Polens Präsident am EU-GipfelDonald Tusk tritt als Anti-Orban auf
Der polnische Ministerpräsident trifft beim Gipfel in Brüssel alte Verbündete – und reist mit einem Vertrauensvorschuss von 5 Milliarden Euro nach Hause.
Es gehe in Europa nicht um Geld, sondern um Werte, sagte Donald Tusk in Brüssel. Der 66-Jährige sprach auf Polnisch, aber die Beobachter brauchten eigentlich keine Übersetzung, um den alten und neuen Regierungschef zu verstehen – so strahlend, wie er da am Freitagvormittag seine Rede hielt, neben der ebenfalls überaus glücklich wirkenden Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stehend.
Donald Tusk dankte dem polnischen Volk, das sich bei den Parlamentswahlen im Oktober den Staat zurück erkämpft habe, indem es ihn, Tusk, an die Regierung wählte. Er dankte aber auch Ursula von der Leyen. «Jeder weiss, dass wir schon lange keine so loyale und herzliche Verbündete für polnische Angelegenheiten in Brüssel hatten wie die Präsidentin der Europäischen Kommission», sagte Tusk. Diese hatte kurz zuvor gesagt, die Zeiten seien schwierig. Aber Tusks persönliches Engagement und seine Erfahrung seien für die europäische Familie von unschätzbarem Wert.
Werte statt Geld, schön und gut – aber geldwerter Vorteil ist in der Europäischen Union ein nicht zu unterschätzender Faktor. Deshalb war es Donald Tusk eine besondere Freude, dass die Kommissionspräsidentin ihm am Rande des Gipfels der Staats- und Regierungschefs fünf Milliarden Euro mit auf den Heimweg nach Warschau gab. Eine «Vorfinanzierung», so heisst das Geld offiziell, das vor allem dem klimafreundlichen Umbau der polnischen Wirtschaft dienen soll. Man könnte es aber auch Vertrauensvorschuss nennen.
Kommission hält noch 60 Milliarden zurück
Die Kommission hält nach wie vor 60 Milliarden Euro zurück, die als Zuschüsse und Kredite aus dem Corona-Wiederaufbaufonds an Polen gehen können. Die Pläne für die Verwendung des Geldes sind im Grundsatz genehmigt, aber die von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PIS) geführte Regierung unter Premierminister Mateusz Morawiecki hat die von der Kommission vorgegebenen Bedingungen für die Auszahlung («Meilensteine») bis heute nicht erfüllt. Die polnische Justiz, von der PIS unterjocht, muss wieder unabhängig werden. Das ist nun die Aufgabe von Donald Tusk, und es wird einige Zeit dauern, bis die entsprechenden Reformen respektive Rückabwicklungen eingeleitet sind.
Donald Tusk hat angekündigt, sein Land werde der Europäischen Staatsanwaltschaft (Eppo) beitreten. Ursula von der Leyen rühmte dies am Freitag als eine vertrauensbildende Massnahme. Viel zu lange hätten die Rechtsstaatsverstösse in Polen die Kommission daran gehindert, das Land angemessen zu unterstützen. Ihre Kommission kann Tusk die 60 Milliarden nicht einfach aus Sympathie zahlen. Sie muss bei der Prüfung der Causa Polen dieselben Massstäbe anlegen wie bei der Prüfung der Causa Ungarn. Darauf wird man in Brüssel nun ganz genau achten.
Tusk warnte vor Putin-Sieg
Haushaltsmittel in Höhe von 30 Milliarden hat die EU Viktor Orban vorenthalten, weil Ungarn mit einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat nicht mehr viel zu tun hat. Vor dem Gipfel in Brüssel hat die Kommission allerdings zehn Milliarden freigegeben – ob wirklich nach objektiven Kriterien, darüber wird nun heftig gestritten. Vor allem Europaabgeordnete, die seit Jahren gegen Orban kämpfen, sind wütend: Die eingeleiteten Justizreformen seien unzureichend, die Kommission habe das Geld offenbar nur freigegeben, um mit Orban vor dem Gipfel einen Deal zugunsten der Ukraine zu schliessen. (Lesen Sie hier unsere Analyse zum EU-Gipfel zur Ukraine.)
Aus dem Verlauf der Verhandlungen lässt sich allerdings schwerlich schliessen, dass Orban tatsächlich gekauft war. Er hat die Milliardenhilfen an die Ukraine blockiert, und den Beitrittsgesprächen mit der Ukraine ebnete er erst den Weg, nachdem ihn die 26 anderen Staats- und Regierungschefs in geschlossener Front unter Druck gesetzt hatten. Dazu leistete auch Donald Tusk seinen Beitrag. Er habe, so wird berichtet, eindringlich davor gewarnt: Sollten die Europäer den Ukrainern die kalte Schulter zeigen, dann gäbe es nur einen Sieger: Wladimir Putin. Ein echter Europäer, ein Anti-Orban sass da am Tisch, so empfanden es die meisten.
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