Politik der schrillen TöneSchluss mit der Apokalypse!
Seit der Wiederwahl Trumps dominieren Allmachtsfantasien und Untergangsszenarien die öffentliche Debatte. Das ist ärgerlich und töricht.

Im linken wie im rechten politischen Lager dominiert seit Trumps Rückkehr ins Weisse Haus weltweit eine Tonalität in der Debatte, die nicht nur ärgerlich, sondern gar töricht ist: Links wird angesichts des Aufstiegs von Trump und seinem Berater Elon Musk sowie der Umfrage- und Wahlerfolge europäischer Rechtspopulisten in einem penetranten apokalyptischen Ton vor dem Faschismus gewarnt. Auf der rechten Seite des politischen Spektrums paaren sich Allmachtsfantasien mit Rachegelüsten.
Trumps «Revolution» werde auch in der Schweiz «ankommen», die «politische Korrektheit» werde auf den «Friedhof der Geschichte» getragen, hiess es zum Beispiel kürzlich in einem Leitartikel der NZZ. Ein «regelrechter Freiheitsorkan» fege nun «durch die Festungen der Etablierten», es komme zu einer Art konservativen Revolution, mit der «falsche Ideen und Vorstellungen» und «morsch gewordene Politik» hinweggefegt würden, schrieb Roger Köppel.
Von einem «Trump-Tornado», mit dem sich seine eigene Politik auch ausserhalb Ungarns durchsetzen werde, schwärmte Viktor Orban. Und die AfD-Politikerin Alice Weidel träumt davon, die Gender-Studies-Institute an den Universitäten zu schliessen und all ihre Professoren rauszuschmeissen, wenn sie dereinst «am Ruder» sei. Und das alles im Namen der Freiheit.
Bemerkenswert sind solche Äusserungen aus zwei Gründen: erstens, weil damit die politische Korrektheit und anderes linken Denken zum scheinbar übermächtigen Gegner aufgeblasen wird, dessen man sich – zweitens – nach der Wahl Trumps mit einem Handstreich entledigen kann.
Die angebliche Dominanz der Woken
Die angebliche Dominanz der Woken wie auch die Verkündung ihres plötzlichen Endes widersprechen der Wirklichkeit. Wer in der Schweiz aufwuchs, war nie ernsthaft eingeschränkt in seiner Meinungsfreiheit. Sondern man konnte stets sagen, was man denkt. Ja, es waren sogar noch nie so viele Leute wie heute, die sich über die sozialen Netzwerke Gehör verschaffen können. Allenfalls muss man dann eben mit kritischen Reaktionen leben.
Insofern ist die Allmachtsfantasie, dass es nun auf einen Schlag mit politisch korrekten Zwischenrufen aufhören wird, nichts anderes als eine apokalyptische Wunschvorstellung nach «tabula rasa».
Ebenso problematisch ist aber der apokalyptische Ton von links, mit dem vor einem aufziehenden Faschismus gewarnt wird. Selten sind diese Warnungen mit historischem Wissen fundiert. Faschismus herrscht, wenn organisierte Schlägerbanden Menschen auf den Strassen an Leib und Leben bedrohen. Dafür gibt es bisher weder in Westeuropa noch in den USA Anzeichen.
Widerstand durch Sachpolitik
Gewiss, was Trump und Musk gerade aufführen, ist beunruhigend. Die permanente Panik vor dem Faschismus vernebelt aber die Sicht auf die Wirklichkeit, auf die Unterschiede zwischen den 1930er-Jahren und unserer Gegenwart.
Der linke apokalyptische Ton und die rechten Allmachtsfantasien bedienen zielgenau die Mechanismen der sozialen Netzwerke, die davon leben, dass wir möglichst viel Zeit dort verbringen – und die mit maximal schrillem Ton unsere Aufmerksamkeit triggern.
Beides – der apokalyptische Ton der Linken wie die Allmachtsfantasien der Rechten – lenken daher von einer komplexen Wirklichkeit ab, in der man sich konkreter Probleme eben gerade nicht handstreichartig entledigen kann. Die Suche nach echten Lösungen sollte mehr Aufmerksamkeit erhalten als Allmachtsfantasien und die ewige Wiederholung von apokalyptischen Szenarien. Diesen kann man mit einem kühlen Kopf, klugen Argumenten und vernünftiger Sachpolitik ausreichend Widerstand leisten.
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