«Of Light, Wind and Waters» im OpernhausDrei Märchen und ihr Dichter
Das Ballett Zürich feiert im Opernhaus die Uraufführung von «Of Light, Wind and Waters»: Es erzählt Hans Christian Andersens Leben im Spiegel dreier Kunstmärchen.
- Hans Christian Andersens Märchen werden in zwei Zürcher Kulturhäusern neu inszeniert.
- Die Produktionen verbinden die Biografie des Autors mit Elementen seiner berühmten Geschichten.
- Regisseur Kim Brandstrup erschafft ein atmosphärisch dichtes Gesamtbild ohne glamouröse Effekte.
- Moderne Musik und ausgeklügeltes Lichtdesign prägen die melancholische Bühneninszenierung.
Ausgestossen sind sie alle: Die verwunschene Meerjungfrau, die ihren Prinzen nicht gewinnen kann und sich in Luft auflöst; der kleine Kay, den ein Splitter im Herzen zum Gefangenen der Schneekönigin macht; und der Mann, der seinen Schatten in die Welt ziehen lässt, um am Ende als Schatten seiner selbst zu sterben. So surreal diese Geschichten sein mögen, orientieren sie sich doch alle an einem wahren Leben. Denn ein Ausgestossener war nicht zuletzt auch der Schöpfer all dieser traurigen Gestalten: Hans Christian Andersen.
H.C. Andersen, wie er selbst sich nannte, stammte aus ärmlichen Verhältnissen, denen er als Vierzehnjähriger nach Kopenhagen entfloh. Allein in der grossen Stadt fand er bald einflussreiche Unterstützer. Doch obwohl er bereits in jungen Jahren als Dichter Weltruhm erlangte, blieb er zeitlebens ein Fremdkörper in der Welt der Reichen und Schönen. Verspottet ob seiner hageren Gestalt und Herkunft, ein Hypochonder, der die Menschen mit eingebildeten Krankheiten nervte, und ein stets unglücklich verliebter, eitler Schwadroneur und Schwerenöter.
Neuinterpretation von Märchen zum 150. Todestag
Zum 150. Todestag des dänischen Dichters (1805–1875) bitten die beiden grossen Zürcher Kulturhäuser zur Neuinterpretation seiner berühmten Kunstmärchen. Während das Schauspielhaus «Die kleine Meerjungfrau» mit glamourösen Dragqueens auf die Bühne bringt (ab 25. Januar), beleuchtet das Opernhaus die Biografie des Autors im Spiegel dreier seiner Werke, die düsterer kaum sein könnten.
Darunter befindet sich ebenfalls die Geschichte der kleinen Meerjungfrau, nur diesmal ohne jeden Glamour. Dazu kommen die im Original komplex verschachtelte Mär von der bösen Schneekönigin (an der Premiere interpretiert von einer klirrend kalten Elena Vostrotina, die tänzerisch leider kaum gefordert wird) und «Der Schatten», eine hierzulande etwas weniger bekannte Parabel um die Kraft der Poesie (ebenso melancholisch wie verführerisch getanzt von Nancy Osbaldeston) und die verlorene Herrschaft über sich selbst.
Barfuss statt in Spitzenschuhen
Der dänisch-britische Regisseur und Choreograf Kim Brandstrup inszeniert den Tanz fast beiläufig und mit erzählerischer Kraft. Da gibt es keine Spitzenschuhe, dafür berührende Einzelszenen, Märchenfetzen, die sich gegenseitig spiegeln und verdoppeln, und traurige Sehnsuchtsduette in erdigen, barfuss getanzten Pas de Deux. Dazu orchestriert Brandstrup Musik, Licht und Bühnenbild zu einem atmosphärischen Gesamtbild, in dem die Naturgewalten, die viele von H.C. Andersens Märchenwelten bestimmen, lebendig werden.
Beginn und Schluss des knapp eineinhalbstündigen Abends konzentrieren sich auf Andersens Beziehung zu seiner Mutter (Shelby Williams), die einerseits von grosser Zuneigung geprägt war und andererseits von Verlust und Verzweiflung: von Armut, Alkohol und dem frühen Tod des Vaters. Dazwischen übernehmen kunstvoll ineinander geflochtene Szenen aus den drei Märchen die Handlung.
Sehnsucht bestimmt die Bewegung
Die Meerjungfrau (berührend: Max Richter), die sich in einen Prinzen (freundlich: Wei Chen) verguckt, der ihre Liebe nicht ernst nimmt, zeigt die Hoffnungslosigkeit angesichts der Missachtung, die Andersen (Lucas Valente) im Kreise des Kopenhagener Bildungsbürgertums verspürt haben muss.
Sehnsucht bestimmt die Bewegungen im Reich der Schneekönigin: Das Mädchen Gerda (Ruka Nakagawa) spiegelt in seinen verzweifelten Versuchen, die Gefühlskälte ihres geliebten Kay (Mlindi Kulashe) aufzutauen, Andersens unerfülltes Begehren für die Damen und Herren seines Herzens. Am eindrücklichsten aber sind die Szenen, in denen der Dichter (Esteban Berlanga) mit seinem immer stärker werdenden Schatten (Karen Azatyan) um sein Leben tanzt.
Das liegt nicht zuletzt an der Lichtgestaltung (Martin Gebhardt) und den Videos von Tieni Burkhalter, die die Grenzen von Wahrnehmung und Wirklichkeit verschwimmen lassen. Das düstergraue Bühnenbild (Richard Hudson), das von den Tänzern immer wieder neu positioniert wird, und die fliessenden Kostüme (ebenfalls Richard Hudson) verstärken die mystische Stimmung ebenso wie der Wassergraben am vorderen Bühnenrand, dessen Widerschein wellenförmige Muster auf Wesen und Wände wirft.
Sounddesign ist wichtiger Stimmungsträger
Ein wichtiger Stimmungsträger ist auch das Sounddesign von Ian Dearden. Der Ire setzt Stücke von Schubert bis Schönberg (und anderen) zu einer Klangkulisse zusammen, die den Abend vom Anfang bis zum Ende trägt. Zeitgenössische Musik prägt die drei Märchenstränge: Die akustischen Schneelandschaften stammen vom dänischen Komponisten Hans Abrahamsen, die Meerjungfrau tanzt zu einem Violinkonzert der englischen Komponistin Anna Clyne, und die drückende Hitze im schattenreichen Süden findet ihre Entsprechung in den wehmütigen Klängen des französischen Klarinettisten Yom.
Wenn im letzten, sehr poetischen Bild Lucas Valente als Märchenfürst nochmals mit seiner Mutter tanzt, erinnern wir uns, dass Abertausende sich weniger an Andersens Wesen orientierten als an seinen Werken. Und dass diese ihren Schöpfer, aller weltlichen Schwierigkeiten zum Trotz, in den Himmel dichterischer Unsterblichkeit trugen.
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