Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Gipfel in Genf
Putin und Biden einigen sich auf ein Fortschrittchen

Zeit zum Scherzen trotz der Spannungen: US-Präsident Joe Biden und Russlands Präsident Wladimir Putin beim Gipfeltreffen in Genf.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Ausnehmend gut gelaunt tritt Wladimir Putin am späten Nachmittag in Genf vor die Weltpresse. Geduldig beantwortet er eine Stunde lang Fragen, auch unbequeme: zum Beispiel die, wovor er eigentlich Angst habe, dass er so viele politische Gegner einsperre.

So war das nicht zu erwarten. Denn begonnen hatte der Tag des grossen Gipfels zwischen den USA und Russland in leicht frostiger Atmosphäre, so ganz gar nicht der gnadenlosen Genfer Sommerhitze entsprechend.

Putin verzichtet auf Empfang

Nachdem Putin um 12.30 Uhr gelandet war, rannte er die paar Treppenstufen fast herunter – jung und dynamisch, aber auch eilig. Der russische Präsident verzichtet auf die diplomatische Nettigkeit, sich vom Schweizer Bundespräsidenten am Flughafen abholen zu lassen. Stattdessen winkt er nur kurz in die Kamera und braust mit seinem Konvoi gepanzerter Limousinen vom Rollfeld. Nicht einmal das Schweizer Fähnchen ziert seine Limousine, während sie am Vortag noch an Bidens Auto geflattert war. Setzt Putin damit ein Zeichen?

Fahrt durch die Stadt, die vierspurige Strasse ist gesperrt und frei von Verkehr. Angeführt von einem halben Dutzend Polizeimotorrädern, fährt der Putin-Konvoi über die beflaggte Mont-Blanc-Brücke mit Blick auf den Jet d’eau bis zur Villa La Grange, dem Ort des Gipfels. Jetzt darf Bundespräsident Guy Parmelin Putin empfangen, zuerst geben sie sich die Hände nicht, Achtung Corona, dann doch ein Händedruck für die Fotografen.

Biden fährt etwas später los. In einem 44 Fahrzeuge starken Konvoi rauscht er von seinem Hotel Intercontinental hinunter zum Tagungsort, die knapp fünf Kilometer lange Strecke von Polizisten, Helikoptern und Panzern gesichert. Tausende Schaulustige stehen an der Strasse.

Putin muss warten

Anders als vor drei Jahren in Helsinki ist Putin also zuerst da. Und muss jetzt warten, wenn auch nur eine Viertelstunde. 2018 liess er US-Präsident Donald Trump mehr als eine Stunde schmoren – um ihn danach an einem gemeinsamen Medienauftritt öffentlich vorzuführen. Aber Genf ist nicht Helsinki. Und Biden nicht Trump.

Das wird Putin nach dem Gipfel selbst explizit so ausdrücken. Biden sei ein «sehr erfahrener Staatsmann», lobt der Russe mehrmals während seiner Medienkonferenz. Als Beispiel führt er Bidens berühmte Interviewaussage an, Putin sei «ein Killer»: Am Tag danach habe Biden ihn angerufen und ihm erklärt, warum er das so ausgedrückt habe – was der Russe offensichtlich schätzte. Trump hingegen sei seinen Fragen ausgewichen, so Putin.

Die beiden derzeit mächtigsten Männer der Welt scheinen einander den Umständen entsprechend gut verstanden zu haben, auch wenn sich ihre Länder teilweise als Gegner oder sogar Feinde verstehen. «Es gab keine Feindseligkeit. Beide Seiten haben ihre Bereitschaft gezeigt, einander zu verstehen und Wege zu suchen, unsere Positionen anzunähern», fasst es Putin zusammen. Voll vertrauen würden sie sich wohl nie, aber das Wichtigste sei, dass es am Gipfel einen «Funken von Vertrauen und der Hoffnung gegeben» habe.

Konkrete Schrittchen

Ein solch positives Fazit zieht wenig später auch Biden. Er betont, persönliche Treffen seien der einzige Weg, um einander richtig zu verstehen. Mit denselben Worten wie Putin sagt auch er, beide wollten «stabile und berechenbare Beziehungen». Das belegen die zwei Grossmächte mit konkreten Schrittchen der Annäherung. Zunächst einmal wollen sie ihre Botschafter wieder ins andere Land senden; beide hatten die Diplomaten im Frühling wegen der wachsenden Spannungen zurückgerufen. Auch wollen die Aussenministerien einen Austausch von russischen und amerikanischen Sträflingen in den Gefängnissen des anderen Lands prüfen; gemäss den USA sitzen derzeit zwei Amerikaner unschuldig in russischen Kerkern.

Zudem haben Biden und Putin über nächste Abrüstungsschritte gesprochen und einen bilateralen strategischen Dialog vereinbart. Dieser soll hochrangige Militärs in regelmässigen Kontakt miteinander bringen, um Unfälle und ungewollte Konfrontationen zu vermeiden. Biden forderte von Putin, Hackergruppen in Russland das Handwerk zu legen. Er übergab dem Russen überdies eine Liste mit 16 kritischen Infrastrukturen wie Systemen zur Wasserversorgung, die bei Cyberattacken in Zukunft nicht mehr angegriffen werden sollen. Die beiden Länder loten nun Möglichkeiten für einen solchen Cyber-Nichtangriffspakt aus. Auch wollen sie die humanitäre Versorgung in Syrien verbessern.

Putin spöttelt über Nawalny

All dies täuscht nicht darüber hinweg, dass die Differenzen zwischen den beiden Grossmächten anhalten – was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass sie separate Medienkonferenzen abhalten. Biden etwa bleibt dabei: Er werde immer wieder auf Menschenrechtsprobleme in Russland hinweisen, sonst sei er kein amerikanischer Präsident mehr. Das habe er aktuell auch im Fall des inhaftierten Oppositionellen Alexei Nawalny soeben getan. Das Gespräch über die Ukraine sei ebenfalls «etwas herausfordernder» gewesen, bemerkte Biden.

«Wer ist jetzt der Killer?»

Wladimir Putin

Putin wies an seiner Medienkonferenz jegliche Kritik an seiner Politik zurück. Über Nawalny liess er sich minutenlang aus, ohne seinen Namen zu nennen. Der «Bürger, den Sie erwähnt haben», habe absichtlich gegen russische Gesetze verstossen und es darauf angelegt, verhaftet zu werden. Das geschehe nun. Als ihn eine amerikanische Journalistin fragte, warum er seine politischen Gegner reihenweise inhaftiere, holte Putin zum Gegenangriff aus: Die amerikanischen Behörden hätten sogar mehr als 500 Personen verhaftet nach der Erstürmung des Capitol am 6. Januar dieses Jahres. Soeben sei wieder eine amerikanische Frau von Polizisten in den Rücken geschossen worden, und in Afghanistan töteten die USA mit Drohnen unschuldige Zivilisten. «Wer ist jetzt der Killer?», so Putin maliziös.

Krach unter den Journalisten

Wie gross die Spannungen sein können, machen zu Beginn des Treffen bereits die Journalisten deutlich. Soeben hat Guy Parmelin vor der Villa La Grange die beiden Gäste auf Französisch begrüsst, die Schweiz fühle sich «sehr geehrt, den Gipfel durchzuführen in Genf, der Stadt des Friedens». Er trägt je eine Grussformel auf Englisch und Russisch vor, Putin dankt mit einem netten Lächeln. Nach einem «Au revoir» tritt der Schweizer ab – und die beiden Staatschefs stehen noch einen Moment da, etwas unschlüssig, bis Biden seine Hand ausstreckt. Putin erwidert die Geste, die beiden lächeln, das Klickgewitter der Kameras geht los, ab gehts in die Villa zum Gespräch.

Da durchbrechen laute Rufe die feierliche Stimmung: Beim Seiteneingang drängeln amerikanische und russische Journalisten um Einlass in die historische Bibliothek, in die sich Biden und Putin mit ihren Aussenministern Antony Blinken und Sergei Lawrow setzen. Als Putin Biden für den Vorschlag zum Gipfeltreffen dankt, bricht auch im Raum selbst Tumult aus: Journalisten und Sicherheitsleute beginnen einander zu beschimpfen und zu schubsen, die russischen und amerikanischen Medien beschuldigen einander gegenseitig der Aggressivität. Nach wenigen Sekunden schaut Aussenminister Lawrow zum ersten Mal auf die Uhr, bald bugsieren russische Sicherheitsleute die Journalisten hinaus. «Das war das schlimmste Gipfeltreffen in neun Jahren», beklagt sich eine amerikanische Journalistin auf Twitter.

Wird der Gipfel «historisch»?

Auf den Verlauf des Gipfels scheint das keinen Einfluss zu haben. Biden und Putin scheinen sich über die Journalisten zu amüsieren, schliesslich diskutieren sie fast eine halbe Stunde länger in diesem kleinen Kreis als geplant: 93 statt 75 Minuten. Nach einer dreiviertelstündigen Pause erweitern sie um 16 Uhr die Runde, auf russischer Seite unter anderem mit Moskaus Zuständigen für Syrien und die Ukraine.

Das Prädikat «historisch» hat der Genfer Gipfel in der Schweizer Presse schon vorab erhalten. Ob er es auch verdient, muss sich noch weisen. Nun, da die Resultate der Gespräche vorliegen, folgt die Realitätsprobe. Schon oft haben Russland und westliche Länder Fahrpläne und Gesprächsabsichten vereinbart – nur um einander dann doch zu piesacken. Restlos überzeugt scheint auch Joe Biden nicht. «Wir haben jetzt die Basis gelegt», sagte er. «Wir werden in den nächsten Monaten herausfinden, ob wir die konkreten Schritte unternommen haben.»

Apropos – der tägliche Podcast

Den Podcast können sie kostenlos hören und abonnieren auf
Spotify, Apple Podcasts oder Google Podcasts. Falls Sie eine andere Podcast-App nutzen, suchen Sie einfach nach «Apropos».