Tiktok und die US-WahlenUnd plötzlich kann die Quatsch-Plattform auch Politik
Tiktok ist bekannt für banal-bunte Videoschnipsel. Doch bei der US-Wahl haben sich viele junge Nutzer über die Plattform mit Politik vertraut gemacht.
Das komplexe Wahlsystem der USA erklären zu müssen, ist eigentlich kein Anlass für freudvolle Tänze. Auf Tiktok aber ist vieles anders. Und so kann man dieser Tage als Mensch, der im vergangenen Jahrtausend geboren wurde, erstaunt darauf blicken, was da in dem sozialen Videonetzwerk los ist, das Donald Trump vor ein paar Monaten noch zerschlagen wollte.
Denn zur Präsidentschaftswahl in den USA erklärten auf Tiktok jugendliche Nutzer tanzend das Wahlsystem, imitierten frech die greisen Kandidaten, produzierten Comedy-Sketche zu den Zwischenergebnissen und sangen tragische Karaoke-Lieder über die Wahlmännerverteilung. Tiktok ist eine Tochterfirma des chinesischen Internetkonzerns Bytedance und das am schnellsten wachsende soziale Netzwerk der Welt. Es ist vor allem bei Jugendlichen sehr beliebt und bekannt für kurze, oft banal-bunte Videoschnipsel.
Medialer Einstieg ins Politische
Es wird deshalb gern als unpolitische Quatsch-Plattform abgetan. Doch in diesem Jahr voller politischer Spannungen in den USA zeigt sich, dass es auch anders kann. Mit seinen verspielten, auf Interaktion ausgelegten Mechanismen kann es offensichtlich einer jungen, digitalen Generation den medialen Einstieg ins Politische ermöglichen. Für viele Tiktok-Nutzer in den USA ist es die erste Wahl, die sie bewusst mitverfolgen.
Dabei ist Tiktok, anders als zum Beispiel Twitter, eigentlich nicht das optimale Medium für Echtzeit-Austausch. Zwar hat es wie jedes der grossen sozialen Netzwerke auch längst eine Livestream-Funktion, die besonders in der Wahlnacht von grossen Influencern intensiv genutzt wurde.
Tiktok wird gern als unpolitische Quatsch-Plattform abgetan. Doch es kann auch anders.
Doch die typischen Videos, die 15 bis 60 Sekunden lang sein können, werden nicht nach Aktualität sortiert, sondern per Algorithmus verteilt. Der Vorteil ist: Man braucht keine grosse Anhängerschaft, um im politischen Diskurs gehört zu werden, weil theoretisch jedes Video über den Algorithmus sehr viele Menschen erreichen kann. Der Nachteil ist, dass sehr undurchsichtig bleibt, nach welchen Kriterien Videos auf Tiktok algorithmisch sortiert werden.
Doch Tiktok-Nutzer verbreiten und kommentieren nicht nur Inhalte, sie werden viel stärker als auf anderen Plattformen selbst zum Teil des Inhalts. Der absolute Fokus auf den einzelnen Nutzer macht ihn selbst zum Anbieter politischer Medieninhalte. Das funktioniert auf Tiktok besonders gut, weil die jungen Nutzer eine Bild- und Humorsprache teilen, mit der sie über geografische und politische Grenzen hinweg kommunizieren können.
Wie einst das Fernsehen
Auch deswegen hat die Plattform für viele junge Amerikaner bei dieser Wahl die Lagerfeuer-Funktion übernommen, die das klassische Fernsehen vielleicht noch für ihre Eltern hat. Sorgen vor möglichen gewalttätigen Protesten und Einschätzungen zu den neuen Auszählungsergebnissen teilen die Nutzer nicht mehr nur mit der eigenen Familien, sondern potenziell mit Millionen anderen jungen Menschen, die gerade über das ganze Land verteilt dasselbe Thema umtreibt.
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