Kommentar zu Polens neuer RegierungEine Revolution rückwärts
Mit Donald Tusk als Ministerpräsident kehrt Polen zurück zu Demokratie und Rechtsstaat, EU-Recht und Medienfreiheit – und das in einem irren Tempo.
In Warschau herrscht Revolutionsstimmung. Es lässt sich zwar auch nicht übersehen, dass Weihnachtszeit ist, sogar Metrozüge werden mit Lichterketten geschmückt. Aber vor allem ist alles im Umbruch. Es ist ein grosses Zurück zur Demokratie, zur Medienfreiheit, zum EU-Recht.
Am vorletzten Mittwoch ist die neue Regierung unter Donald Tusk vereidigt worden. Seither wurden neue Staatsanwälte eingesetzt und neue Geheimdienstchefs ernannt. Der bisherige Innenminister muss nun wahrscheinlich doch wegen Amtsmissbrauchs ins Gefängnis, seine Verurteilung liegt schon Jahre zurück. Einen ersten Haushaltsentwurf gibt es auch. Heute Freitag wurde ein von der PIS-Partei eingesetzter Museumsdirektor entlassen.
Die neue Regierung legt ein irres Tempo vor. Noch einmal wird den Polinnen und Polen dabei vor Augen geführt, was eigentlich alles im Argen lag, wie ungesetzlich die rechtsnationalistische PIS-Regierung in acht Jahren gehandelt hat, wie sie von der Armee bis zum zeitgenössischen Kunstmuseum alles politisierte. Auch, wie gefährlich es gewesen wäre, hätte sie weitere vier Jahre regieren können.
Neue Unparteilichkeit beim Hauptsender TVP 1
Viele Menschen sehen mit Spannung zu, was in Warschau geschieht. Für die Liveübertragungen aus der Abgeordnetenkammer ist der Begriff «Sejmflix» aufgekommen – der Kanal hat 675’000 Abonnenten auf Youtube.
Und nun kehrt die Objektivität ins öffentlich-rechtliche Fernsehen TVP zurück. Keine 48 Stunden nachdem die Sejm-Abgeordneten dafür gestimmt haben, die Unparteilichkeit wiederherzustellen, laufen im Hauptsender TVP 1 neue Abendnachrichten – die erst einmal erklären, was eigentlich gerade passiert, warum TVP sich verändert.
Wie nötig die Einsetzung neuer Verantwortlicher bei den staatseigenen Medien war, hatte Präsident Andrzej Duda (PIS-Partei) Stunden vorher in einem Radiointerview indirekt nochmals deutlich gemacht. Darin nannte er das gesetzmässige Vorgehen der Regierung einfach «Anarchie». Zur Erinnerung: Bei den alten TVP-Nachrichten sprach man möglichst nicht mit den politischen Gegnern der PIS, man redete einfach schlecht über sie.
Es gab Menschen, die das gut fanden. Immerhin haben mehr als 7,4 Millionen Menschen PIS gewählt. Einige fanden sich zur Unterstützung des alten TVP vor den Sendern landesweit ein, schwenkten Nationalflaggen, skandierten «Freie Medien». Die PIS-Partei strickt an ihrem Mythos von der zu Unrecht verlorenen Macht. Und nutzt dabei dieselben Schlagwörter wie zuvor ihre Gegner. Nachdem sie jahrelang Medienfreiheit und Meinungsvielfalt mit Füssen getreten haben, höhlen sie nun auch noch die Begriffe aus.
Tusk-Regierung wandelt auf schmalem Grat
Demokratie ist erklärungsbedürftig. Und erst recht das Tempo, in dem sie jetzt wieder in sichere Bahnen gelenkt wird. Private Medien, die von der PIS ignoriert oder angegriffen wurden, zeigen routiniert, wie Objektivität aussieht.
Sie erklären und hinterfragen das Auswechseln der Vorstände und Aufsichtsräte von TVP, Polskie Radio und der Nachrichtenagentur PAP, beleuchten die Rechtslage. Diese fröhliche, grosse Revolution, die hier im Gange ist, wird genau beobachtet.
Unrecht gut machen, Rechtsbrüche bestrafen, ihren Wählern den ersehnten modernen, toleranten, demokratischen Staat zurückgeben – dabei aber nicht wie ein ungeduldiger Rächer auftreten, das ist der Grat, auf dem die neue Regierung wandelt. Es soll eine Revolution werden, bei der möglichst wenige zurückbleiben. Der Sprecher der neuen TVP-Nachrichten hat die Richtung vorgegeben: «Wir wollen nicht trennen, sondern verbinden.»
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