Quarterlife-CrisisDie erste Lebenskrise mit 25 – was ist mit mir los?
Eigentlich lief bei unserer Autorin immer alles gut. Trotzdem steckt sie mit Mitte 20 in einem Tief, wie so viele andere auch. Warum die junge Generation so hadert.
- Die Quarterlife-Crisis ist eine psychische Krise in den Zwanzigern, zwischen Studium und Beruf.
- Viele junge Menschen zweifeln an Karriereentscheidungen und persönlichen Lebenswegen in dieser Phase, auch unsere Autorin.
- Psychisch belastende Faktoren sind finanzielle Unsicherheit und hohe gesellschaftliche Erwartungen.
- Social Media verstärken diese Krise, indem sie unrealistische Lebensstandards setzen.
Als der Boden unter mir losdreht, sitze ich gerade auf einer Parkbank. Mittagspause, Take-away-Vietnamese-Fusion-Küche auf dem Schoss. Mein Chef sagt mir: Du bist arbeitslos. In drei Wochen. Vertrag läuft aus. Bis zur letzten Sekunde hofften wir alle auf eine Projektverlängerung. Vergebens. Nach den ersten Momenten setzt bei mir etwas anderes ein. Mein Gesicht entspannt sich, meine Stimme wird monoton: «Ehrlich gesagt überrascht mich das nicht», höre ich mich sagen. Bevor ich 26 bin, habe ich zwei Jobs verloren. Die Journalismusbranche ist einfach kaputt, denke ich später auf dem Heimweg. Ob ich das aushalten kann, die nächsten 50 Jahre? Ich fange an zu zweifeln.
Jobprobleme sind nicht die einzigen Sorgen, die Mitte-20-Jährige plagen: Viele zweifeln an den bisherigen Lebensentscheidungen und wälzen grosse Fragen: Bleiben oder wegziehen? Karriere oder Freizeit? Feste Partnerschaft, Singleleben oder was anderes? Kinder kriegen? Und eine Frage schwebt über allem: Kann ich mir vorstellen, dass das jetzt so bleibt?
Ich rufe Psychotherapeutin Louisa Göller an, sie sagt: «Die Quarterlife-Crisis ist eine psychische Krise in den Zwanzigern, zwischen Studium und Beruf. Die Wehen des Erwachsenwerdens.» Es sei keine Erkrankung, aber aus ihr könne eine werden. «Beispielsweise eine Depression oder eine Anpassungsstörung, wenn man nicht mit den neuen Lebensumständen klarkommt. Per se handelt es sich nur um eine emotionale Krise.»
Der Gedanke an meine Zukunft löst Herzrasen aus
Wieso bin ich in dieser Quarterlife-Crisis? Schliesslich lief immer alles gut, Sechser-Abschluss, Jobs neben dem Studium, Auslandssemester, tolle Beziehungen. Doch der Gedanke an meine Zukunft löst Herzrasen aus. Keine Ahnung, was da auf mich zukommt. Will ich einen neuen Job oder doch den Studienplatz, auf den ich mich beworben habe? Ich frage meine beste Freundin Christina (Name geändert), 26.
«Wenn du in so einer Krise bist, dann ich erst recht», sagt sie, pustet Rauch gegen die Discokugel, helle Punkte flirren über meine Küchenwände. Stimmt. Sie hat nach neun Monaten Fernbeziehung Schluss gemacht, per Brief. Dann hat sie sich mit ihrem Vater gestritten und den Kontakt abgebrochen. Und arbeitslos ist sie gerade auch, eigentlich ist sie Gesundheits- und Krankenpflegerin. Jetzt will sie Immobilienmaklerin werden – oder etwas ganz anderes? Sie sucht nach Erfüllung.
Das passt zu dem, was mir die Psychotherapeutin Göller am Telefon erzählt: «Die Suche nach Zufriedenheit und das Überwinden von persönlichen Hürden gehören auch zur Krise.»
«Will ich eher Ruhe oder Party High Life?»
Als ich auf Instagram über das Thema spreche, hagelt es mehr als 150 Nachrichten. Pling. Pling. Pling. Jede Nachricht eine Geschichte.
Naya, 34: «Für mich war das Identitätskrise, Fomo, Burn-out. Der kleine Bruder der Midlife-Crisis – nur mit weniger Geld und Existenzangst. Nach einer Therapie habe ich gecheckt, dass das Leben auch in halber Geschwindigkeit problemlos weiterläuft.»
Miriam, 28: «Habe meine Beziehung beendet und hadere noch immer damit.»
Alexandra, 27: «Wo soll ich leben? Ich weiss nicht, wo es hingehen soll, es muss der perfekte Standort sein, aber ich finde ihn nicht. Ich bin gerade in eine grosse Stadt gezogen, aber liebe auch die Berge und das Meer. Will ich eher Ruhe oder Party High Life und Trubel?»
Flynn, 27: «Ich trinke noch mehr Alkohol im Moment, ich glaube, weil ich mich ablenken will, weil es so viele Baustellen gibt.»
Leonie, 24: «Ich habe stückweise alles im Leben hinterfragt. Wenn dann von aussen auch noch Kommentare kamen, habe ich mich mit allen angelegt. Inzwischen habe ich niemanden mehr ausser dem engen Kreis.»
In meiner Instagram-Umfrage gaben mehr als 1000 Menschen an, mit Mitte 20 ins Zweifeln gekommen zu sein – circa 90 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, natürlich sind das keine repräsentativen Ergebnisse. Doch auch Studien kommen zu dem Ergebnis, dass junge Menschen heute mehr hadern und leiden als frühere Generationen.
Was will ich genau und warum?
Licht am Ende des Tunnels? Als meine beste Freundin Christina nicht mehr kann, sieht sie kaum mehr welches: Weil die Arbeit auf der Intensivstation ihr zu viel ist, sie neben der Arbeit noch in ihrer Freizeit lernen müsste, lässt sie sich krankschreiben. Sie fühlt sich dumm, weil sie nicht versteht, was ihre Kolleginnen und Kollegen den ganzen Tag wie selbstverständlich machen, obwohl sie drei Jahre lang ausgebildet wurde. Eine Woche lang bleibt sie im Bett, schläft aus. Die Tage ziehen an ihren geschlossenen Rollos vorbei. Ihr Ex-Freund postet seit der Trennung jeden Tag. Von ihrem Vater: kein Wort.
Was will ich genau und warum? Unsere Generation hat mehr denn je die Möglichkeit, sich solche Gedanken zu machen. «Das macht es nicht leichter», sagt Therapeutin Göller, «auf Social Media wird oft auch ein verzerrtes Bild gezeigt, mit dem man sich dann vergleicht.» Böse Social Media, klar. Aber kann das die einzige Antwort sein? Auch die Sorge, in der beschleunigten Welt nicht Schritt zu halten, kann belasten, sagt Soziologe Klaus Hurrelmann. Seine Vermutung: Weil die junge Generation mehr psychische Probleme hat, fallen ihr Entscheidungen schwerer. Das betrifft auch die Zukunft, Freundschaften, Job. «Gleichzeitig wächst der gefühlte Druck, sich auch privat zu verwirklichen», sagt Psychotherapeutin Göller.
Die Kunst ist auch, mit sich selbst ins Reine zu kommen
Ich weiss, wie privilegiert ich bin, weil ich Geld dafür sparen konnte, am anderen Ende der Welt den herabschauenden Hund zu machen. Und ich merke: Ich bin das Klischee des privilegierten White Girls. Probleme? Ab nach Indien, Selbstfindung. Die Psychologin Göller sagt dazu: «Um zu sich selbst zu finden, müssen auch persönliche Hürden überwunden werden.» Dazu kann auch gehören, mit sich selbst ins Reine zu kommen und zu akzeptieren, dass andere in einem ein Klischee sehen.
Vinyasa-Flow, wieder zu Hause. Zu neonbesprenkelten Bolster-Kissen und einheitlich schwarzen Matten mache ich die Bewegungen des Yogalehrers nach. Manchmal ist es schön, einfach zu folgen. Ausserhalb des Yogaraums muss man seinen eigenen Weg finden. In Indien blinkte mein Handy mit einer Mail auf. Betreff: Ihre Bewerbung auf einen Studienplatz. Ich wurde angenommen. Bei meiner Hass-Position, Uttanasana, der stehenden Vorbeuge, bei der alle ihre Füsse berühren können ausser mir, denke ich: Eigentlich hat die Quarterlife-Crisis Ähnlichkeiten mit Yoga.
Ich komme rein, verbiege mich ein bisschen, und wenn es vorbei ist, bin ich stolz auf mich selbst.
Fehler gefunden?Jetzt melden.