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Spektakel im DreckMit dem Velo auf dem Buckel rutschen sie durch den Schlamm

Wenn man nicht genau definieren kann, ob nun der Boden oder die Temperaturen tiefer sind, dann weiss man: Die Radquer-Saison ist im Gang.

Der harte Weg durch den tiefen Boden.
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Das Thermometer misst 4 Grad, die ersten Schneeflocken des Winters finden den Weg ins Zürcher Oberland, und die Athletinnen und Athleten machen sich bereit für den Start. Nein, die Rede ist hier nicht von Schneesport, sondern vom alljährlichen Radquer in Hittnau.

Seit fast vierzig Jahren findet der Anlass nun schon statt. Schneefall ist hier die Ausnahme. Normal ist hingegen, dass die Fahrerinnen und Fahrer Jahr für Jahr mit dem Velo auf dem Buckel den Schlosshügel hinaufhoppeln. Und schon fast Pflicht sind zu dieser Jahreszeit die garstigen Bedingungen.

Warum immer mehr Leute am liebsten im Dreck Velo fahren.

Das Radquer in Hittnau wo VelofahrerInnen gegeneinander auf einer Schlammpiste antreten.

12.11.2023
© Silas Zindel
Kostenpflichtig

Im Radquer, auch Cyclocross genannt, wird rundenweise mit dem Velo, einem spezifischen Cyclocross-Bike, gefahren. Vornehmlich geht es über Felder und Wiesen, und sobald der Boden zu tief, der Hang zu steil oder das Hindernis zu hoch ist, wird das Velo gebuckelt und gerannt. Der Sport hat in der Schweiz eine lange Tradition. Schon im Jahr 1912 fanden die ersten nationalen Titelkämpfe statt. Auch dank dem fünfmaligen Weltmeister Albert Zweifel erlebte Radquer von den 1970er- bis in die 1990-Jahre seine Blütezeit und wurde regelmässig im Fernsehen übertragen.

Weltmeister Albert Zweifel beim internationalen Radquer von Dagmersellen am 26. Dezember 1979. Zweifel siegt ein weiteres Mal in dieser Saison gegen die starke auslaendische Konkurrenz. (KEYSTONE/STR)

«Natürlich können wir das Rad nicht mehr zurückdrehen, und die goldenen 80er- und 90er-Jahre sind nun mal Geschichte», sagt der OK-Präsident des Radquers Hittnau, Thomas Frei, und fügt an: «Nach der Jahrtausendwende wurde Radquer immer mehr zur Randsportart, und das bekamen die Veranstalter auch zu spüren. Früher gab es in der Schweiz bis zu 20 internationale Radquerrennen, jetzt sind es noch fünf.»

Komplizierte Nachwuchsförderung

Das letzte dieser fünf Rennen des Swiss-Cyclocross-Cups findet an diesem Sonntag statt. Von ganz klein bis ganz gross, Amateure bis Elite – sie alle dürfen sich auf dieser Strecke versuchen, die sich nach jeder Fahrerin und jedem Fahrer mehr und mehr in ein Sumpfgebiet verwandelt. Für die ganz Kleinen, die vereinzelt sogar noch mit dem Laufvelo unterwegs sind, wurde die Strecke jedoch angepasst und gekürzt – verständlicherweise.

Das zeigt auf: Es ist Nachwuchs vorhanden. Der Verband allerdings tut sich aus finanziellen Gründen schwer mit der Förderung junger Fahrerinnen und Fahrer. «Wir wollen die Athletinnen und Athleten breit ausbilden, und die finanzielle Förderung läuft über die olympischen Sportarten – da gehört Radquer nicht dazu», sagte Patrick Müller, Leistungssportchef von Swiss Cycling, Anfang des Jahres zu SRF.

Dennoch gewinnt in der U-19-Kategorie der Männer an diesem Tag ein Schweizer: Nicolas Halter distanziert seine Konkurrenten aus Italien und Belgien um 29 Sekunden und mehr.

Warum immer mehr Leute am liebsten im Dreck Velo fahren.

Das Radquer in Hittnau wo VelofahrerInnen gegeneinander auf einer Schlammpiste antreten.

12.11.2023
© Silas Zindel
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Die Schweizer Fahrerinnen und Fahrer dominieren diesen Sport aber nicht mehr. Letztmals einen WM-Titel feiern konnte 1995 Dieter Runkel. In den vergangenen Jahren dominierten die Belgier und Niederländerinnen bei globalen Titelkämpfen. In Belgien werden auch die meisten Elite-Radquerrennen ausgetragen, die sich da grosser Popularität erfreuen.

Dennoch triumphiert in Hittnau bei der Elite der Männer auch im international besetzten Feld der Schweizer Meister. «Vergangenes Wochenende habe ich auf die Europameisterschaften verzichtet, um mich zu schonen und Zeit ins Training zu investieren. Ich fühle mich gut und bin zuversichtlich, eine gute Performance abliefern zu können», sagt der Tagessieger und Radquer-Profi Timon Rüegg bereits vor dem Rennen.

Der 27-Jährige, in der Weltrangliste auf Rang 15 klassiert, gewinnt das letzte Rennen des Tages vor seinem Landsmann Dario Lillo und dem Italiener Gioele Bertolini und holt sich damit auch den angepeilten Gesamtsieg des Swiss-Cyclocross-Cups. Neben Rüegg gibt es auch noch weitere Schweizer Profifahrer, zum Beispiel Kevin Kuhn. Der 25-Jährige, aktuell die Nummer 8 der Welt und damit bester Schweizer, fährt jedoch an diesem Sonntag ein Weltcuprennen im belgischen Dendermonde und wird dort Sechster.

Konstanter Niederschlag

In Hittnau gibt es derweil den ganzen Tag Niederschlag. Nicht nur Schnee, vor allem auch Regen. Es wird für die Fahrerinnen und Fahrer daher zum grossen Kampf, die Strecke zu bewältigen. Die enorme Anstrengung ist ihnen ins Gesicht geschrieben – sofern vom Gesicht hinter dem ganzen Schlamm noch etwas zu sehen ist. Und weil die Unterlage so rutschig ist, wird in Hittnau nicht nur geradelt und gerannt, sondern auch immer wieder einmal ungewollt der matschige Boden geküsst.

Warum immer mehr Leute am liebsten im Dreck Velo fahren.

Das Radquer in Hittnau wo VelofahrerInnen gegeneinander auf einer Schlammpiste antreten.

12.11.2023
© Silas Zindel
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Nach rund 55 Minuten kommt der schnellste Athlet bei der Elite der Männer (sieben Runden) und nach 39 Minuten die schnellste Athletin der Elite-Frauen (vier Runden) ins Ziel. Auch bei den Frauen darf sich die Schweiz über einen Podestplatz freuen: Rebekka Estermann vom Veloclub Sursee erreicht das Ziel als Dritte. Gewonnen wird das Rennen von der Italienerin und EM-Dritten Sara Casasola vor der Französin Perrine Clauzel. 

In den Anfangsjahren – die Rennen in Hittnau wurden erstmals 1985 ausgetragen – verfolgten laut Veranstalter noch 3000 Fans das Ereignis vom Streckenrand oder vom Festzelt aus. Ja, tatsächlich von innerhalb des Festzelts aus: Damals führte das Rennen mitten durch die Ansammlung von Festbänken.

Dieses Jahr hingegen dient das Festzelt hauptsächlich als Rückzugsort für alle, die Hunger haben, durchnässt sind oder sich schlicht aufwärmen wollen.

Rund 300 Velofahrerinnen und -fahrer haben sich an den Start gewagt, geschätzt ebenso viele Zuschauerinnen und Zuschauer versammeln sich rund um die Strecke. Und am Ende freuen sich wohl alle Beteiligten dieses Rennspektakels auf das Gleiche – eine warme Dusche.