Krise Russland-UkrainePutin fordert Garantien der Nato – und zwar sofort
Der russische Präsident droht dem Westen und begrüsst gleichzeitig diplomatische Gespräche, die im Januar in Genf stattfinden sollen.

Nach zweieinhalb Stunden der Fragen und Antworten ging es doch einmal um die Pandemie und ihre Folgen für die russische Gesellschaft. Wladimir Putin hatte an die Bevölkerung appelliert, sich eine Dosis spritzen zu lassen, um die Impfquote von nicht einmal 60 Prozent im Land zu steigern. Sonst wirkte es so, als lösten die Spannungen mit dem Westen, eine sich ausdehnende Nato, ein bevorstehender Krieg mit der Ukraine mehr Ängste aus als der rasante Vormarsch der Omikron-Variante. Selbst die in Russland hohen Sterbezahlen durch das Coronavirus – etwa tausend pro Tag – verband ein russischer Journalist mit der Frage nach der internationalen Sicherheit des Landes.
Putin hatte zum Ende des Jahres in Moskau zur grossen Jahrespressekonferenz ins zentrale «Manegezentrum» eingeladen, wo sich 507 akkreditierte Journalistinnen und Journalisten mit Corona-gerechter Sozialdistanz einfanden. Knapp vier Stunden dauerte die Veranstaltung, und diesmal durften die Medienschaffenden auch wieder persönlich mit selber gebastelten Schildern auf zugelassener Normgrösse für ihre Anliegen werben.
«Auf was müssen wir vorbereitet sein?»
«Der Kusbass erstickt», stand etwa auf einem Plakat zur Luftverschmutzung in einem russischen Industriestandort. Aber schnell ging es um die Frage: Wird es einen Krieg gegen die Ukraine geben? «Worauf müssen wir vorbereitet sein?», fragte eine russische Journalistin. Ein Kollege traute sich, Putin zu fragen, wie es denn für ihn persönlich wäre, einen Schiessbefehl zu erteilen. Der Kremlchef antwortete ihm scharf, er solle doch mal die Ukraine fragen: «Sie geben Befehle, im Donbass zu schiessen.»
Am Dienstag hatte Putin bei einem Treffen mit dem russischen Verteidigungsministerium massiv den Westen, vor allem die USA angegriffen und die Atlantische Allianz für die aktuellen Spannungen verantwortlich gemacht. So gesehen gab es auf der vierstündigen Pressekonferenz wenigsten keine weitere rhetorische Eskalation, keine neuen Drohungen. Klar machte er allerdings: «Eine weitere Ausdehnung der Nato ist nicht hinnehmbar.» Putin hob seine rechte Hand und zählte mit den Fingern: «Eine, zwei, drei – fünf Wellen» der Erweiterung habe es bisher gegeben. Er behauptete, Russland sei nach Ansicht des Westens «zu gross geworden» – sogar nach dem Zerfall der Sowjetunion. «Sind wir etwa an die Grenze der USA herangegangen oder an die Grossbritanniens?» Und er gab die Verantwortung gleich noch mal an die Staaten des Westens weiter. «Sie müssen uns Garantien geben. Und zwar jetzt, sofort», sagte er.
Militärmanöver mit Fallschirmspringern
Washington, Brüssel, Berlin hätten ihrerseits gern, dass Moskau den massiven Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze beende und somit die Sorgen vor einer Invasion nimmt, die sich zuletzt verstärkt hatten. Knapp 100’000 russische Soldaten werden dort derzeit geschätzt. Und dann meldete Interfax am Donnerstagmorgen, dass rund um die Krim ein Militärmanöver unter anderem mit Hunderten russischen Fallschirmjägern begonnen habe.
Als eine Sky-Journalistin Putin fragte, ob er denn garantieren könne, die Ukraine nicht anzugreifen und ob dies vom Verlauf der künftigen internationalen Gespräche abhänge, sagte der russische Präsident: «Unser Handeln hängt nicht vom Verlauf von Gesprächen ab, sondern davon, ob unsere Sicherheit gewährleistet wird.» Die ukrainische Nachrichtenagentur Unian sieht das Thema Sicherheit aus einer ganz anderen Sicht: «Putin lehnte es ab zu garantieren, die Ukraine nicht zu überfallen», titelte sie nach dessen Pressekonferenz.
Gespräche in Genf
Darüber dürften also bald schwierige Verhandlungen beginnen. Im Januar, so sieht es derzeit aus, werden Russland, die USA, die Nato und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) entsprechend miteinander reden. Moskau besteht demnach nicht mehr darauf, allein mit Washington über Sicherheit in Europa zu sprechen. Und von den USA, so lobte Putin, habe er bisher «positive Reaktionen gesehen».
Die Gespräche sollen in Genf stattfinden. Bereits am Genfer Gipfel im Juni hatten sich Biden und Putin auf ein Gesprächsformat über sicherheitspolitische Fragen geeinigt. «Die Schweiz ist bereit, ihre guten Dienste anzubieten, wenn diese nützlich und gewünscht sind. Dies umfasst auch die Rolle als Gastgeberin oder Fazilitatorin für Gespräche und Treffen», sagt eine EDA-Sprecherin. Weiter wolle man sich aus Vertraulichkeitsgründen nicht äussern. Putin begrüsste diese Gespräche, betonte aber mit Nachdruck, dass Moskau schnelle Ergebnisse erwarte.
Unkritische Journalisten
Kritisch nachgefragt wurde allerdings kaum im Laufe der vier Stunden, in denen die Maskenpflicht unter den Fragenden nach und nach nachlässiger ausgelegt wurde. Eine Debatte über die zunehmenden Repressionen des Staats gegen die kritische Zivilgesellschaft oder gegen Medien regte sich nicht. Auf den Oppositionellen Alexei Nawalny angesprochen, der gerade eine mehrjährige Haftstrafe absitzt, sagte Putin, dass der Westen keinerlei Beweise einer Vergiftung mit Nowitschok vorgelegt habe. Was allerdings nicht stimmt, denn die internationale Organisation zum Verbot chemischer Waffen stellte genau dies im Herbst vergangenen Jahres fest. Der Prozess gegen die angesehene Menschenrechtsorganisation Memorial war kein Thema während der vier Fragestunden. Aber das dürfte sich bald ändern: Nächste Woche, Dienstag, könnte im Prozess über ihr Ende entschieden werden.
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