Radikalisierung im InternetWir müssen Tiktok und Co. zur Verantwortung ziehen
Der islamistische Mord in Österreich zeigt, wie die «sozialen Medien» Menschen radikalisieren können. Es ist Zeit, zu handeln.

Am vergangenen Samstag hat ein Mann im österreichischen Villach auf Passantinnen und Passanten eingestochen. Bei dieser schrecklichen Tat wurde ein Vierzehnjähriger getötet, fünf Personen wurden verletzt. Der Täter von Villach hatte sich vor seinem mörderischen Handeln auf Tiktok islamistisch radikalisiert.
Auch bei den Tätern von München und Solingen gehen die Ermittlungsbehörden von einer Radikalisierung auf Social-Media-Plattformen aus. Die Herkunftsländer und der Aufenthaltsstatus der Verbrecher stehen jeweils umgehend im Fokus der Medienberichterstattung, teilweise werden deswegen auch vorschnell Schlüsse gezogen, und die Taten werden politisch instrumentalisiert.
Demgegenüber erstaunt, wie wenig die Social-Media-Plattformen als Ort der Radikalisierung dieser Täter thematisiert werden.
Social Media sind treffender als «asoziale Medien» zu bezeichnen.
Stellen wir uns einmal vor, Täter eines so abscheulichen Gewaltverbrechens hätten sich im «Tages-Anzeiger», in der NZZ oder im «Blick» radikalisiert. Das entsprechende Verlagshaus müsste wohl – zu Recht – mit Konsequenzen rechnen. Warum ist das bei Tiktok, X usw. nicht der Fall? Sollten die multinationalen Technologiekonzerne, die faktisch «Anti-Social Media»-Plattformen anbieten, nicht für deren Inhalte zur Rechenschaft gezogen werden?
Social Media sind treffender als «asoziale Medien» zu bezeichnen, da sie gebaut wurden, um Menschen süchtig zu machen. Wie der Gründungspräsident von Facebook, Sean Parker, einst erklärte, wurde die Entwicklung des Netzwerks von einer einfachen Frage geleitet: «Wie können wir so viel Zeit und bewusste Aufmerksamkeit wie möglich (…) beanspruchen?» Denn damit lässt sich viel Geld verdienen. Die Unternehmensgründer kamen auf die Idee, «eine Schwachstelle der menschlichen Psychologie auszunutzen» – den Wunsch nach sozialer Bestätigung.
«Anti-Social Media» lösen Dopaminschübe – einen Neurotransmitter, der eine Rolle bei der Sucht spielt – durch soziale Bestätigung in Form von Likes, Kommentaren, Views und Shares aus. Je mehr Menschen sich auf der Plattform engagieren, desto mehr Dopaminschübe erhalten sie. Das Ergebnis ist eine süchtig machende «Feedbackschleife der sozialen Bestätigung».
Techkonzerne bieten mit Alkohol und Tabak vergleichbare Suchtmittel an.
Es ist höchste Zeit, dass sowohl die Schweiz auf nationaler als auch die internationale Gemeinschaft auf globaler Ebene gegen die Radikalisierung in den «asozialen Medien» vorgeht. Sie sollten endlich so reguliert werden, dass die multinationalen Technologiekonzerne die Inhalte auf ihren «Anti-Social Media»-Plattformen moderieren müssen. Falls sie sich nicht daranhalten, sollten sie auf eine Weise sanktioniert werden, die für den Erfolg und die Existenz des Unternehmens relevant ist.
Es ist höchste Zeit, dass multinationale Technologiekonzerne, die diese mit Alkohol und Tabak vergleichbaren Suchtmittel anbieten, rechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Dies könnte auch bedeuten, dass sie juristisch für die Taten radikalisierter Individuen mithaften.
Es ist höchste Zeit für menschenrechtsbasierte Regulierung der «Anti-Social Media» und deren Durchsetzung durch die Schaffung einer Internationalen Agentur für datenbasierte Systeme (IDA) bei der UNO – einer UNO-Agentur «mit Zähnen» wie der Internationalen Atomenergiebehörde, die auch konsequent durchgreifen kann.
Peter G. Kirchschläger ist Ethikprofessor an der Universität Luzern.
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