheint ‹Linth24› mit seiner Berichterstattung zu springen.» Stöckling sieht es darum als die grösste Aufgabe der künftigen Stadtregierung, den Meinungsbildungsprozess wieder anzustossen. Auch deshalb ist er überzeugt, dass er im Amt bleiben muss.

Kandidatur wegen Entschädigung?

Kritiker sehen einen anderen Beweggrund für Stöcklings erneute Kandidatur: die sogenannte Abwahlversicherung. Diese sieht vor, dass in Rapperswil-Jona abgewählte Stadtpräsidenten eine Entschädigung erhalten. Stöckling hätte demnach im ersten Jahr Anrecht auf 90 Prozent seines Bruttogehalts von rund 250’000 Franken, in den drei Folgejahren wäre es kontinuierlich weniger.

«Wenn es nur um die Abwahlversicherung ginge, dann würde ich doch nicht Zeit, Energie und Geld investieren», entgegnet Stöckling. «Ich will noch einmal gewinnen. Ich will den Job weitermachen.»

Auswärtige soll Stadt retten

Und was sagt Bruno Hug dazu? Mittagessen mit dem Medienunternehmer. Bei gefüllter Alpstein-Poularde mit Kartoffelstock bestreitet er, dass er eine Kampagne gegen Stöckling und die Stadt betreibe. «Wir pflegen einen offenen, schnörkellosen Redaktionsstil und nennen die Verantwortlichen beim Namen», sagt der 70-Jährige. Dennoch publiziert er alle Gegendarstellungen, welche die Stadt häufig im Nachgang zu seinen Artikeln verschickt. Das tue er, weil er ihr keine Angriffsfläche bieten wolle, auch wenn er die Gegendarstellungen für «völlig unberechtigt» hält. «Seit die Stadt dieses Mittel entdeckt hat, fährt sie einen Gegendarstellungstrip», sagt er.

In Martin Stöckling sehe er keinen Feind, sagt Bruno Hug ruhig. Persönlich habe er gar nichts gegen ihn. Aber er halte ihn für unfähig für das Stadtpräsidentenamt. Und Stöckling sei nicht ehrlich. Das ist ein hartes Urteil über einen Mann, den er einmal selbst unterstützt hat. «Ich glaubte wirklich, er sei geeignet für diesen Job.» Aber dann habe alles seinen Lauf genommen.

Böse Zungen behaupten: Im Büro von Bruno Hug werde die Zukunft von Rapperswil-Jona geschrieben.

Hug redet sich jetzt in Fahrt. Zählt Projekte der Stadt auf und schildert detailliert, was aus seiner Sicht alles schiefläuft. «Die falschen Entscheide, Intransparenz und Unwahrheiten haben ein Ausmass angenommen, das nicht mehr tolerierbar ist», sagt Hug.

Für ihn war deshalb klar: «Man muss diese wunderbare Stadt von dieser Regierung befreien.» Bereits Anfang 2022 begann er, mehrere mögliche Kandidatinnen und Kandidaten zu kontaktieren. Darunter auch Barbara Dillier, die ihm ein Bekannter empfohlen hatte. «Wir kannten uns zuvor nicht.»

Zwar ist Dillier gegenwärtig Gemeindepräsidentin von Fischenthal, wohnt also nicht in Rapperswil-Jona. Anders als im Kanton Zürich schliesst dies in St. Gallen aber eine Kandidatur nicht aus. Hug arrangierte ein Treffen und stellte Dillier den Parteien vor. Danach habe er sich zurückgezogen. Unterstützung erhielt Dillier fortan von der SVP.

Polarisieren ja, regieren nein

Die Frage bleibt: Weshalb mischt Hug sich als Medienunternehmer direkt in die Politik ein? Es sei eigentlich nicht seine Aufgabe, sagt er selbst. Aber irgendjemand müsse es machen. «Viele Leute warten eben darauf, dass sich andere engagieren.»

Hug hingegen wartet nicht. Er geht kompromisslos seinen Weg und hat in Rapperswil-Jona schon so manche Spuren hinterlassen. Er führte 24 Jahre lang den Schlittschuh-Club Rapperswil-Jona Lakers, war Mitgründer des grössten Schweizer Pizza-Lieferdienst Dieci. Er initiierte den Christkindlimarkt, das Blues-and-Jazz-Festival und engagierte sich auch für die Fusion von Rapperswil und Jona.

Weshalb einer, der so viel auf die Beine gestellt hat, nicht selbst in die Stadtregierung will, begründet Hug unter anderem so: «Macht interessiert mich nicht.» Und schliesslich räumt er auch ein, dass seine Berichterstattung Rapperswil-Jona spalte. «Es wäre nicht gut, wenn jemand Stadtpräsident ist, der so polarisiert wie ich.»

Die Frage nach der Unabhängigkeit

Im Gegensatz zu Hug und Stöckling polarisiert Barbara Dillier nicht. Als Auswärtige ist die 51-Jährige ein unbeschriebenes Blatt, auch wenn sie betont, dass sie Rapperswil-Jona gut kenne und ein Teil ihrer Familie und Freunde dort lebten. Doch manche fragen sich, wie unabhängig sie von Bruno Hug politisieren kann.

Für ein Treffen fehle ihr die Zeit, sagt Dillier. Fragen beantwortet sie nur schriftlich. Hugs Marionette sei sie sicher nicht, betont die parteilose Politikerin. «Bruno Hug hat mich ins Spiel gebracht und mir ein paar wertvolle Tipps gegeben, wie viele andere Bürgerinnen und Bürger auch. Ich bin und bleibe aber unabhängig.» Ihre Wahlkampffinanzierung und Unterstützer hat Dillier aber nicht offengelegt, was ihr in Rapperswil-Jona unter anderem auch Kritik von einigen Lokalparteien einbrachte.

Fischenthal: Die Ortschaft mit der niedrigsten Impfquote. Eine Reportage.
Portrait von Roland Geschäftsführer Rene Schweizer, Gemeindepraesidentin Barbara Dillier und dem Dorfchronisten. 
17.08.2021
(URS JAUDAS/TAMEDIA AG)

Angst, dass sie dereinst selbst ins Kreuzfeuer von Hugs Portal «Linth24» geraten könnte, hat sie nicht. «Wenn man mehrheitsfähige, transparente Entscheidungen trifft und offen kommuniziert, gibt es wenig Grund, Angriffe der Medien befürchten zu müssen.»

Weshalb glaubt die Gemeindepräsidentin der 2600-Seelen-Gemeinde Fischenthal, sie könne auch das zehnmal grössere Rapperswil-Jona führen? Es gehe nicht primär um die Grösse, schreibt Dillier, «sondern um Führungsqualitäten, eine klare Vision und die Fähigkeit, Menschen zuzuhören und zusammenzubringen».

Würde Barbara Dillier gewählt, wäre die Mehrheit im Stadtrat künftig parteilos. Die SVP als wählerstärkste Partei sowie die GLP sind nach dem ersten Wahlgang nicht mehr vertreten. Mit der Abwahl von Stöckling würde auch die FDP erstmals aus der Exekutive von Rapperswil-Jona verschwinden.

Neubeginn oder Kontinuität?

Einer, der die Entwicklungen in Rapperswil-Jona kritisch beobachtet, ist der Kultur- und Kunstwissenschaftler Peter Röllin, der seit 52 Jahren in Rapperswil-Jona lebt und arbeitet. 2016, als Hug gegen Erich Zoller kandidierte, sprach Röllin von einem Putsch. «Dies wiederholt sich nun durch den Umstand, dass das Onlineportal von Bruno Hug im Meinungsbildungsprozess die grössere Macht innehat als die Stimmen aus dem Stadthaus», konstatiert der 77-Jährige.

Kultur- und Kunstwissenschaftler Peter Röllin lebt seit 1972 in der Rapperswiler Altstadt und hat einige Publikationen zum Thema Stadtveränderung veröffentlicht.

Das Wahlresultat allein auf eine Anti-Stapi-Kampagne von Bruno Hug zurückzuführen, greift für den Kulturwissenschaftler aber zu kurz. Der Exekutive in Rapperswil fehle vor allem ein Parlament, also eine politische Entscheidungsebene als Puffer zwischen Stadthaus und Bevölkerung, sagt Röllin. In der Tat ist Rapperswil-Jona die grösste Gemeinde in der Schweiz, in der noch die Bürgerversammlung entscheidet. 2023 lehnten die Stimmbürger die Einführung eines Parlaments mit 51,7 Prozent Nein-Stimmen knapp ab.

Für Röllin steht fest: «Mit Barbara Dillier wäre ein Neubeginn vor allem auch in kommunikativer Hinsicht möglich.» Einarbeitung und Neuausrichtungen seien aber sehr aufwendig und bärgen immer ein gewisses Risiko. Stöckling dagegen stehe für Kontinuität. «Doch die ist nicht per se ein Positivum, sondern muss immer wieder neu überprüft und gefunden werden.»

Bleibt also abzuwarten, was die Stimmberechtigten von Rapperswil-Jona höher gewichten.