Der Mann hinter dem PutschversuchPutins Koch probt den Aufstand
Jewgeni Prigoschin ist lange ein enger Vertrauter von Präsident Wladimir Putin gewesen. Das hat sich mit den Ereignissen am Wochenende gewaltig geändert.

Lange galt Jewgeni Prigoschin als enger Vertrauter von Staatschef Wladimir Putin, der mit seiner in der Ukraine kämpfenden Söldnertruppe Wagner das Wohlwollen des Herrschers im Kreml genoss. Dies änderte sich schlagartig am Abend des 23. Juni: Prigoschin rief die Russen zum Aufstand gegen die Militärführung in Moskau auf, liess seine Kämpfer in den Süden Russlands eindringen und drohte, bis Moskau zu marschieren und dabei alles zu zerstören, was sich ihnen in den Weg stelle.
Hatte Prigoschin bisher vor allem die Militärführung um Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow wüst beschimpft, so forderte er nun erstmals Putin selbst heraus. Dabei zog er den vom Kreml-Chef genannten Grund für den Krieg in der Ukraine offen in Zweifel: «Der Krieg wurde für die Selbstdarstellung eines Haufen Bastarde gebraucht», erklärte der 62-jährige Wagner-Chef.
Nachdem seine Söldner in der Nacht zum Samstag vorgerückt waren und im Handstreich das Armee-Hauptquartier für Südrussland in Rostow am Don eingenommen hatten, meldete sich Putin am Samstagvormittag zu Wort: Der Staatschef sprach von einem «Dolchstoss in den Rücken» und warf Prigoschin vor, aus «übermässigem Ehrgeiz» sein Land verraten zu haben.
Der Aufstand sei eine «tödliche Bedrohung» für Russland, die Wagner-Söldner seien «Verräter» und würden bestraft. Die drastischen Worte liessen keinen Zweifel: Die Meuterei ist die ernsthafteste Herausforderung für Putin seit dessen Aufstieg an die Macht im Jahr 1999.
Offene Fragen bleiben
Rund 24 Stunden nach Beginn des Aufstands, in dessen Verlauf bereits Gerüchte um eine Flucht des Präsidenten aus Moskau die Runde machten, vollzog der unberechenbare Söldnerführer dann plötzlich eine Kehrtwende: Prigoschin erklärte kurzerhand, er wolle kein Blutvergiessen, seine Kämpfer zögen sich nun in ihre Feldlager zurück. Vom Kreml erhielt er die Zusicherung, dass er und seine Söldner keine Strafen zu befürchten hätten. Prigoschin werde sich nun nach Weissrussland begeben, hiess es in Moskau.
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Was Prigoschin letztlich mit dem von ihm ausgerufenen «Marsch für Gerechtigkeit» bezweckte, der nach 24 Stunden bereits wieder zu Ende war, bleibt eine offene Frage. Seit Monaten wirft er der russischen Militärführung immer wieder vor, diese ersticke in Bürokratie und Korruption und verrate seine Truppe, indem sie nicht genügend Munition bereitstelle und die militärischen Erfolge der Wagner-Söldner für sich reklamiere. Tausende seiner Männer sollen in der Ukraine getötet worden sein.
Die Videos mit den Schimpftiraden des wütenden glatzköpfigen Mannes gingen um die Welt – in einem Land, in dem die leiseste Kritik an der Armee mit Gefängnis bestraft wird, schien sich der 62-Jährige alles erlauben zu können. Für Entsetzen sorgte das Video von einem angeblichen Wagner-Deserteur, der mit einem Hammer erschlagen wurde – Prigoschin nannte den Mann einen «Hund».
Nach Zusammenbruch der UdSSR begann der Aufstieg
Der Aufstieg des ehemaligen Häftlings Prigoschin zu einem der bekanntesten Militärführer der Welt begann in den wilden Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Wegen Betrugs und Diebstahls sass Prigoschin, der wie Putin aus St. Petersburg stammt, am Ende der UdSSR neun Jahre im Gefängnis. Als er frei kam, gründete er einen Fast-Food-Laden.
Später gelang es ihm, in St. Petersburg ein Luxusrestaurant zu eröffnen, zu dessen Gästen damals auch Putin zählte. Nach dessen Aufstieg zum Staatschef belieferte Prigoschins Kette den Kreml, was ihm den Spitznamen «Putins Koch» eintrug. Prigoschin gilt als Milliardär, der mit Staatsverträgen ein Vermögen anhäufte – auch wenn genaue Angaben über seine finanziellen Verhältnisse nicht vorliegen.
Lange Zeit hielt sich «Putins Koch» im Hintergrund, ins Rampenlicht trat er erst im September 2022, als die russische Armee in der Ukraine Niederlage um Niederlage einfuhr. Erstmals erklärte er öffentlich, der Chef der berüchtigten Söldnergruppe Wagner zu sein, die er 2014 gegründet hatte und die nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Syrien, Afrika und Lateinamerika bereits im Einsatz war. Im Oktober eröffnete Prigoschin gar mit grossem Pomp seinen Firmensitz in St. Petersburg: «Private Militärfirma Wagner» steht auf dem Schild.
Kriminelle wurden Söldner
Prigoschin hatte freie Hand, in den russischen Gefängnissen tausende Kriminelle für seinen Söldnerdienst zu rekrutieren. Er stellte ihnen die Freiheit in Aussicht, sollten sie die Kämpfe überleben. Wer desertiere, werde erschossen. Die Wagner-Gruppe wurde ursprünglich aus Veteranen zusammengestellt, nun zählt sie zahlreiche Kriminelle in ihren Reihen.
Die Militärkolonne, die sich in der Nacht zum Freitag auf Moskau zu bewegte, zählte nach Prigoschins Worten 25’000 Kämpfer – «wir sind alle bereit zu sterben», sagte er.
Zu Prigoschins Imperium sollen auch Troll-Fabriken gehören. Die US-Justiz wirft dem russischen Geschäftsmann vor, sich mit Internet-Trollen in die von Donald Trump 2016 gewonnene US-Präsidentenwahl eingemischt zu haben – und verhängte Sanktionen gegen ihn.
Der Wagner-Gruppe, benannt nach einem ehemaligen Offizier mit dem Kampfnamen Wagner, werden zahlreiche Gräueltaten vorgeworfen. Auch drei russische Journalisten, die 2018 zu Wagner in der Zentralafrikanischen Republik recherchierten, wurden in einem Hinterhalt getötet.
AFP/fal
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