Druck auf soziale Netzwerke Putin will die «Bastarde» aus dem Internet stoppen
Bei den Demonstrationen für den verhafteten Oppositionschef Alexei Nawalny haben die sozialen Medien eine entscheidende Rolle gespielt. Nun sollen sie dafür büssen.
Es gibt kaum etwas in Russland, das sich nicht live im Internet verfolgen lässt: Da zeigen junge Russen, wie sie sich für Demonstrationen bereit machen oder wie sie an ihren Schulen Bilder von Oppositionschef Alexei Nawalny aufhängen. Die landesweiten Demonstrationen sind genau so zu sehen wie die zum Teil massive Polizeigewalt. Das Internet und vor allem die sozialen Medien sind damit ein wachsendes Ärgernis für den Kreml, der gern allein bestimmen würde, was seine Bürger erfahren und was nicht.
Doch die Rückkehr Nawalnys aus Deutschland, wo er sich von seiner Vergiftung mit Nowitschok erholt hatte, und seine anschliessende Verhaftung haben nicht nur Proteste quer durch das ganze Land ausgelöst, sondern auch die sozialen Medien politisiert und zum Brodeln gebracht.
Ausgerechnet auf der Spass-Plattform Tiktok, die vor allem bei jungen Leuten beliebt ist, avancierte Nawalny nach seiner Verhaftung zu einem Helden. Die Videos wurden laut russischen Medien Hunderte Millionen Mal angeschaut, und die Plattform ist in kurzer Zeit enorm gewachsen, 14 Prozent der Russen geben inzwischen an, Tiktok zu nutzen.
Und Politik ist auf der Plattform, die vor allem bunte Videos verbreitet, zu einem richtigen Hype geworden, mit ganzen Serien von kreativen Videos. Da gibt etwa eine junge Frau Demonstranten Ratschläge, wie sie sich vor Polizeigewalt oder einer Verhaftung schützen können, indem sie sich als amerikanische Touristen ausgeben. In ihrem Video übt sie mit ihrem Publikum Sätze ein wie «ich bin Amerikanerin», «Sie verletzen meine Menschenrechte» oder «ich will meinen Anwalt anrufen».
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Eine andere Videoserie zeigt Schüler, die im ganzen Land Porträts von Wladimir Putin durch ein Bild von Nawalny ersetzen. Manchen von ihnen wurde dafür mit dem Ausschluss von der Schule gedroht, andere mussten bei der Polizei anmarschieren. Der Kreml versucht, die Jugend auf ihren eigenen Kanälen anzusprechen. Das russische Aussenministerium zum Beispiel postet inzwischen auch Videos auf Tiktok. Aussenminister Sergei Lawrow winkt schelmisch in die Kamera oder gratuliert zum Tag der Frau. Ein Hype ist bisher allerdings nicht daraus geworden.
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Gegen sieben soziale Netzwerke hat Russland inzwischen Bussen verhängt, weil diese nicht verhindert hätten, dass Aufrufe zu unerlaubten Kundgebungen an Minderjährige verbreitet wurden. Das russische Parlament hatte das entsprechende Gesetz erst im Dezember verabschiedet. Zudem wurden die Konzerne aufgefordert, den entsprechenden Content zu löschen. Tiktok bemüht sich, die Wogen zu glätten und erklärt, man habe fast 40 Prozent der beanstandeten Inhalte gelöscht. Das Gleiche gilt für die beiden wichtigsten Netzwerke Youtube und VKontakte, eine russische Plattform, die ähnlich wie Facebook genutzt wird.
Seit einigen Tagen ist Twitter in Russland nur noch beschränkt nutzbar.
Weniger Bereitschaft zum Nachgeben zeigt derweil Twitter. Die US-Plattform weigere sich, 3000 Posts zu löschen, die mit Selbstmord, Drogen und Pornografie zu tun hätten, sagen die russischen Behörden. Man unterstütze keinerlei ungesetzliches Verhalten, kontert Twitter die Anschuldigungen. Die Plattform ist in Russland mit einer Nutzerrate von drei Prozent zwar nicht besonders gross, doch könnte das restriktive Vorgehen zum Modellfall werden. Viele fürchten, dass als Nächstes Facebook oder gar Youtube dran sind.
Seit einigen Tagen ist Twitter in Russland nur noch beschränkt nutzbar: Während Textnachrichten weiter frei zirkulieren, werden Videos und Fotos mit um 50 Prozent verminderter Geschwindigkeit verarbeitet und sind damit zum Teil fast gar nicht mehr zugänglich, was eine ganze Welle von sarkastischen Kommentaren ausgelöst hat.
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Inzwischen hat sich auch Präsident Wladimir Putin, der selber angeblich keine sozialen Medien nutzt, persönlich in den Streit mit Tiktok, Twitter und Co. eingemischt. Und damit wird es ernst für die sozialen Netzwerke in Russland. Die Techgiganten müssten sich nicht nur an das Gesetz halten, forderte er unlängst bei einem Treffen mit jungen Russen, sondern auch «die moralischen Gesetze einer Gesellschaft» achten. «Sonst bricht diese Gesellschaft von innen her auseinander.»
In seiner Rede für das Weltwirtschaftsforum in Davos beklagte Putin, dass soziale Netzwerke nicht länger nur «wirtschaftliche Giganten» seien, sondern in einigen Bereichen versuchten, Funktionen des Staates zu übernehmen. Sie verbreiteten Kinderpornografie, Rauschgift und Jugendliche würden zu Selbstmord oder zu Strassenprotesten aufgerufen, kritisierte der Kreml-Chef. Leute, die solche Inhalte verbreiteten, seien «Bastarde» und «kleine Käfer».
Vor einigen Jahren hatte Putin das Internet als CIA-Projekt bezeichnet, der amerikanische Geheimdienst habe das Web erfunden und baue es weiter aus. Die sozialen Medien sind dem Kreml deshalb schon lange ein Dorn im Auge und werden als Tool für «Einmischung in innere Angelegenheiten» verstanden.
Die Bevölkerung sieht es anders. 42 Prozent der Russen beziehen ihre täglichen News inzwischen aus den sozialen Netzwerken. Noch immer informiert sich mit 64 Prozent zwar eine Mehrheit über das vom Kreml kontrollierte Fernsehen, allerdings ist ihr Anteil innerhalb von zwei Jahren um 20 Prozent gesunken – und der Prozess geht weiter. Das alarmiert den Kreml, weil damit sein Informationsmonopol faktisch gebrochen ist.
Es geht dem Kreml darum, zu kontrollieren, was die eigenen Bürger im Netz tun.
Kein Thema lässt sich in Russland heute mehr totschweigen, zu gross ist der Anteil derer geworden, die sich täglich in den sozialen Medien bewegen. Die Verhaftung Nawalnys Mitte Januar wurde im Livestream übertragen, später konnte das ganze Land in unzähligen Videos und Bildern die massive Polizeigewalt bei den Demonstrationen für seine Freilassung sehen. Und diese Woche folgte dann das Foto des kahl geschorenen Nawalny aus dem Straflager.
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Das Ziel des Kremls ist es seit Jahren, eine kontrollierbare russische Alternative für das globale Internet aufzubauen. Die Rede ist dabei vom sogenannten «souveränen Internet», analog zur «souveränen Demokratie», wie sie in Russland schon lange praktiziert wird. Es geht um ein Internet, das auch dann funktioniert, wenn es von den Servern im Ausland abgekoppelt wird. Ursprünglich hiess es, das vom Parlament verabschiedete Gesetz solle Russland vor einer amerikanischen Aggression schützen, indem es dafür sorgt, dass das Runet, der russische Teil des Internets, bei einer feindlichen Abkoppelung nicht zusammenbricht. Deshalb solle es nur noch über kontrollierbare, heimische Server laufen.
Internet sei «übermassig frei»
Doch nun zeigt sich, was Experten schon lange vermuten: Es geht dem Kreml in erster Linie darum, zu kontrollieren, was die eigenen Bürger im Netz tun, und ihnen im Notfall den freien Zugang zum Internet abzugraben, das etwa Russlands Kulturminister als «übermassig frei» bezeichnet. Zuerst wurden schwarze Listen mit Websites erstellt, die in Russland nicht mehr angezeigt werden sollen.
Dann wurden die Konzerne unter Druck gesetzt, Daten in Russland zu speichern und den Behörden bei Bedarf Zugriff darauf zu gewähren. Die Job-Plattform Linkedin etwa ist bis heute blockiert, weil sie sich weigerte, die Daten ihrer Kunden auf russischen Servern zu speichern.
Ins Visier geriet auch der in Russland populäre Messengerdienst Telegram, der den Zugangsschlüssel zu seinen Chats verweigerte. Doch die Disziplinierung erwies sich als viel schwieriger als gedacht. Monatelang versuchten die Behörden, Telegram vom Netz zu bringen. Millionen IP-Adressen wurden dabei blockiert mit dem Ergebnis, dass Unbeteiligte darunter litten – und der Dienst trotzdem weiter funktionierte. Schliesslich gab der Kreml auf und die Behörden hoben alle Restriktionen gegen Telegram auf.
Auch die Massnahen gegen Twitter hatten unerwünschte Nebeneffekte: Mehrere staatliche Websites brachen offenbar wegen der Aktion zusammen. Unter anderem waren die Seiten des Kremls, des russischen Parlaments und der Medienaufsicht, welche die Strafen verhängt hat, zeitweise nicht mehr erreichbar. Dennoch scheint es dem Kreml ernst damit, ein Exempel zu statuieren. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Twitter in Russland verboten werde, erklärte die einflussreiche und Kreml-nahe Abgeordnete Jelena Misulina, die hinter mehreren konservativen Gesetzesvorstössen steht.
Als Telegram gesperrt wurde, gingen Tausende wütende Menschen auf die Strasse.
Allerdings ist das nicht nur technisch ein heikles Vorhaben, sondern auch politisch: Die Russen lassen sich viel gefallen, auf Einschränkungen ihrer als privat empfundenen Kommunikation reagieren aber viele empfindlich. Als Telegram 2018 gesperrt wurde, gingen deswegen spontan Tausende wütende Menschen auf die Strasse. Die Sperrung von Youtube, in Russland nach VKontakte die populärste Plattform, würde noch weit massivere Reaktionen auslösen.
Ein beschränktes Internet nach des Kremls Gnaden wollen sich wohl die meisten Russen nicht mehr bieten lassen, schon gar nicht die junge Generation, die gegen den Kreml rebelliert und demonstriert. Sie haben sich längst an die Freiheit im weltweiten Netz gewöhnt.
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