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Reportage vom Psychonauten-Kongress
«Ich werde weitermachen, bis ich ins Gras beisse. Aber vorher rauche ich es noch»

40 Jahre Nachtschatten-Verlag, Roger Liggenstofer, Verlagsleiter bisher(links) und Lukas Emmenegger, neuer Verlagsleiter, Jubiläumsfest, Attisholz, Solothurn, 31.8.2024, Foto Dominique Meienberg
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Breit grinsend segelt Roger Liggenstorfer über das Attisholz-Areal in Solothurn. In der zum Kulturzentrum umfunktionierten ehemaligen Zellulosefabrik feiert sein Nachtschatten-Verlag sein vierzigjähriges Bestehen. Gleich wird er auf einem Podium zum Thema Hanf reden.

Der Mittsechziger ist eine charismatische Erscheinung mit seiner grauen Lockenmähne und dem weit offenen Hemd. Er schüttelt hier eine Hand, beantwortet da eine Frage, gibt dort kurze Handlungsanweisungen und wirkt dabei tiefenentspannt wie ein Zen-Meister. Eine «Gemütsmore», wie man im Solothurnischen sagen würde.

Der Pionier für Rauschkultur hat allen Grund zu feiern. Heute übergibt er sein Lebenswerk in jüngere Hände, das Fest läuft gerade an. An Marktständen werden psychedelische Bilder gemalt, Kleider bedruckt, Bongs aus Glas geblasen. Auch CBD-Hanf, psychoaktive Kakteen, Pilze und Räucherwerk sind zu kaufen.

Dazwischen tummeln sich die sogenannten Psychonauten, also Menschen, die den Geist und das Unterbewusste erforschen. Zumeist sind sie schon etwas angejahrt, manchmal auch jünger, in wallenden Kleidern im Batik-Look und mit Gesichtern, in die das Leben Spuren gegraben hat. Viele tragen Rastalocken, manche sehen selbst aus wie Kakteen. Aus den unterschiedlichsten Ecken des Landes sind sie angereist, um mit Liggenstorfer das zu zelebrieren, was sie eint: die Faszination für Psychedelik und die Lust am Rausch. 

40 Jahre Nachtschatten-Verlag, Jubiläumsfest, Attisholz, Solothurn, 31.8.2024, Foto Dominique Meienberg

Für Psychonauten sind LSD und Zauberpilze keine gewöhnlichen Drogen, sondern heilige Medizin mit dem Potenzial, die ganze Gesellschaft gesunden zu lassen. Das hat mittlerweile auch die Wissenschaft erkannt. In interessierten Kreisen spricht man von «psychedelischer Renaissance», gemeint ist ein seit einigen Jahren wieder aufflammendes Interesse am therapeutischen Nutzen von Psychedelika in der Psychiatrie. Da liegt der Nachtschatten-Verlag mit seinem Fokus auf Themengebiete wie Ethnobotanik, Hanf, Spiritualität, Wissenschaft und Rauschkultur goldrichtig.

Man verspüre seit einigen Jahren eine verstärkte Nachfrage nach den entsprechenden Büchern, sagt Lukas Emmenegger. Er begann als Praktikant im Verlag und wird ihn von Liggenstorfer übernehmen, der sich in Pension begibt.

40 Jahre Nachtschatten-Verlag, Hanfpflanzen am Stand von Herba di Berna, Jubiläumsfest, Attisholz, Solothurn, 31.8.2024, Foto Dominique Meienberg

In den zahlreichen Podien des heutigen Tages geht es um Hanflegalisierung, Schamanismus, Technokultur, aber auch um Studien der Uni Zürich zu Psilocybin in Kombination mit Meditation und Atemtechniken. Das Metathema aber ist der Widerstand gegen die Dämonisierung dieser Stoffe seit den Sechzigerjahren. Damals beschloss die amerikanische Gesundheitsbehörde, dass das in Basel neu entdeckte LSD gleich zu behandeln sei wie Kokain und Heroin, genau so wie andere bei vielen Völkern als heilig geltende psychoaktive Stoffe. Das blockierte die Forschung über Jahrzehnte und trieb interessierte Konsumenten in die Illegalität. 

In der Folge entstand jene Subkultur, die sich seit den Sechzigerjahren nicht allzu sehr verändert hat und deren letzte Vertreter und ihre Nachkommen sich an Orten wie diesem treffen. Noch immer kämpfen sie darum, ernst genommen zu werden, noch immer pflegen sie ihre Ressentiments gegen den bürgerlichen Staat, der ihnen vorschreiben will, was sie mit ihrem Geist anstellen dürfen und was nicht.

Besonders schmerzt sie, dass man dem Alkohol so viel mehr Goodwill entgegenbringt als den Psychedelika. «Wieder einmal haben die Alkoholiker verhindert, dass man LSD legalisiert!», ruft ein Referent am Nachmittag in die Menge. «Buh, Alkohol», tönt es aus dem Publikum. Ein Hauch von Revolution liegt in der Luft.

«Man spürt das Göttliche in sich»

Obschon sie gern ernst genommen werden möchten, kümmern sich die Psychonauten nicht gross darum, wie sie gegen aussen wirken. Hier geht es um die Pforten der Wahrnehmung – und diese sind teilweise auch bei einzelnen Besuchern schon weit offen. Eine ältere Hippiefrau mit langer, grauer Mähne und Sonnenbrille hängt gebannt an den Lippen der Referenten. Manchmal ruft sie Zustimmendes dazwischen oder schüttelt energisch die Faust. Später wird sie sich zur Pausenmusik in einer Ecke wiegen wie eine Wasserpflanze. Neurodiversität wird hier ausdrücklich begrüsst, so wie im Übrigen auch jede andere Form von Diversität.

40 Jahre Nachtschatten-Verlag, Arameh und Jörg Milanifard, bieten an ihrem Ethnobotanischen Stand "Strohente" psychoaktive Produkte wie, Kakteen, Pilze, Vitalkräuter, Extrakte, Rapé, Räucherwerk, Duft- und ätherische Oele und vieles mehr an., Jubiläumsfest, Attisholz, Solothurn, 31.8.2024, Foto Dominique Meienberg

Jetzt steht Hans Cousto auf der Bühne, Musikwissenschaftler und einer der Begründer von «Eve & Rave» in Berlin, deren Mission es ist, Drogenkonsumenten über Partydrogen aufzuklären. Er referiert zu Technokultur und Spiritualität, trägt kurze Hosen, ein gelbes Batikhemd, und es fehlen ihm etwa die Hälfte seiner Zähne. Das tut seinem Elan aber keinen Abbruch: «Wenn man mit 100 Druffis in den Sonnenaufgang tanzt, spürt man das Göttliche in sich», ruft er der Menge zu wie ein Prophet.

Er weiss aber auch, worauf seine Zuhörer gut ansprechen: «Jeder hat das Recht, mit seinem Bewusstsein anzustellen, was er will!» Dafür erntet er Szenenapplaus, denn das ist eines der dringlichsten Anliegen dieser doch recht heterogenen Gruppe: Das Recht, sich zuzuführen, was man will, und frei über seinen Geist verfügen zu können. Ein urmenschliches Anliegen, auch für Nicht-Psychonauten.

Niemand verkörpert das besser als der heutige Gastgeber Roger Liggenstorfer. Nach einer Banklehre entdeckte er als Teenager die Freuden psychoaktiver Substanzen und klinkte sich aus der bürgerlichen Gesellschaft aus. Die Kurzhaarfrisur wich einer wallenden Mähne, der Anzug bunt bestickten Hosen, und bald schon tingelte der Vollblut-Kiffer als Marktfahrer über Musikfestivals, wo er Ansteckbuttons, Räucherstäbchen, Pfeifen sowie Literatur zu Drogen feilbot. 

Heute Haschisch, morgen Heroin

In den späten Siebzigerjahren war er damit hochsuspekt. Damals herrschte ein Zeitgeist: «Heute Haschisch, morgen Heroin, heute ein anständiges Mädchen, morgen schon eine Drogenschlampe. Dazwischen gab es nicht viel», wie es Autorin Susanne Seiler in der Jubiläumsschrift formuliert. Aber Liggenstorfer erkannte die Lücke und stiess mit seiner Literatur zu Rauschkultur und vor allem zum verantwortungsvollen Umgang mit Drogen hinein.

Das rief 1980 die Behörden auf den Plan. Man konfiszierte sein halbes Büchersortiment und verurteilte ihn wegen «öffentlicher Aufforderung zum Drogenkonsum» zu einer bedingten Gefängnisstrafe. Doch wenn der übereifrige Staatsanwalt beabsichtigt hatte, Liggenstorfer einzuschüchtern, bewirkte er das Gegenteil. Auch nachdem die zweite Instanz das Urteil bestätigt hatte und anordnete, seine Bücher zu verbrennen, machte er weiter.

Und er beschloss, diese Art von Büchern künftig auch selber zu verlegen. Damit hatte er sein Lebensthema gefunden, das ihn bis heute begleitet und inzwischen auch Anerkennung findet. «Beim Nachtschatten-Verlag weiss man, dass die Bücher seriös sind», gesteht ihm einer der Referenten auf der Bühne zu.

Auch Liggenstorfer selbst ist längst mehr als ein kurliges Stadtoriginal. In Solothurn, der Kulturstadt in der Provinz, wo Intellekt, Kultur und Alternativkultur zusammen im Kreuz hängen und wo im Herbst auf den Jurahöhen Zauberpilze spriessen, ist er heute so bekannt wie das andere Solothurner Aushängeschild, der Schriftsteller Peter Bichsel.

«Es gibt viel zu tun, bauen wir es an!»

Hier auf dem Attisholz-Areal ist Liggenstorfer sogar mehr als das, er ist ein Visionär, ein Lehrer, ein Guru. Ihm ging es immer um Aufklärung und Selbstverantwortung im Drogenkonsum. «Just Say Know», wie er in einer Abwandlung des berühmten Spruchs von Nancy Reagan sagte.

Auch sonst hat er eine ganze Reihe von träfen Sprüchen auf Lager, mit denen er das Publikum für sich gewinnt. «Es gibt viel zu tun, bauen wir es an!», ruft er etwa zum Vergnügen seines Publikums. Oder: «Dass man uns vorschreibt, was wir in unserem Garten anpflanzen, ist absurd!» Dazu gibt es wieder Szenenapplaus. «Ich werde weitermachen, bis ich ins Gras beisse. Aber vorher rauche ich es noch.» Das bringt die Stimmung auf dem Attisholz-Areal zum Siedepunkt, der aber bald wieder einer idyllischen Ruhe weicht. Nach dem Sturm die Stille, alles Yin und Yang, und später gibt es ja dann auch noch eine Party. Da heisst es, seine Energien einzuteilen.