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Sicherheit für Europa
«Das ist ein Witz»: Deutsche attackieren Schweizer Mini-Aufrüstung und Neutralität

Roderich Kiesewetter, MdB, CDU und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, posiert vor einer Glaswand in Berlin am 15. Februar 2022.
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In Kürze:
  • Europa erhöht Verteidigungsausgaben, Schweiz bleibt bei bisherigen Plänen.
  • Kritik aus Deutschland fordert von der Schweiz grössere Militärausgaben.
  • Schweizer Politiker fordern eine klare sicherheitspolitische Strategie.
  • Finanzierungsfragen für die Schweizer Verteidigungsausgaben bleiben ungelöst.

Europa öffnete diese Woche die Geldschleusen – und was macht die Schweiz? Nichts. Nach dem Eklat im Weissen Haus zwischen Donald Trump und Wolodimir Selenski kündigte die EU eine Aufstockung der Verteidigungsausgaben um 800 Milliarden Euro an. Deutschland will ebenfalls neue Milliardenkredite fürs Militär aufnehmen.

Der Bundesrat hingegen präsentierte nach der wöchentlichen Sitzung am Freitag keinen neuen Aufrüstungsplan. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter gab nur ein trockenes Statement zur sich rasant ändernden weltpolitischen Lage ab.

Damit bleibt hierzulande alles auf dem Stand vom Dezember: Da beschloss das Parlament, den Rüstungsaufwand von zuletzt rund 2 Milliarden auf knapp 4 Milliarden Franken bis 2028 zu erhöhen. 2032 sollen die Ausgaben dann 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) ausmachen. Zum Vergleich: In der Nato gilt ein 2-Prozent-Ziel.

«Schweiz muss sich entscheiden, wo sie steht»

Die Mini-Aufrüstung der Schweiz hat nun heftige Kritik aus Deutschland zur Folge. 1 Prozent des BIP sei «eindeutig ein Witz in dieser ernsten Lage», sagt CDU-Politiker Roderich Kiesewetter. Sinnvoll wären seiner Meinung nach 3 bis 5 Prozent. «Die Schweiz muss sich entscheiden, wo sie steht. Neutralität ist keine Option, wenn es um die Verteidigung unserer Freiheit geht.»

Eins zu eins sind die Prozentwerte nicht vergleichbar – nur schon, weil das BIP pro Kopf in der Schweiz doppelt so hoch ist wie in Deutschland. Auch Kiesewetter zeigt ein gewisses Verständnis für die Position der Schweiz. Deutschland sei ebenfalls seit Jahrzehnten «Trittbrettfahrer» bei der Sicherheit. Ein Umdenken in der Gesellschaft sei nur schwer zu erreichen und brauche grosse Führungsverantwortung.

Die Ukraine verdiene massive Unterstützung

Doch jetzt, da die Sicherheits- und Friedensordnung in Gesamteuropa bedroht sei, brauche es eine «klare Haltung jedes einzelnen Europäers, Frieden in Freiheit und Selbstbestimmung zu verteidigen», sagt Kiesewetter. Wenn die Schweiz historisch begründet eine «Änderung des Mindsets» und höhere Verteidigungsausgaben schwierig finde, «so sollte sie sich doch sehr klar für ein Europa in Demokratie und Freiheit einsetzen und zumindest die Ukraine, die uns an vorderster Front schützt und dafür kämpft, endlich massiv unterstützen».

Der Bundestagsabgeordnete Kiesewetter gehört zu den profiliertesten Aussen- und Sicherheitspolitikern Deutschlands. Der ehemalige Oberst der Bundeswehr stammt aus der Nähe von Stuttgart. Er wird derzeit als möglicher Verteidigungsminister in der neuen deutschen Regierung gehandelt, die voraussichtlich von CDU und SPD gebildet wird.

Kritik aus CDU und SPD

Auch die SPD von Noch-Kanzler Olaf Scholz erwartet mehr. «Die Schweiz liegt im Herzen Europas und konnte sich stets einen hohen Grad an Neutralität bewahren, weil sie sich militärisch von einer starken Nato und wirtschaftlich einer starken EU geschützt wusste», sagt Falko Drossmann, der führende Verteidigungspolitiker der SPD. «Doch die Welt hat sich verändert.» Wenn die Staaten in Europa, und dazu gehöre auch die Schweiz, ihre Sicherheit und ihren Wohlstand langfristig erhalten wollten, müssten «alle mehr Verantwortung für unsere eigene Sicherheit übernehmen».

Falko Drossmann von der FDP spricht bei der 211. Sitzung im Deutschen Bundestag in Berlin am 31. Januar 2025.

Der aus Hamburg stammende Drossmann begrüsst explizit eine Erklärung des Nationalrats von dieser Woche. Diese fordert vom Bundesrat mehr sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Europa. Der SPD-Politiker hat jedoch Zweifel, ob es die Schweiz ernst meint. Dies werde sich nicht zuletzt daran zeigen, ob die Erklärung umgesetzt und finanziell hinterlegt werde – «oder die Überzeugungen des Nationalrates nur bis zum eigenen Portemonnaie reichen».

Armee braucht gegen 100 Milliarden Franken

Im Bundeshaus findet man in allen Lagern Politikerinnen und Politiker, die bereit wären, die Verteidigungsausgaben weiter zu erhöhen – selbst bei den Linken. «Die Schweiz kann nicht Trittbrettfahrerin bleiben. Sie muss ihren Beitrag zur Sicherheit in Europa leisten», sagt SP-Ständerätin Franziska Roth. Bevor man aber über höhere Beiträge für die Armee diskutiere, müsse die Schweiz ihre sicherheitspolitische Rolle in Europa klären und eine «ehrliche umfassende Bedrohungsanalyse» vorhanden sein.

Ähnlich tönt es bei FDP-Ständerat Josef Dittli. «Natürlich müssen wir massiv mehr in die Armee investieren. Es braucht zusätzliche Milliarden», sagt er. «Wir dürfen aber nicht planlos aufrüsten.» Er verlangt deshalb dringend ein Zielbild und eine Strategie des Bundesrats.

SVP-Ständerat Werner Salzmann fordert seit Jahren mehr Geld. «Um die Armee wieder voll einsatzfähig zu machen, auf den neusten Stand zu bringen und die Durchhaltefähigkeit zu erhöhen, braucht es gegen 100 Milliarden Franken», sagt er. Salzmann verlangt, dass der neue Bundesrat, der am Mittwoch gewählt und voraussichtlich das Verteidigungs­departement übernehmen wird, die Planung rasch an die Hand nimmt und vom Gesamtbundesrat ein detailliertes Zielbild der künftigen Armee genehmigen lässt.

Zeit, die Schuldenbremse zu lockern?

Auch bei der Finanzierungsfrage sieht Salzmann jetzt die Landesregierung in der Verantwortung. Das Parlament debattierte im letzten Jahr zwar verschiedene Lösungsansätze. Doch weder eine temporäre Erhöhung der Mehrwertsteuer noch ein Fonds für die Armee oder eine «Wehranleihe» fanden eine Mehrheit.

Mitte-Nationalrat Martin Candinas ist überzeugt, dass eine Aufstockung des Armeebudgets nur über eine Lockerung der Schuldenbremse oder mit einer Fondslösung möglich ist. «Der Bundesrat sowie die SVP und die FDP haben aber solche Vorschläge bisher stets abgelehnt.» Deshalb müsse man das «Wünschbare vom Machbaren unterscheiden».

Keine Schweizer Kohäsionsbeiträge für EU-Aufrüstung

In Deutschland beabsichtigt aber ausgerechnet der wohl künftige CDU-Kanzler Friedrich Merz, die Schuldenbremse im Bereich der Verteidigungsausgaben zu lockern – obwohl er das Instrument im Wahlkampf noch eisern verteidigte. Und die EU will mitunter Gelder aus den Kohäsionsprogrammen in die Aufrüstung umlenken. Dass davon auch die Schweizer Kohäsionsbeiträge betroffen sein könnten, ist gemäss Aussendepartement EDA «unmöglich». Diese Gelder fliessen direkt in Programme in den EU-Partnerstaaten.

Selbst in den Verträgen, die neu mit der EU ausgehandelt wurden, ist keine Umwidmung vorgesehen. Mit den Kohäsionszahlungen der Schweiz sollen weiterhin wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten bekämpft werden. «Aufgrund dieser klaren Zielsetzung kann der Schweizer Beitrag auch künftig nicht im Bereich Verteidigung eingesetzt werden», schreibt das EDA.