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Putschwelle ergreift Kontinent
Afrikas greise Autokraten fürchten um ihre Macht

Cameroon: President Paul Biya  arrives at the White House for a group dinner during the US Africa Leaders Summit August 5, 2014 in Washington, DC. AFP PHOTO/Brendan SMIALOWSKI (Photo by Brendan SMIALOWSKI / AFP)
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Wer ist der Nächste? Diese Frage beschäftigt viele Menschen in Afrika, seit eine Putschwelle über den Kontinent rollt und eine Regierung nach der anderen mit sich reisst. Und für einen Moment sah es am Wochenende so aus, als wäre der Nächste, den es erwischt hat, Denis Sassou Nguesso, Präsident der Republik Kongo. In den sozialen Medien kursierte das Gerücht, das Militär habe Nguessos Reise zu den Vereinten Nationen in New York genutzt, um den Präsidenten zu stürzen. Die Regierung in Brazzaville sah sich zu einem Dementi genötigt. Die Berichte über einen Putsch stammten aus dem Reich der Fantasie, teilte sie mit. Es handle es sich um «Fake News».

Sehr real ist dagegen die Nervosität, die aus dieser Episode spricht. In der Republik Kongo (nicht zu verwechseln mit der deutlich grösseren Demokratischen Republik Kongo) liegt etwas in der Luft, das die meisten der 5,5 Millionen Einwohner des Landes noch nie erlebt haben: ein Machtwechsel. Nguesso wird bald 80 und regiert – mit einer Unterbrechung von fünf Jahren – seit 1979. Und er ist nicht der einzige greise Präsident der Region, der nach Jahrzehnten im Amt auf einmal um seine Macht fürchten muss. Auch an der zentralafrikanischen Atlantikküste, bislang ein Biotop für Langzeitherrscher, geht das Putschfieber um.

Congo President Denis Sassou Nguesso addresses the 78th United Nations General Assembly at UN headquarters in New York City on September 21, 2023. (Photo by TIMOTHY A. CLARY / AFP)

Mali, Guinea und Burkina Faso, Sudan und Tschad, Niger und zuletzt Gabun: Die Liste der afrikanischen Staaten, in denen das Militär seit 2020 die Kontrolle übernommen hat, ist lang. Doch Gabun hat diese Serie nicht einfach nur fortgesetzt. Als das Militär Ende August nach mehr als einem halben Jahrhundert die Herrschaft des Bongo-Clans beendete, sprang ein Funke über: von den zunehmend instabilen Ländern der Sahelzone, die in extremem Ausmass mit Armut, Terrorismus und Bevölkerungsexplosion zu kämpfen haben, ins westliche Zentralafrika, das sich zumindest in einer Hinsicht als stabilste Region der Welt erwiesen hat. Nirgendwo halten sich die Herrscher länger als hier.

Denis Sassou Nguesso kam vor 44 Jahren in Brazzaville an die Macht und schaffte während des Kalten Krieges das politische Kunststück, eine sozialistische Volksrepublik zu regieren und gleichzeitig gute Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich zu unterhalten. Nach dem Untergang der Sowjetunion liess er wieder andere Parteien zu und verlor prompt die Wahl. Aus dem Bürgerkrieg, der wenig später ausbrach, ging er 1997 als Sieger hervor. Seither hat er die Macht nicht mehr hergegeben, «Kaiser» lautet angeblich sein Spitzname im Kreis der afrikanischen Staatschefs. Manche Herrscher, schmachtete die regierungsnahe Zeitung «Les Echos» nach den jüngsten Putschgerüchten, strebten nicht nach der Macht, sie würden von der Macht selbst erwählt.

Er regiert seit 44 Jahren

Der Alleinherrscher im Kleinstaat Äquatorialguinea heisst Teodoro Obiang Nguema Mbasogo. Der heute 81-Jährige übernahm die Macht ebenfalls 1979, indem er die blutige Diktatur seines Onkels beendete und seine eigene errichtete.

Equatorial Guinea President Teodoro Obiang Nguema Mbasogo arrives for the One Forest Summit at the Presidential Palace in Libreville on March 2, 2023. (Photo by LUDOVIC MARIN / AFP)

Das Land hat reiche Vorkommen an Gas und Öl, doch davon profitiert nur die Elite um den Präsidenten. Die Mehrheit der Bevölkerung ist arm, Obiangs Privatvermögen wird auf umgerechnet 600 bis 700 Millionen Franken geschätzt. Im Demokratieindex der Organisation Freedom House kommt Äquatorialguinea auf 5 von 100 Punkten, im Korruptionsindex von Amnesty International liegt das Land auf Platz 171 von 180, gleichauf mit Nordkorea.

Biya logiert mit seiner Frau Chantal gern in einer Suite im Luxushotel Intercontinental, mit Blick auf den Genfersee.

Am sichtbarsten sind die Erschütterungen der jüngsten Putsche in Kamerun, wo der Präsident seit 1982 Paul Biya heisst. Die Günstlinge seines Regimes drängen zwar darauf, dass sich der 90-Jährige für ein weiteres Mal zur Wahl stellt, das wäre 2025. Er sei der «natürliche Kandidat», den das Land dringend brauche, um Sicherheit und Stabilität zu garantieren.

Doch vergleichsweise offen wird auch über einen Putsch gegen Biya spekuliert. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Afrobarometer hat ergeben, dass zwei Drittel der Kameruner eine Machtübernahme durch das Militär befürworten für den Fall, dass die politische Führung des Landes ihre Macht missbraucht. Eine Zeitung, die das Ergebnis der Umfrage diese Woche auf der Titelseite brachte, wurde für einen Monat gesperrt.

epa10772180 A handout photo made available by TASS Host Photo Agency shows Russian President Vladimir Putin (C) and Cameroonian President Paul Biya (R) with his wife Chantal (L), during a greeting before the official meeting ceremony of the heads of participating delegations of the Second Summit Economic and Humanitarian Forum 'Russia-Africa' in St.Petersburg, Russia, 27 July 2023. The Second Summit Economic and Humanitarian Forum 'Russia-Africa' will take place from July 27 to 28 at the congress-exhibition center Expoforum in St.Petersburg.  EPA/Sergei Bobylev / TASS Host Photo Agency / HANDOUT MANDATORY CREDIT HANDOUT EDITORIAL USE ONLY/NO SALES

Proteste seiner Landsleute haben Biya sogar bis ins ferne Genf verfolgt, wo er mit seiner Frau Chantal gern in einer Suite im Luxushotel Intercontinental logiert, mit Blick auf den Genfersee. Zu Hause in Kamerun lebt jeder Zweite in Armut. Das System gilt als durch und durch korrupt, der Apparat manipuliert Wahlen und beschneidet politische Freiheiten.

Auch die Unsicherheit wächst. Die Armee versucht ohne grossen Erfolg, eine separatistische Rebellion der anglofonen Minderheit im Nordwesten und Südwesten niederzuschlagen – die Mehrheit des Landes spricht Französisch. Ausserdem destabilisiert die islamistische Terrorgruppe Boko Haram, aus Nigeria kommend, den Norden. Für beide Krisen hat Biya keine Lösungen anzubieten.

Der Westen ist mitverantwortlich

Es gibt auch andere Staaten in Afrika, wo die Macht über Jahrzehnte in der Hand eines Mannes oder einer Familie bleibt. In Togo regiert der Gnassingbé-Clan seit mehr als einem halben Jahrhundert, in Zimbabwe konnte sich Robert Mugabe fast 40 Jahre an der Macht halten.

Doch die Ballung der Langzeitherrscher in dieser Ecke des Kontinents ist kaum zu übersehen. Der US-Journalist und Afrika-Experte Howard French machte dafür jüngst in der Zeitschrift «Foreign Policy» das Schweigen des Westens und speziell Frankreichs mitverantwortlich. Die dortigen Politiker zeigten viel Interesse an den Rohstoffen in diesen Ländern und umso weniger an gefälschten Wahlen sowie der wachsenden Kluft zwischen der reichen Elite und der armen Bevölkerung.

Ob es den immer noch herrschenden Autokraten Zentralafrikas ähnlich ergehen wird wie Ali Bongo in Gabun, der Ende August vom Militär gestürzt wurde, ist ungewiss. Einiges spricht dagegen. Paul Biya in Kamerun etwa hat es mehr als vier Jahrzehnte lang verstanden, seinen Machtapparat trickreich nach allen Seiten abzusichern und konkurrierende Strukturen im Sicherheitsapparat zu fördern. So ist das Militär nie zu einer einheitlichen und schon gar nicht populären Kraft geworden. Vielen sind die Soldaten verhasst, sie stehen im Ruf, oft nur die armen Leute auszupressen.

Die greisen Langzeitherrscher haben Vorsorge getroffen, damit die Macht in der Familie bleibt.

Doch selbst wenn weitere Putsche ausbleiben, steht den Ländern früher oder später ein Machtwechsel bevor. Dafür sorgt allein die Biologie. Doch die greisen Langzeitherrscher – auch der dynastische Gedanke verbindet sie – haben Vorsorge getroffen, damit die Macht in der Familie bleibt. Denis Sassou Nguesso ernannte 2021 seinen Sohn Denis Christel zum Minister der Republik Kongo, der Sohn von Teodoro Obiang Nguema Mbasogo ist Vizepräsident von Äquatorialguinea.

In Kamerun stehen der Sohn und die Frau von Paul Biya für dessen Nachfolge bereit. Was natürlich niemand weiss: ob sie sich in einem möglichen Machtkampf nach dem Tod des Präsidenten durchsetzen könnten. Und ob alle Generäle oder Politiker aus dem Führungszirkel bereit sind, so lange zu warten.